USA 2024 · 90 min. · FSK: ab 12 Regie: Jesse Eisenberg Drehbuch: Jesse Eisenberg Kamera: Michal Dymek Darsteller: esse Eisenberg, Kieran Culkin, Will Sharpe, Jennifer Grey, Kurt Egyiawan u.a. |
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Blick zurück heißt Blick nach vorn... | ||
(Foto: Disney) |
Wer meint, vor ein paar Monaten schon einmal eine sehr ähnliche Geschichte in den Kinos gesehen zu haben, der meint richtig. Es war Julia von Heinz′ Tragikomödie Treasure – Familie ist ein fremdes Land über einen Vater, der Auschwitz als Kind erlebt hat und eine Tochter, die an transgenerationalen Traumata leidet, denn weder ihre Eltern noch sonst wer will mit ihr über die Vergangenheit reden. Und als sie ihren Vater schließlich zwingt, eine sogenannte »Holocaust-Tour« zu machen, damit er sich den verdrängten Schatten seiner Vergangenheit stellen lernt, wird auch nicht viel besser; das nächtliche Ritzen von Tattoos am eigenen Körper geht unvermindert weiter.
Zwar versucht Heinz dann immer wieder die Komödie, doch mit ihren Ausflügen in die Geschichte der polnischen Mittäterschaft blieb der Film ein zwar leichteres Plädoyer für Beschäftigung mit dieser Thematik, als es vielleicht Daniel Howalds und Martin Millers verstörende Suche nach der Wahrheit im Leben der Schweizer Psychologin Alice Miller in Whos afraid of Alice Miller?? (2020) oder Sandra Prechtels Dokumentation Liebe Angst (2022) waren, doch schwer blieb am Ende auch Heinz’ Film auf der Seele liegen.
Ganz anders ist das in Jesse Eisenbergs A Real Pain, für den Eisenberg in seiner zweiten Regiearbeit auch das Drehbuch geschrieben hat. Und sich als Schauspiel-Partner an seiner Seite Kieran Culkin (genau, der Bruder jenes Macaulay Culkin) geholt hat, der in der Rolle des Benji Kaplan das durchgeknallte Gegenstück des von Eisenberg überbehüteten und übervorsichtigen Cousins David Kaplan spielt. Schon in der Flughafenszene, erst in New York, dann in Warschau, wird klar, dass Eisenberg das Licht im Dunkeln sucht und nicht wie Heinz die Dunkelheit umgarnt. Ist Heinz′ Warschauer Flughafen und Fahrt durch Polen fast stets in düsteren Farben gefilmt, ist es Winter, ist bei Eisenberg alles in warmes Licht getaucht. Kein Wunder, denn es ist Sommer.
Die Flugreise gibt den beiden ungleichen Cousins Zeit, sich aneinander zu gewöhnen, denn seit den gemeinsam verbrachten Kindertagen bei der Großmutter und intensiven Erinnerungen haben sich beide voneinander entfremdet. David ist verheiratet, hat ein Kind und einen langweiligen Job, Benji ist aus dem Leben gefallen und lebt, was viele der dritten Generation nach dem Holocaust leben: hat die erste Generation auf alles verzichtet, ist die zweite auf gute Schulen gegangen und
Arzt und Anwalt geworden, wohnt die dritte unten im Haus bei der Mutter und hat den Faden verloren.
Auch darüber unterhalten sich die beiden Cousins. Über ihre so unterschiedlichen Lebenslinien und was die Traumata ihrer Großmutter damit zu tun haben könnten. Mit ihrer Reisegruppe – der Film wirft übrigens ganz nebenbei ein herrlich ironisches Bild auf die Kommerzialisierung von »Holocaust-Reisen« – besuchen sie das Konzentrationslager Majdanek und ecken durch
Benjis hyperaktive Art immer wieder mit der Gruppe an, vor allem mit ihrem Reiseführer an. Erst als sie sich wie geplant von der Gruppe trennen und zu der Wohnung fahren, in der ihre Großmutter gewohnt hat, kehrt langsam Ruhe in diesen Film ein, der mit seinen starken, so tiefsinnig wie auch grotesken Dialogen immer wieder an einen der früheren Woody Allen-Filme denken lässt.
So wie bei Allen haben auch bei Eisenberg die Dialoge etwas Kathartisches, ist jedes Gespräch eine fast schon zwanghafte Aufforderung zu mehr Ehrlichkeit, die mitunter soweit führt, dass sich sogar der zurückhaltende David bei der Reisegruppe wegen zu viel »over sharing« entschuldigen muss. Doch auch diese fast schon brutalen Stopps machen Sinn, weil sie ein wenig Ruhe bedeuten vor der nächsten Eskalation. Etwa die völlig bizarre »Einnahme« des Denkmals des Warschauer Aufstandes der Reisegruppe, die jedoch ebenfalls Sinn macht, denn letztendlich ist der Humor und das Lachen eines der wenigen bewährten Mittel, das Grauen aus dem Kopf zu kriegen.
Dennoch hätte A Real Pain ein wenig mehr Ruhe gut getan, denn redet mal keiner, sehen wir die Protagonisten etwa nur auf der Fahrt von A nach B, setzt leichtes, beschwingtes Klavierspiel ein. Es ist nicht der alte Jazz in Woody Allens Filmen, doch es ist ein ähnlicher Ansatz, um auch noch die letzte Schwere zu ersticken und weiter auf die brillanten Dialoge fokussieren zu können. Dabei ist ja gerade die Schwere bei all der Leichtigkeit das so Überraschende und Wunderbare an diesem Film, denn erst durch die Reibung der beiden Pole entsteht dann tatsächlich so etwas wie Wahrheit und die Möglichkeit, ein wenig »gesünder« als vorher zu sein. Und wie »differenziert« diese Reibungen sein können, zeigt nicht nur die wunderbare Schlussszene dieses kleinen, großen Films.