Robot Dreams

Spanien/F 2023 · 102 min. · FSK: ab 0
Regie: Pablo Berger
Drehbuch:
Musik: Alfonso de Vilallonga
Schnitt: Fernando Franco
Filmszene »Robot Dreams«
Nur Schweine gehen baden
(Foto: Plaion Pictures)

Eine charmante Liebeserklärung an New York

In New York schließen ein Hund und ein Roboter eine innige Freundschaft, die in einem der besten Animationsfilme der letzten Jahre auf eine harte Probe gestellt wird

Der spanische Autor und Regisseur Pablo Berger liebt die Abwechs­lung und neue Heraus­for­de­rungen. Sein Lang­film­debüt gab er 2003 mit der sehr erfolg­rei­chen Sexkomödie Die Torre­mo­linos Home­vi­deos und über­raschte 2012 mit der dialog­freien Schnee­witt­chen-Variation Blan­ca­nieves – Ein Märchen von Schwarz und Weiß, der zehn spanische Goya-Preise gewann und für den Oscar und den Europäi­schen Filmpreis nominiert wurde. Es folgte die schwarz­hu­mo­rige Satire Abra­ca­dabra (2017), die acht Goya-Nomi­nie­rungen erhielt.

Mit Robot Dreams wendet sich Berger nun erstmals dem Anima­ti­ons­film zu und macht damit zugleich der Stadt New York City, in der er an der Tisch School of Arts Filmregie studierte und ab 1990 ein Jahrzehnt lebte, eine Liebes­er­klärung. Seine Adaption der gleich­na­migen Graphic Novel der US-Ameri­ka­nerin Sara Varon, einer Spezia­listin für Fabeln mit vermensch­lichten Tieren, wurde nach der Urauf­füh­rung in Cannes 2023 mit dem Europäi­schen Filmpreis als bester Trickfilm und dem Prix Cont­rechamp des Festival in Annecy, dem Mekka des Anima­ti­ons­films, ausge­zeichnet und für den Oscar als bester Anima­ti­ons­film nominiert.

In den 1980er Jahren führt ein namen­loser Hund in New York ein einsames Leben. Jeden Abend sitzt er in seiner kleinen Wohnung in East Village vor dem Fernseher und verspeist ein Fertig­ge­richt mit Makkaroni und Käse, das er in der Mikro­welle aufge­wärmt hat. Doch dann sieht Hund einen TV-Spot, der den Roboter Amica 2000 als Mittel gegen das Allein­sein anpreist. Schnell ist der Bausatz bestellt, geliefert und zusam­men­ge­baut. Hund freundet sich sofort mit dem Roboter an, den er Robo nennt. Gemeinsam flanieren sie händ­chen­hal­tend im Central Park und Chinatown und erkunden die Stadt, die Robo großen Augen betrachtet.

Bei einem Bade­aus­flug nach Coney Island stürzt sich der Roboter kühn ins Meer – mit verhee­renden Folgen: Das Salz­wasser schließt seine Batterie kurz und Blitzrost legt seine Gelenke lahm. Für Hund ist der Automat zu schwer, schweren Herzens lässt er ihn im Sand zurück. Als er am nächsten Tag mit Werkzeug zurück­kehrt, ist der Strand mit Gittern verrie­gelt. Die Bade­saison ist vorbei, die nächste beginnt erst im Juni. Robo muss bewe­gungslos liegen bleiben. Von hier ab wechselt der Film immer wieder die Erzähl­per­spek­tive: Während Robo allmäh­lich vom Sand zugeweht wird, verfällt er in Träume, die eine Wieder­ver­ei­ni­gung mit Hund visua­li­sieren. Dagegen zählt der die Tage bis Juni, lernt dann aber die coole Hündin Duck kennen, die ihm das Drachen­stei­gen­lassen beibringt und Motorrad fahren kann.

Berger hat eine weitere Vorliebe: Er hat ein Herz für Stumm­filme und erzählt gerne in Bildern ohne Dialoge. In seinen Filmen Torre­mo­linos 73 und Abra­ca­dabra wird zwar gespro­chen, es gibt aber minu­ten­lange dialog­freie Szenen. Kam schon die Märchen­fan­tasie Blan­ca­nieves ohne gespro­chene Worte aus, so verzichtet der Regisseur auch in Robot Dreams darauf. Dafür spielen Geräusche, Klänge und vor allem Musik eine umso größere Rolle. Fabiola Ordoyo hat ein außer­or­dent­lich reich­hal­tiges Sound Design geschaffen, das zum Beispiel das geschäf­tige Leben auf den Straßen des Big Apple akustisch wieder­auf­er­stehen lässt. Ergänzt wird es von den stim­mungs­vollen Klavier- und Jazz-Kompo­si­tionen von Alfonso Vill­a­longa, der schon die Musik zu Blan­ca­nieves und Abra­ca­dabra geschaffen hat, und zeit­genös­si­schen Popsongs wie »Let’s Go« von The Feelies und dem Disco-Ohrwurm »September« von Earth, Wind & Fire. Dieser nost­al­gi­sche Love & Dance-Klassiker fungiert als musi­ka­li­sches Leitmotiv, das in Varianten mehrfach ganze Sequenzen mitein­ander verknüpft. Insgesamt ist die Musik so omni­prä­sent, dass ein Musical-Feeling aufkommt, es fehlen nur die singenden Figuren.

Das episo­disch struk­tu­rierte Drehbuch auf der Basis der Graphic Novel schrieb Berger selbst. »Wir inter­pre­tieren die Welt von Sara Varon mit Respekt, aber auch in völliger Freiheit«, schreibt er im Pres­se­heft des Film­ver­leihs. Künst­le­ri­sche Freiheit beim medialen Trans­fer­pro­zess nimmt er vor allem bei der Gestal­tung der Robo­ter­träume in Anspruch, Respekt zeigt er vor allem in der anima­ti­ons­tech­ni­schen Umsetzung. Film und Graphic Novel beziehen sich auf den Stil der Ligne Claire, als dessen wich­tigster Vertreter der »Tim und Struppi«-Autor Hergé gilt. Charak­te­ris­tisch für diesen Comic-Stil sind klare Linien, flache Farben und begrenzte Schatten. Darüber hinaus nutzt der 2D-Anima­ti­ons­film die Deep Focus-Technik, um eine hohe Schär­fen­tiefe für alle darge­stellten Elemente zu erzielen. Besonders großen Wert legt Berger auf die ausdrucks­starke Gestal­tung der Augen der animierten Charak­tere. Um die Figuren möglichst lebendig zu gestalten, ließ er sich erklär­ter­maßen von den Filmen des japa­ni­schen Studios Ghibli inspi­rieren, das Figuren mit einfachen Gesichts­zügen vor detail­lierten Hinter­gründen platziert.

Das Ergebnis ist eine charmante Aben­teu­er­reise ins Reich tiefer Freund­schaften, ein nost­al­gi­scher Trip voller Über­ra­schungen in die jüngere Vergan­gen­heit, eine berüh­rende Reflexion über die Macht der Gefühle mit einem bitter­süßen Finale. Da der Film klar um den Themen­kom­plex Einsam­keit, Freund­schaft und Verlust kreist, spricht er alle Alters­gruppen an. Während die Abenteuer von Hund und Robo in erster Linie junge Zuschau­ende fesseln dürften, können Erwach­sene mit wach­sendem Vergnügen zahl­reiche kultu­relle Refe­renzen entdecken: Die reichen vom Atari-Video­spiel Pong über eine Halloween-Verklei­dung à la Freddy Kruger bis zu Filmen wie Yoyo, der Millionär, Der Zauberer von Oz, Das große Rennen von Belle­ville, Shining oder Buster Keatons Steamboot Bill jr. Ästhe­tisch besonders reizvoll ist eine Anspie­lung auf die legen­dären Tanz­cho­reo­gra­phien von Busby Berkeley. In dieser Hinsicht lohnt sich übrigens ein zweites Anschauen allemal. Damit ist Robot Dreams ein idealer Anlass für einen gemein­samen Kino­be­such von Familien. Eine der besten Anima­ti­ons­filme der letzten Jahre ist er sowieso.