Deutschland 2010 · 91 min. · FSK: ab 0 Regie: Jens Schanze Drehbuch: Jens Schanze Musik: Rainer Bartesch Kamera: Börres Weiffenbach |
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Tanz den Roboter |
Jens Schanze ist ein besonnener Dokumentarfilmer. Seit Jahren macht er durch seine zurückhaltenden Filme auf sich aufmerksam, durch sein stilles Suchen nach etwas Verschwundenem oder etwas, was gerade im Begriff ist zu verschwinden. Der Film Otzenrather Sprung (2002) nahm sich der Umsiedelung von Dörfern im Rheinischen Braunkohlerevier an und gewann den Grimme-Preis. Fünf Jahre später kehrte Schanze nach Otzenrath zurück und suchte letzte Spuren des mittlerweile verschwundenen Ortes (Otzenrath 3° kälter). Und dann ist da noch sein sehr persönlicher Film, Winterkinder – Die schweigende Generation, eine sensible Reise in die verdrängte (Nazi-)Vergangenheit der eigenen Familie.
Mit seinem neuen Film Plug & Pray hat Schanze seine Heimat verlassen und sich in die große weite Welt aufgemacht. Er besuchte Forschungslabors in den USA und Japan und geht in seinem Film nichts geringerem als den Spuren der Zukunft in der Gegenwart nach. Er fand humanoide Roboter, die ein quasi autarkes »Leben« führen, mit »intelligenten« Reaktionen auf ihre Umwelt. Menschengleiche Wesen, vom Menschen ersonnen.
Future is now besagt ein prägnanter Satz des Medientheoretikers Marshall McLuhan. Dabei ist Zukunft auch etwas sehr vergangenes, etwas, das in der Vergangenheit seinen Anfang genommen hat. Vielleicht deshalb hat sich Schanze genau jene Roboterwesen ausgesucht, die auf eine große Vergangenheit in der Filmgeschichte zurückblicken können. Der »Terminator« (1984) von James Cameron, die »Replikanten« in Blade Runner (1982), ja schon H.A.L. in 2001 – Odyssee im Weltraum (1968) als Prototyp des Computers, der Gefühlsregungen hat, zeugen von der seltsamen Sehnsucht des Menschen, ihr Ebenbild zu erschaffen.
Schanze geht sein Thema philosophisch-aufgeschlossen an. Sein Weg führt ihn, am Pfad der Filmgeschichte vorbei, direkt zu den prominenten Forschern der Computertechnologie und Robotik, zu Raymond Kurzweil, einem der Hauptforscher in Künstlicher Intelligenz aus Boston, und zu den japanischen Forschern aus Osaka, Hiroshi Ishiguro und Minoru Asada. Der eine hat einen Replikanten von sich selbst geschaffen, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht, eine ausgefeilte
Gesichtsmimik hat und durchaus als Substitut des Originals bei langweiligen Marathonsitzungen durchgehen kann, wenn vor allem physische Anwesenheit gefragt ist. Der andere umgibt sich mit niedlich aussehenden Roboterchen und lässt diese zu Forschungszwecken auch gerne mal auf aufgedrehte Teenager los. Hier enthüllt der Film einen für den Laien überraschenden Forschungsstand. Ein Unbehagen entsteht, während man den euphorischen Ausführungen der besessenen Forscher lauscht.
Klar wird dabei: Alles in allem dient die Forschung militärischem Zweck, um Gebiete zu begehen, in die sich ein Mensch lieber nicht hineinwagen sollte. Szenarien entstehen im Kopf des Zuschauers, von verstrahlten Katastrophengebieten und gefährlichen Kampfoperationen. Die von den Forschern ersonnene Zukunft ist vermutlich nicht so niedlich wie die Roboter, die für sie erschaffen werden.
Und dann hat Schanze noch Joseph Weizenbaum getroffen.
Joseph Weizenbaum ist ein deutsch-amerikanischer Informatiker, ein Computer-Pionier, der schon in den 60er Jahren in Sachen Künstlicher Intelligenz geforscht hat. Damals entwickelte er das Spracherkennungsprogramm ELIZA, das einen Psychiater simulierte, indem es eingetippte Sätze mit Wiederholungen und einfachen Gegenfragen beantwortete. Weizenbaum erkannte bald, dass die Menschen anscheinend immer noch glaubten, sie würden wie beim türkischen Schachspielautomat mit einer scheinbar intelligenten Maschine zu tun haben, in der sich in Wahrheit ein Mensch befindet. Weizenbaum fand dies höchst gefährlich und wurde von da an ein vehementer Kritiker seiner eigenen Zunft.
Weizenbau stellt durch seine klugen, ja weisen Ausführungen alles, was die euphorischen Forscher verlautbarten, in den Schatten. Bei dem zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen 85-Jährigen paart sich Lebensweisheit mit genialischem Fachwissen, er nimmt ein durch ein Charisma, das kindlich-verspielt wirkt, so wie es oft nur sehr alte Menschen haben können. Weizenbaum ist der faszinierende Protagonist des Films, der den Humanoiden locker die Show stiehlt.
Bei allem lässt Schanze keinen Zweifel aufkommen, wem seine Sympathie gilt: Den technikverblendeten Forschern, die ernsthaft glauben, dass gegen Alterseinsamkeit ein Androide helfen könne, der einem den Tee macht, oder der beim zehnten Mal der immer selben Geschichte immer noch »geduldig« zuhört? Oder dem 85-Jährigen, der sein Alleinsein mit Gedanken und einem reflektierten Leben ausfüllt, und deutlich macht, was Menschsein heißt: Kindheit, Jugend, Alter, Erinnerungen, Tod. Eine der berührendsten Szenen ist wohl, als Weizenbaum sich Bachs »Komm süßer Tod« anhört – noch während der Film entsteht, stirbt er.
Manchmal wünscht man sich für Schanzes Film mehr Kraft und weniger Zurückhaltung als Filmemacher, auch Mut zum Essayistischen, und keine Angst vor unbequemen Fragen. Denn die eine, hinter allem stehende Frage, wieso es für den Menschen so essentiell ist, menschengleiche Wesen zu schaffen, ist mit dem Hinweis auf den Schöpfergott, an dessen Stelle der Mensch sich setzen will, nur sehr unbefriedigend beantwortet. Einerseits. Andererseits: Den anderen das Wort zu überlassen, sich als Filmemacher unsichtbar zu machen, ist eine große Kunst, die Schanze beherrscht. Plug & Pray schafft es, in den stillen Zwischenräumen seiner Dokumentation den ganzen hohlen Forschungsirrsinn kommentarlos zu entlarven. Und letztlich ist auch Plug & Pray wieder ein Film über das Verschwinden. Solch faszinierend-besonnene Menschen wie Weizenbaum werden seltener, in einer auf Fortschritt und Wachstum ausgerichteten Welt.