USA 2012 · 102 min. · FSK: ab 0 Regie: Dustin Hoffman Drehbuch: Ronald Harwood Kamera: John de Borman Darsteller: Maggie Smith, Tom Courtenay, Billy Connolly, Pauline Collins, Michael Gambon u.a. |
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Lahm und überstrapaziert in einem |
Sie kommt. Tosender Applaus empfängt sie im Trakt B. Sie blickt nach oben zu denen, die sie kennen und sie mit allen Ehren in ihrem neuen Zuhause begrüßen: Jean, die Ex-Primadonna und Superstar sämtlicher Opernhäuser der Welt, die es einst unter „neun Vorhängen nicht gemacht hat“. Noch einmal wirkt der Glanz vergangener Tage, langsam formt sich ein wunderschönes Lächeln in ihrem sonst so finsteren Gesicht, gerührt streckt sie die Arme dem Beifall entgegen, der Gehstock als unverzichtbares Requisit baumelt in der rechten Hand.
Es ist eine der wenigen wirklich bewegenden Szenen in Dustin Hoffmans Regiedebüt Quartett, dessen Schauplatz ein Seniorenheim für ehemalige Belcanto-Sänger und Orchestermusiker in England ist. Um die alljährlich stattfindende Gala zum Erfolg werden zu lassen und um die Existenz des Hauses zu sichern, sollen die quirlige, leicht demente Cissy (Pauline Collins), der Schwerenöter Wilf (Billy Connolly), der sensible Reggie (Tom Courtenay) und besagte Jean (Maggie Smith), als Neuzugang der Residenz, wie in alten Zeiten gemeinsam auftreten. Die Mehrheit der Bewohner ist begeistert von der Idee – bis auf Reggie, der Jean ihren schnellen Abgang aus der gemeinsamen Ehe immer noch nicht verziehen hat und Jean selbst, deren hohe Ansprüche an sich selbst und die Trauer über den verblassten Ruhm eine Mitwirkung an der Veranstaltung zunächst verbieten.
Das klingt nach einem packenden Stoff über viel Leben, Drama, Schmerz und möglichem Scherz zur Musik von Giuseppe Verdi, dem italienischen Geburtstagskind des Jahres. Doch es gibt einige Gründe, warum Quartett eher einer hohlen Operette als einem gehaltvollen Stück gleicht. Natürlich liegt es nicht an den Schauspielern. Smith, Collins, Courtenay und Connolly kennen ihr Handwerk und geben das, was von ihnen verlangt wird. Schade nur, dass das nicht allzu viel ist. Was den Schauspielern an Material an die Hand gegeben wurde, ist ein Gruppenabenteuer, in dem interessante Konflikte entweder zu schnell abgehakt oder auf dem Erzähl-Parkplatz abgestellt werden, wie Jeans zufällige Begegnung mit einem alten Sängerkollegen, wo beispielsweise die Möglichkeit geschlummert hätte, zu zeigen, aus welchem Holz die Diva einst geschnitzt war. Doch so fehlt der Handlung das Tröpfchen Bitterkeit, das den Figuren zwischen effekthascherisch-eitlem Gehabe und Senioren-Schrulligkeit ein bisschen mehr Kraft verliehen hätte. Die selbstironischen Witzchen sind meist lahm und ebenso überstrapaziert wie das Bette-Davis-Zitat vom Älterwerden, das nichts für Schwächlinge ist, und das auch in Quartett mal wieder herhalten muss.
Etwas ungenutzt wirkt die geballte Kraft betagter Talente im Hintergrund – einige Bewohner der Residenz werden von echten Musikern dargestellt, wie der Opernsängerin Patricia Varley oder dem Pianisten Jack Honeyborne. Einzig Dame Gwyneth Jones durfte eine etwas größere Rolle als Konkurrentin von Maggie Smith einnehmen. Ansonsten bleibt die Riege jener Könner meist nur Staffage, während man das Helden-Quartett nie singen hört. Das liegt in der Natur der Sache, schließlich sind Smith und Co keine Sänger. Doch dadurch ergibt sich das grundsätzliche Problem des Films, für das es wahrscheinlich keine Lösung gibt: gleichwohl unzählige mitreißende Verdi-Klassiker erklingen, wird der Musik nicht der Raum einer eigenen Figur gegeben, die der Schlüssel zu vielem hätte sein können. Vielleicht hätte man es wagen sollen, die Singstimmen des Quartetts altersgemäß zu doubeln, das musste schließlich auch eine Nathalie Wood in der West Side Story aushalten, ohne dass es ihre schauspielerische Leistung geschmälert oder dem Erfolg des Films geschadet hätte. Sicherlich geht es in Quartett nicht um Opern-Nachstellungen, doch so, in Abwesenheit einer gelebten Musik, hat man das Gefühl, die eigentliche Geschichte findet woanders statt, sei es in der Vergangenheit verhallter Bravissimo-Rufe oder außer Hörweite zwischen Schnitten und Blenden, eben nicht da, wo man sie spüren kann. Dafür geben Gezeigtes und Gesagtes zu wenig her.
An einer guten Grundlage mangelte es nicht: Drehbuchautor Ronald Harwood, der mit Drehbüchern zu Filmen wie Taking Sides – Der Fall Furtwängler oder Der Pianist sein Können längst bewiesen hat, war für Quartett inspiriert von dem 1984 veröffentlichten Dokumentarfilm Der Kuss der Tosca des Schweizer Regisseurs Daniel Schmid. Dieser zeigt das Leben in der echten Casa Verdi, dem 1896 von Giuseppe Verdi eigens für pensionierte Sänger und Musiker gegründeten Wohnheim in Mailand. Warum Künstler eigentlich nie aufhören können zu arbeiten und was Musik für sie bedeutet – diesen grundlegenden Fragen spürt Schmid in seiner sensiblen Beobachtung der alten Meisterinnen und Meister nach. Hoffman scheitert leider weitgehend an diesen Fragen.