Österreich 2016 · 91 min. · FSK: ab 0 Regie: Ulrich Seidl Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz Kamera: Wolfgang Thaler Schnitt: Christof Schertenleib |
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Traurige Tropen: Europäer nach der Jagd |
»Man disputiere und streite, soviel man wolle, aber man behaupte nicht, das Quadrat sei rund und die Jagd sei kein Privileg.« – José Ortega y Gasset, »Meditationen über die Jagd«
Sie werden in unseren Breiten gern als »Steinzeitmenschen in der Gegenwart« bezeichnet, was einer Verurteilung und Diffamierung gleichkommt, oder als seltsame, irgendwie gestrige Geschöpfe beschrieben: die Jäger. Nicht extreme sexuelle oder religiöse Praktiken, oder blanker Unsinn sind offenkundig das wahre Tabu unserer Gegenwart, sondern das Töten von Tieren. Obwohl es dann doch auch wieder etwas Wehleidiges hat, wenn ein Jäger auf seiner Homepage jammert: »Wenige Dinge sind im Europa des 21sten Jahrhundert so aus der Zeit gefallen, wie die Jagd. In weiten Teilen der Öffentlichkeit ist es ratsamer sich zu abnormen Sexualpraktiken, Drogenkonsum oder als Fan des Dschungelcamps zu bekennen, als sich als Jäger zu outen.« Aber falsch ist es nicht. Von diesem »Abnormen« zehrt der österreichische Filmemacher Ulrich Seidl. Indem er uns bei etwas zugucken lässt, was wir nicht sehen wollen, es aber doch sehen wollen, liefert Seidl der Spektakelgesellschaft ein großes Spektakel.
»Safari« heißt »Reise« auf Kisuaheli. Die Reise, von der hier die Rede ist, ist erst einmal ganz wörtlich diejenige des österreichischen Filmemachers Ulrich Seidl und die seiner Protagonisten, eines knappen Dutzend wohlhabender – oder »reicher«, das kann man nur vermuten – Österreicher ins südwestliche Afrika. Dort in Namibia leben sie ein paar Wochen lang in Lodges, die mit den Accessoires des Kolonialismus wie der Jagdromantik, mit Trophäen getöteter wilder Tiere wie mit farbenprächtigen Teppichen, afrikanischen Holzmöbeln und europäischen Ventilatoren ausgestattet sind, ziehen sich khakifarbene Kleidung an und einen Hut über den Kopf. In britischen Jeeps, chauffiert von schwarzen Bediensteten und angeleitet von weißen Jagdführern werden sie zu Plätzen geführt, in denen sich Gelegenheiten bieten, Großwild zu schießen.
Die Safari, von der hier die Rede ist, ist also die Großwildjagd – Seidls neuer Film verzichtet auf gespielte oder inszenierte Handlung, ist in diesem Sinn eindeutiger dokumentarisch, als seine »Passions-Trilogie«.
Aber um Passionen geht es auch hier. Denn so sehr Seidl das System der Großwildjägerei beschreibt – man kann bestimmte Tiere regelrecht zum Abschuss bestellen; nichts ist zwar garantiert, aber vieles wahrscheinlich, der Preis variiert mit der Seltenheit des Tiers: Giraffen sind teuer, Zebras billig – so sehr geht es ihm zuallererst um psychologische Dispositionen des
Jagens, der Bereitschaft zum Töten oder der Lust daran, und um die reichhaltigen kulturhistorischen Implikationen, die damit einher gehen. Zudem ist all das, dies wird sofort klar, gar nicht voneinander zu trennen.
Der Film setzt bereits ein mit einer Szene, die einen einzelnen Jäger mit seinem Jagd-Führer zeigt. Gelassen gibt der Film uns Zuschauern zunächst einmal ein Gefühl für die Zeit, die Dauer und Mühe des Heranpirschens ans Tier. Man sieht Blicke durchs Fernglas, man hört den Atem des Jägers, und mit seiner Erregung wächst auch die Spannung des Zuschauers. Als der Schuss fällt, fehlt der Jäger, erst der zweite Versuch gelingt, und auch dann ist das Tier nicht sofort tot – gerade dies Unperfekte lässt die Exposition brachial wirken. Und zugleich gelingt es Seidl, im Portrait des Schützen und seiner Erleichterung durch das Erfolgserlebnis auch etwas spüren zu lassen von einer, vom durchschnittlichen Europäer der Gegenwart (aber nur von diesem) vollkommen verlernten, früheren Alltagserfahrung: Der Erfahrung, Herr über Leben und Tod zu sein, mindestens über Leben und Tod von Tieren.
Es muss eine Sehnsucht nach dieser Erfahrung geben, die universal menschlich ist. Sie mag moralisch verdammenswert erscheinen, und im Prozess der Zivilisation ein retardierendes, archaisches Element verkörpern – aber sie ist da, sie hat etwas mit uns allen zu tun, und dieser Rekurs auf das Publikum, dem der Filmemacher unangenehme, gleichwohl faszinierende, seltene Bilder präsentiert, ist es, die offenkundig im Zentrum des Interesses von Seidl liegt.
Wie immer bei Ulrich Seidl ist auch in diesem Film das Interessanteste, was er einfach zeigt. Und er zeigt viel: Wie gejagt und geschossen wird; wie offen erotisch erregt die Jäger auf das Heranschleichen, den Schuss selbst und das Glückerlebnis des Tötens reagieren; wie die toten Tiere danach zum Photo drapiert werden; wie diese in die Lodge transportiert werden – und vor allem, wie man sie danach ausweidet. In diesem blutigen Geschäft, in dem die Eingeweide beseitigt werden, das Blut weggespült, das zur Trophäe Taugliche gereinigt und gesichert und das Fleisch an die Knechte verteilt wird, findet Seidl so etwas wie die Substanz der Jagd.
Und er findet große Kinomomente: Wer hätte schon einmal einer Giraffe beim Sterben zugesehen? Dazu die Blicke der scheinbar unbeteiligt daneben stehenden anderen Giraffen. Man fragt sich dabei natürlich: Was sehen die Tiere? Was begreifen sie? Verstehen sie, dass ein Artgenosse stirbt? Dass er von denen getötet wurde, die da jetzt auch stehen?
Wer hätte schon einmal derart nahe und ausgiebig das Ausweiden und Abziehen toter Tiere beobachten können?
Seidl beschreibt das Handwerk der Jagd naturalistisch mit subjektiver Handkamera, und zugleich dann wieder voller betonter Künstlichkeit, in den von ihm gewohnten, symmetrisch aufgebauten, in statischen Einstellungen gefilmten Tableaus. Gebrochen sind diese Bilder durch Interviews, die ebenfalls wenig inszeniert wirken. Noch nie sei es so schwierig gewesen, Protagonisten zu finden, sagt er. Seidl präsentiert die wenigen, die bereit waren, sich offen über ihre Beweggründe zu äußern, fair.
Deutlich wird in ihren Äußerungen, wie der Moment des Schießens als erhabenes Erlebnis wahrgenommen wird, als Evidenz im Augenblick, und dass es selbstverständlich auch um Lust am Töten geht. Zugleich zeigen sie, wie die Sprache der Jäger dieses Töten verdrängt: Man »erlöst« und »erlegt« die Tiere, die »Stück« genant werden, und der Kadaver wird getätschelt: »Guter Kämpfer, mein Freund.«
Weitaus interessanter sind dann die Einlassungen des – deutschen! –
Betreibers der Lodge und seiner Frau: »Warum muss ich das rechtfertigen?«, fragt dieser. »Warum muss ich sagen, warum ich ein Tier töte?« Und dann wird es philosophisch: »Die Natur ist weg. ... Blinder Tierschutz führt zu nix. ... Das Grundübel ist der Mensch in seiner Überzahl. ... Wenn wir verschwinden, würde es der Welt wahrscheinlich besser gehen. ... Das Leben ist endlich.«
Vergleichsweise ausgeblendet wird demgegenüber das Thema Rassismus. Denn es sind nur Schwarze, die hier die niederen Tätigkeiten vollziehen. »Wenn ich als Weißer irgendwas sage, bin ich gleich ein Rassist«, sagt der Lodge-Betreiber, als er auf mögliche Unterschiede angesprochen wird. Und seine Frau ergänzt: »Die Schwarzen können schneller laufen, wenn sie denn wollen. ... sie haben 20 Prozent mehr Muskeldichte.«
Aber auch Seidl gibt den Schwarzen im Unterschied zu allen Weißen
keine einzige Stimme – lasst sie nur stumm in die Kamera blicken. Traurige Tropen.
Auch fast stumm, und gegenüber dem Übrigen wie die Intermezzi des Buffo in der Commedia dell'arte wirken die Portraits zweier biersaufender korpulenter Jäger im Schießstand. Ihr Dösen, Rülpsen und Ächzen ist auch der Soundtrack einer Freakshow, die uns daran erinnert, dass Ulrich Seidls Filmreisen immer auch ein sehr spezielles faszinierendes Spektakel bedeuten – brutal und aufklärend, misanthropisch und burlesk.