Deutschland 2024 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Doris Metz Drehbuch: Doris Metz Kamera: Sophie Maintigneux Schnitt: Nina Ergang |
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Die junge Revolutionärin: Petra Kelly | ||
(Foto: Bildersturm Filmproduktion / Mit Genehmigung von Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung) |
Der Lange Eugen, das Abgeordnetenhaus der einstigen Bundeshauptstadt Bonn, liegt direkt am Rheinufer und bietet einen grandiosen Ausblick. Dort gab es in den achtziger Jahren einen Fernschreiberraum. Kaum jemand muss dort häufiger aufgetaucht sein als die unermüdliche, immens fleißige Grünen-Abgeordnete Petra Kelly. Bei ihrem Anblick hätten die Sekretärinnen jedes Mal aufgeseufzt, erinnert sich Ina Fuchs. Ab 1983, als die Grünen erstmals in den Bundestag kamen, leitete sie das Büro des Abgeordneten Gert Bastian. Der aus München stammende Familienvater und General a.D. war Petra Kellys Fraktionskollege. Trügerischen Schutz verheißend, wurde er für die 24 Jahre jüngere, schmächtige und kränkelnde Frau, die sich ständigen Bedrohungen ausgesetzt sah, zum Teilzeit-Lebensgefährten (die Wochenenden verbrachte er bei der Familie in München) und schließlich – vermutlich in der Nacht zum 1. Oktober 1992 – zu ihrem Mörder.
Bei der Weltpremiere von Doris Metz' neuem Dokumentarfilm Petra Kelly – Act Now! beim diesjährigen Filmfest München erinnerte sich Ina Fuchs im Gespräch mit der Regisseurin an eine beklemmende Szene: Gert Bastian hatte sie gebeten, etwas aus seiner Schreibtischschublade zu holen. Dabei fand sie eine Pistole der Marke Derringer, offenbar die spätere Mordwaffe. Als sie Bastian irritiert darauf ansprach, antwortete er lapidar: »Ina, ich bin Soldat.« Bastians Sohn Till äußerte im Nachhinein die Vermutung, sein Vater habe »aus Verzweiflung und einem falsch verstandenen soldatischen Pflichtbewusstsein« die Schüsse abgegeben. Mit dem Wissen von heute ist es schwer erträglich, die Bilder der Trauerfeier anzusehen, wo der blumengeschmückte Sarg von Petra Kelly neben dem ihres Mörders steht. Im November 1992 wäre sie 45 Jahre alt geworden. Ina Fuchs war es auch, die das tote Paar in seinem Bonner Reihenhaus entdeckte.
Die gebürtige Allgäuerin Doris Metz hatte die aus Günzburg stammende Petra Kelly Anfang der 1980er Jahre als Volontärin der »Süddeutschen Zeitung« in Bonn erlebt – natürlich sprach Kelly auch bei der legendären Friedensdemonstration gegen den NATO-Doppelbeschluss im Bonner Hofgarten. »Mein größter Schock war und ist die Aktualität und die Modernität von Petra Kellys politischem Denken und Handeln«, so Doris Metz: »Sie war ihrer Zeit weit voraus: mit ihrem globalen Agieren und ihrem Weitblick, ihrer Überzeugung, dass die Krisen unserer Zeit, all die Kriege, Menschenrechtsverletzungen und Zerstörungen von Natur und Umwelt zusammen gedacht werden müssen.«
Petra Kellys Dringlichkeit und die frappierende Aktualität ihrer Anliegen übertragen sich in diesem hervorragenden Dokumentarfilm direkt auf die Zuschauerin oder den Zuschauer. Das liegt vor allem an dem noch nie gezeigten Archivmaterial, das die Regisseurin und ihr Team rund um die Erde akquirierten. Roland Platz gelingt das Kunststück, die stummen Super-8-Filmausschnitte mit den passenden Geräuschen lebendig werden zu lassen. Für die Bildgestaltung zeichnet Sophie Maintigneux verantwortlich, die zuletzt mit der visuellen Umsetzung von Claudia Müllers Hommage Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen brillierte.
Für Ina Fuchs war Petra Kelly »der personifizierte, fragile, energetische Widerstand«. Joseph Beuys, mit dem die Politikerin eine spirituelle Freundschaft verband, nannte sie ein »großes, gewaltiges Kunstwerk«. Besonders berührend sind die Aussagen des indigenen Umwelt- und Menschenrechtstaktivisten Milo Yellow Hair, der zwei CIA-Attentate überlebte. Im traditionellen Federschmuck spricht Milo über seine Seelenfreundin aus Deutschland, mit der er gegen die Zerstörung seiner Heimat durch den Uranbergbau kämpfte. Doris Metz traf ihn in der Pine Ridge Reservation in South Dakota.
Zum »Schlüssel für das Material« wurde für sie allerdings Petra Kellys jüngerer Halbbruder John Lee, der in den USA lebt und sich erstmals über seine Schwester äußert. Er und Petra sind die Kinder von Marianne Kelly, die in den 1960er Jahren mit ihrem zweiten Mann, dem GI John Kelly und ihrer Tochter Petra aus erster Ehe in die USA auswanderte. Wenige Monate, nachdem Petra Kelly ihr Studium der Politischen Wissenschaften an der American University in Washington D.C. aufgenommen hatte, starb ihre jüngere Schwester Grace an Krebs – möglicherweise durch eine zu hohe Strahlenexposition. Dieses tragische Ereignis und der Vietnamkrieg weckten das politische Interesse der Einserschülerin. Im US-Präsidentschaftswahlkampf 1968 engagierte sie sich für den demokratischen Senator Robert F. Kennedy.
Die intime Kenntnis des US-Politikbetriebs und seiner Kampagnenführung prägte Petra Kellys eigenes Agieren in der Bundespolitik. Zuvor hatte sie sieben Jahre bei der EG-Verwaltung in Brüssel gearbeitet. Diesen internationalen Aspekt macht der Film besonders deutlich: Petra Kelly war eine wahre Kosmopolitin, die sich aber auch mit glühender Verve für die Bürgerrechtsbewegung in der Endphase der DDR engagierte. Mit der 2010 verstorbenen Bärbel Bohley verband sie eine enge Freundschaft, und selbst zu Erich Honecker verschaffte sie sich einen persönlichen Zugang. Sein biederes Kaffeekränzchen im Palast der Republik störte sie mit der Verlesung der Resolution »Schwerter zu Pflugscharen«. Im Film ist deutlich zu sehen, dass Kellys Parteifreund Otto Schily von ihrer Spontaneität ein wenig peinlich berührt war. Schilys Initiative ist diese außergewöhnliche Hommage zu verdanken, wie die Produzentin Birgit Schulz erzählt: »Als ich vor über zehn Jahren den Film Die Anwälte mit Otto Schily, Hans-Christian Ströbele und Horst Mahler gedreht habe, hat Otto Schily in einer Drehpause zu mir gesagt: 'Sie müssen unbedingt einen Film über Petra Kelly drehen und sie dabei so viel wie möglich selber sprechen lassen.'« Den Konservativen im Parlament sprach Petra Kelly immer zu schnell.
Nun hat sich der Wunsch des 92-jährigen ehemaligen SPD-Innenministers erfüllt: Mit Petra Kelly – Act Now! lässt Doris Metz der Mitbegründerin der Grünen, der Symbolfigur der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung, die mehr als 150 Regalmeter Archivgut hinterlassen hat, endlich Gerechtigkeit widerfahren. Sie holt Petra Kelly als Visionärin, der zu wenig Zeit blieb, in unsere disparate Gegenwart zurück.