USA 2008 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Jonathan Demme Drehbuch: Jenny Lumet Kamera: Declan Quinn Darsteller: Anne Hathaway, Rosemarie DeWitt, Bill Irwin, Tunde Adebimpe, Mather Zickel u.a. |
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Alle haben sich lieb, am Ende |
Handkamera ist in Hollywood zur Zeit der letzte Schrei. Was ursprünglich einmal dem Independent-Film vorbehalten war, findet man momentan an jeder Ecke. Was dabei in einigen Fällen funktioniert und im Sinne des Cinéma Vérité zusätzliche Intensität erzeugen kann, lässt andere Produktionen zu manieristischen Spielereien werden, die dadurch nur versuchen, die eigene Einfallslosigkeit zu verdecken. Man denke nur an den schnelllebigen Trend von Cloverfield, der einen ganzen Rattenschwanz an bedeutungsschwangerem Geschwätz nach sich zog. Auch Rachels Hochzeit, der von der Kritik hochgelobte neue Film von Jonathan Demme, wird von einem dokumentarischen Stil bestimmt. Konkret bedeutet das sichtbare Schwenks, Zooms ohne Ende, gelegentlich auch Unschärfe und eine Kamera, die oft absichtlich ziellos in der Gegend herumschwirrt, um an anderer Stelle den Schauspielern wieder viel zu nah ins Gesicht zu rücken, während diese stets professionell daran vorbeischauen. Establishing Shots kann man hier natürlich vergessen. Das sollten Zuschauer eigentlich vorher schon wissen, denn wenn man sich auf einen ungewöhnlichen visuellen Stil nicht einlassen will, lohnt ein Kinobesuch in diesem Fall kaum. Die Darstellungsform ergibt am Anfang von Rachels Hochzeit zunächst auch keinen ersichtlichen Sinn und wirkt stellenweise, als ob der Film mit einer Handykamera von einem Besoffenen abgefilmt worden wäre. Wenn man sich aber an diesen Stil gewöhnt hat, ergeben sich durch ihn auch einige Vorteile. So ist in den Szenen, die sich ganz auf die Hauptfigur konzentrieren gerade der dokumentarische Stil die richtige Wahl. Ein sehr großer Teil des Films allerdings beschäftigt sich ausgiebig mit dem titelgebenden Fest und ergibt genau die Sorte Film, die sich eigentlich kein Mensch freiwillig anschauen sollte: ein Hochzeitsvideo!
Die Geschichte von Rachels Hochzeit ist schnell erzählt: Kym Buchmann, gespielt von Anne Hathaway, ist eine drogenabhängige junge Frau, die gerade einen professionellen Entzug durchlebt. Sie hat bereits mehrere Klinikaufenthalte hinter sich und kommt anlässlich der Hochzeit ihrer älteren Schwester Rachel für ein Wochenende nach Hause. Die Vorbereitungen für eine prunkvolle Feier mit viel Musik und den üblichen Tischreden sollen ein harmonisches Fest einleiten, als schwarzes Schaf der Familie bringt Kyms Anwesenheit aber in erster Linie alte Konflikte zum Vorschein, die alle mit ihrem früh verstorbenen Bruder in Verbindung stehen. Der nicht sonderlich originelle Plot erinnert an zu oft gesehene seichte Unterhaltung, an flachen Witz und ein paar harmlose tragische Einlagen. Rachels Hochzeit ist aber keine Komödie, und die angesprochene Problematik wird auch nicht annähernd so naiv behandelt wie man vermuten könnte.
Das Drehbuch von Sidney Lumets Tochter Jenny umschifft dabei zu einem großen Teil Klischees und altbekannte Strukturen recht elegant. Dabei werden Informationen über den Hintergrund der angespannten Situation, die Scheidung der Eltern, das gespaltene Verhältnis zwischen den Schwestern und Kyms seltsame Mischung aus Zynismus und Selbstmitleid dem Zuschauer erst nach und nach präsentiert. Ohne Rückblenden oder Off-Kommentare klärt sich die Vergangenheit beiläufig auf, was eine ungewöhnliche und nicht ganz einfache Verfahrensweise ist, aber durch das sorgfältige Drehbuch und die schauspielerischen Leistungen überraschend gut funktioniert. Der Blick richtet sich dabei hinter die Kulissen dieser Familie: Hier geht es zum großen Teil um alte Rechnungen, die überhaupt nicht aufgehen können und zu denen es auch keine kurzfristigen Lösung geben kann. Rachels Hochzeit ist ein Film, der sich in seinen besten Momenten mit gestörten familiären Strukturen ungewohnt ernsthaft beschäftigt, der gleichzeitig eine Familie zeigt, die in mehrfacher Hinsicht an einem Wendepunkt angelangt ist. Zwar könnte man einwenden, dass die Geschichte letztendlich zu nichts führt, dass die Charaktere im Verlauf keine wirkliche Entwicklung durchmachen, könnte andererseits aber auch die Frage stellen, ob ein klassischer Spannungsaufbau mit entweder einer Katastrophe oder einem Happy-End als Abschluss überhaupt zwingend notwendig ist für einen gelungenen Film. Gerade das offene Ende setzt sich auf frische Weise von den Klischees ab, die man seit Ewigkeiten immer wieder in Form von leichter Unterhaltung gewohnt ist.
Die Hauptdarstellerin Anne Hathaway war bislang eher bekannt für romantische Komödien, und bevor man Demmes Film sieht, kann man sie sich als kettenrauchender Ex-Junkie auch nicht wirklich vorstellen. Man muss sagen, dass sie in der Rolle des frustrierten schwarzen Schafs aber äußerst überzeugend ist, auch wenn die Lobeshymnen im Rahmen ihrer Oscar-Nominierung ein wenig übertrieben gewesen sind. Hathaway mag sympathisch sein und ihre Rolle gut spielen, aber eine wirkliche Offenbarung ist ihre Darstellung auf keinen Fall. Während sie eine ganze Menge hochgradig emotionale Szenen hat, sind in diesem Film die schauspielerischen Höchstleistungen gerade in den feinen Nuancen der Nebenfiguren zu finden, in der von Rosemarie DeWitt gespielten Schwester und Braut, vor allem aber in der nur als Gast erscheinenden Mutter. Debra Winger hat zwar nur sehr wenige Auftritte, verkörpert die nach außen fröhliche, innerlich aber frustrierte Frau aber mit einer ungewöhnlichen Intensität.
Dennoch hat Rachels Hochzeit auch einige entscheidende Schwächen. Während sich die Präsentation der Familie Buchmann so differenziert wie möglich gestaltet, ist bei der Darstellung der Familie von Rachels schwarzem Ehemann genau das Gegenteil der Fall. Hier landet der Film ungewollt mitten im Klischee. Auch ist die Vielfalt der ethnischen Gruppen beim Hochzeitsfest ein bisschen zu groß geraten, um noch realistisch zu wirken. Gerade die Musikeinlagen gegen Ende sind voller stereotyper Merkmale, die in einer solchen Familie eigentlich überhaupt nichts zu suchen hätten. Da gibt es leicht bekleidete Sambatänzerinnen, schwarze Jazzmusiker, immer wieder einen pubertierenden Buben mit einer E-Gitarre in der Hand und noch einiges mehr an kulturellen Schablonen zu begutachten. Zuletzt erwartet man, dass jeden Moment noch Mexikaner mit Sombreros auf dem Kopf und der Tequila-Pulle in der Hand zu Mariachi-Musik durch den Saal tanzen. Wo Zirkus und Maskerade aufhören und es plötzlich Familienmitglieder oder Freunde sein sollen, die sich da in heimatlichen Trachten musizierend lächerlich machen, ist beim besten Willen nicht immer nachvollziehbar. Hier will der Film mit aller Gewalt ein harmonisches Miteinander der verschiedensten Nationalitäten zeigen und wird dabei komplett unglaubwürdig.- vor allem wenn man bedenkt, dass das alles innerhalb einer Familie geschehen soll, was mit großer Wahrscheinlichkeit nirgendwo auf der Welt der Realität entspricht. In direktem Zusammenhang damit steht die unnötige Länge von Rachels Hochzeit: Mindestens zwanzig Minuten der insgesamt etwa zweieinhalbstündigen Produktion hätten wegfallen können, ohne dass sich irgendetwas an der eigentlichen Geschichte geändert hätte. Letzten Endes verspielt der Film sogar genau das Potenzial, was in der zentralen Problematik zwischen Kym, Rachel und ihren Eltern zweifellos vorhanden gewesen ist mit unnötigen und quälend langen Einstellungen auf tanzende Hochzeitsgäste.
Wenn man sich also auf die sehr verwackelte Kameraarbeit einlässt, sich außerdem ein paar ebenso nervtötende wie unsinnige Musik- und Tanzeinlagen wegdenkt und für eine sehr ausführliche Erzählweise Geduld aufbringen kann, bleibt von Rachels Hochzeit ein gut gespieltes und, was die Familienproblematik angeht, auch differenziert erzähltes Filmerlebnis übrig. Mehr aber auch nicht.
Es gibt zwei Filme, die einem ziemlich schnell einfallen, wenn man Rachels Hochzeit sieht, und beide sind, wenn man ehrlich ist, besser: Robert Altmans Eine Hochzeit und Thomas Vinterbergs Das Fest. Das eine das kühle Sezieren eines Gesellschaftskörpers, das nichts erreichen will und alles zeigen, ein Kino, das wartet, bis sein Gegenstand zur Implosion kommt. Der andere eine Erhitzung des Mikrokosmos Familie, die nie alles zeigen kann, weil ihr Blick zu getrieben und leidenschaftlich und subjektiv ist, und irgendwann fliegt dann alles auseinander. Am Ende von Altman bleibt alles wie es ist, am Ende von Vinterberg, ist nichts mehr, wie es war.
Rachels Hochzeit erinnert zuerst mehr an Das Fest, weil sich die anfangs harmonische Situation bald zum Familiendrama zuspitzt, doch am Ende, soviel darf man verraten, passiert zwar auch, wie bei Altman ein Autounfall, aber er ist nicht tödlich, sondern wirkt wie ein reinigendes Gewitter, und man denkt, diese Familie müsste bei allem, was geschah, auch auseinanderbrechen. Tut sie aber nicht.
Formal erzählt der Film von einer gutbürgerlichen Familie, deren eine Tochter heiratet und von ihren Vorbereitungen. Die eigentliche Hauptfigur ist Kym (Anne Hathaway), die Schwester der Braut, das schwarze Schaf der Familie. Im Kreis der Braven und Angepassten ist sie die Unangepasste, die sich – mal mutwillig, mal, weil sie nicht besser kann – daneben benimmt, und zur Heldin des Zuschauers wird. Denn mit der Zeit begreift man, warum sie so ist, versteht man, dass sie das Opfer in einer Familie ist, die auf Kym als Terrorzelle wirkt.
Regie führte der inzwischen auch schon 65-jährige Jonathan Demme, und wenn man bei dem Namen gleich wieder an Das Schweigen der Lämmer denkt, führt das nur von diesem Film und Demmes Interessen weg. Seitdem hat Demme politische Familiendramen verschiedenster Art gedreht, selbst seine Dokumentationen – zum Beispiel von Jimmy Carter – gehören dazu. Vielleicht ist es aber wichtiger, zu wissen, dass das Drehbuch von Sidney Lumets Tochter Jenny stammt. Es geht um Geheimnisse, einen überstarken Vater und Kinder die sich befreien müssen. Es geht, indirekt – aber deutlich: Der Bräutigam ist schwarz –, auch um die USA, die nationale dysfunktionale amerikanische Familie, der Versöhnung schwer fällt. Es geht um Toleranz. Das eigentlich Großartige des Films ist aber seine Hauptdarstellerin: Anne Hathaway, einst Plötzlich Prinzessin, reift unter Demmes Blick endgültig zu einer der großen Charakterdarstellerinnen ihrer Generation.