Der Platzanweiser

BRD 1983 · 75 min. · FSK: -
Regie: Peter Gehrig
Drehbuch:
Kamera: Stephen Marks
Darsteller: Haro Senft, Hans W. Geissendörfer, Klaus Kirschner, Enno Patalas u.a.
Hier Ulrich Mannes im Gespräch mit einem Zeugen des Jahrhunderts

»Wir waren nicht klüger als Ihr…«

Ein Münchner Vorstadt­kino zeigt eine cine­as­ti­sche Rarität, Nasse Männer gehen an Land von Werner Loth, der zu den Unter­zeich­nern des Ober­hau­sener Manifests gehört haben soll. Zum Auftakt seines Werner Loth-Porträts will sich Peter Gehrig diesen Film ansehen, was ihm aber nicht gelingt, da sich gerade für jene Nach­mit­tags­vor­stel­lung, die er sich mit seinem Team ausge­sucht hat, nicht genügend Zuschauer einfinden. Aber was soll’s, einen markanten szeni­schen Einstieg für Der Platz­an­weiser – Porträt eines Kinomanen hat er damit allemal gefunden; – halt: dieser Auftakt ist ja insze­niert, da es sich bei Werner Loth um eine fiktive Gestalt handelt. Genau das will man aber nicht immer so recht glauben, wenn in der Folge dieses Mock­u­m­en­tary vermeint­liche Freunde und Wegge­fährten zu Wort kommen, Zeit­zeugen aus der Film- und Kino­branche, darunter Enno Patalas, Herbert Vesely, Werner Enke, Heidi Genée, Hans Jürgen Syberberg, Rob Houwer und Ulrich Schamoni, die ihre Anekdoten und Insi­der­storys über Loth unbe­fangen und vor allem ganz ohne Augen­zwin­kern erzählen. Das wiederum hängt wohl mit einem simplen Regietrick zusammen: Peter Gehrig läßt die Mitwir­kenden einfach über sich selbst reden, in der dritten Person; das Projekt wird dadurch unter­schwellig zum Sammel­por­trät über Triumphe, Irrwege und Nieder­lagen der Prot­ago­nisten des Neuen Deutschen Films, der 1983, im Platz­an­weiser-Entste­hungs­jahr, als Gene­ra­tionen-Label schon ziemlich kraftlos geworden war.

Die TV-Produk­tion Der Platz­an­weiser lief schon auf dem aller­ersten Münchner Filmfest und wurde in diesem Jahr für eine Hommage an den vor 30 Jahren verstor­benen Joe Hembus (auch ein vermeint­li­cher Wegge­fährte von Werner Loth) wieder ausge­graben. Mit Joe Hembus, der in der chao­ti­schen Vorbe­rei­tungs­phase Ende der 70er Jahre kurz­fristig als Leiter des Münchner Filmfests vorge­sehen war, verbindet man vor allem das Buch »Der deutsche Film kann gar nicht besser sein«, eine pole­mi­sche Abrech­nung mit dem 50er-Jahre-Kino und wohl eines der einfluß­reichsten deutschen Kino­bücher überhaupt. Er ist damit als Wegbe­reiter des Ober­hau­sener Manifests in die Film­ge­schichte einge­gangen und konnte nicht verhin­dern, dass der »maliziös-doppel­deu­tige« (Hans Helmut Prinzler) Titel sich alsbald und bis in die Gegenwart als universal einsetz­bare Kampf­pa­role verselbstän­digt hat. Und so lief ein Podi­ums­ge­spräch zu Ehren von Joe Hembus auch unter eben diesem Titel. Drei Regis­seure aus drei Gene­ra­tionen (Edgar Reitz, Dominik Graf und Philip Koch) haben sich einge­funden um den endlosen Debatten um die Ausrich­tung des Deutschen Films eine weitere, diesmal eine mit starkem nost­al­gi­schen Einschlag, hinzu­zu­fügen. »Wir waren nicht klüger als ihr, wir waren auch nicht phan­ta­sie­voller, aber wir haben einfach den Schritt getan als Gene­ra­tion aufzu­treten«, sagte Edgar Reitz als Vertreter der Ober­hau­sener. Philip Koch als jüngster in der Runde, dessen Outside The Box in der Reihe »Neues Deutsches Kino« gelaufen ist, konnte nur dagegen halten, dass die Krise im Moment noch nicht stark genug sei, um sich als neue Gene­ra­tion zusam­men­zutun.

Aber wer war der vor zwei Jahren verstor­bene Peter Gehrig? Aus den kargen biogra­phi­schen Angaben kann man entnehmen, dass er mit seinem ersten Kino­kurz­film Zünd­hölzer 1961 den Bundes­film­preis gewonnen und danach als freier Doku­men­tar­filmer etwa 80 Filme, vorwie­gend für deutsche Fern­seh­sender, verwirk­licht hat. In der Imdb sind bislang nur vier Filme unter seinem Namen verzeichnet. Nach der Vorfüh­rung von Der Platz­an­weiser im Film­mu­seum wollte der Produzent Rob Houwer (der als einziger Mitwir­kender anwesend war) so spontan und unvor­be­reitet nichts über den Film und die Dreh­ar­beiten erzählen, er empfahl aber ganz nach­drück­lich, fürs nächste Filmfest über eine Peter-Gehrig-Retro nach­zu­denken.