The Rossellinis

Italien/Lettland 2020 · 90 min. · FSK: -
Regie: Alessandro Rossellini, Lorenzo d'Amico de Carvalho
Drehbuch: ,  u.a.
Kamera: Valdis Celmins
Schnitt: Ilaria De Laurentiis
Filmszene »The Rossellinis«
Familienstellen nach Rossellini
(Foto: 36. DOK.fest@home)

Der Schatten des Meisters

In seinem Dokumentarfilm widmet sich Alessandro Rossellini seiner Familie, wirklich ein Clan von mal mehr mal weniger erfolgreichen Künstlern und Künstlerinnen. Er selbst sieht sein Projekt als Therapie.

Seit seiner Geburt ist Ales­sandro Rossel­lini unheilbar erkrankt. Das Haupt­sym­ptom ist der Glaube, ganz von selbst ein kreatives Genie sein zu zu müssen. Der Name: „Rossel­linitis“. Und nicht nur er hat dieses Kreuz zu tragen, sondern seine ganze Familie. Nun, der Enkel des großen Roberto Rossel­lini zu sein, der mit Rom, offene Stadt oder Deutsch­land im Jahre Null die Film­ge­schichte nach­haltig verän­derte, ist sicher kein leichtes Los. Nicht nur weil der werte Herr der Mann hinter viel Klas­si­kern ist, sondern auch hinter einigen Ehen. Doch ist das alles wirklich mit einer Krankheit zu verglei­chen?

In seinem Doku­men­tar­film The Rossel­linis widmet sich Ales­sandro Rossel­lini seiner Familie, wirklich ein Clan von mal mehr mal weniger erfolg­rei­chen Künstlern und Künst­le­rinnen. Er selbst sieht sein Projekt als Therapie. Nicht nur für sich, sondern für die gesamte Verwandt­schaft. Seine Reise führt in dabei unter anderem nach Schweden zu seinem Onkel Robin, dem Sohn seines Groß­va­ters und der nicht minder großen Ingrid Bergman, nach Indien zu seiner Tante Nur, der Tochter der vierten Ehefrau Sonali Senroy Das Gupta, aber auch zu seiner eigenen Mutter, der Tänzerin Katherine Cohen, die er liebevoll in einem ameri­ka­ni­schen Pfle­ge­heim aufsucht. Natürlich bringt er auch seine Tante Isabella Rossel­lini vor die Kamera, die in ihrer ganzen Boden­s­tän­dig­keit nicht wie eine Filmgröße, sondern eher wie die nette Dame von nebenan wirkt.

Und wirklich schwebt der Geist des Fami­li­en­pa­tri­ar­chen immer noch über allem. Roberto Rossel­linis Einfluss auf das Leben seiner Geliebten und Nach­kommen ist nicht zu bestreiten. Sein Enkel fabri­ziert hier jedoch keinen Klatsch-und-Tratsch-Streifen, der vermeint­liche Skandale aus der Versen­kung holt. Zum Einen sind die zahl­rei­chen Ehen und Frau­en­geschichten sowieso bekannt, zum Anderen behandelt Rossel­lini seinen Vorfahren zwar kritisch, jedoch auch mit dem nötigen Respekt. Überhaupt ist die ganze Stimmung eher locker und ironisch ange­haucht. Als Inter­viewer versucht der Regisseur nicht, seinen Verwandten möglichst reiße­ri­sche Kommen­tare zu entlocken, sondern nähert sich den Gesprächs­part­nerInnen respekt­voll und durchaus auch mit selbst­kri­ti­scher Offenheit. Wenn es um ihn selbst geht, hat The Rossel­linis auch wirklich seine stärksten Momente. Der 55-jährige Filme­ma­cher schafft es, sich auf der einen Seite gezielt nicht in den Vorder­grund zu stellen, auf der anderen aber auch, seine eigene Sonder­stel­lung hervor­zu­heben, ohne seinen Film zur Nabel­schau zu machen. Eine der inter­es­san­testen Szenen ist dabei die, in der er im Gespräch mit Isabella Rossel­lini und deren Tochter Elettra an den Punkt kommt, an dem er sich fragen muss, ob die ganze „Rossel­linitis“-Sache nicht lediglich sein Weg ist, die eigenen Verfeh­lungen einzu­ordnen. Er macht in seinem Film keinen Tabu aus seiner Drogen­ver­gan­gen­heit und daraus, dass er von seinem Opa wohl auch den Hang zu wech­selnden Part­ner­schaften geerbt hat. Ein stärkerer Fokus auf diese intro­spek­tive Ebene, die beleuchtet, wie er als Indi­vi­duum mit seinem Erbe umgeht, hätte dem Film durchaus gut getan. Sein Konzept der Fami­li­en­the­rapie trägt nämlich nicht komplett durch die gesamte Laufzeit. Man erwischt sich selbst immer wieder dabei, wie man Enthül­lungen und Ausbrüche erwartet. Oder um es weniger boule­var­desk zu sagen: Oft hätte The Rossel­linis mehr in die Tiefe gehen können, bezie­hungs­weise Ales­sandro Rossel­lini bei der Selbst­be­trach­tung.

Dem positiven Gesamt­ein­druck tut das jedoch keinen Abbruch. Man muss auch kein Experte in Werk und Privat­leben der Regie-Größe sein, um sich hier einfühlen zu können und geübte Cineasten werden trotzdem noch genügend inter­es­sante Anknüp­fungs­punkte finden. Ob die „Rossel­linitis“ nur im Kopf des Regis­seurs existiert oder ob wirklich alle Betei­ligten infiziert sind, ist dann letzt­end­lich neben­säch­lich.