Österreich/D/F 2012 · 114 min. · FSK: ab 16 Regie: Ulrich Seidl Drehbuch: Ulrich Seidl, Veronika Franz Kamera: Edward Lachman, Wolfgang Thaler Darsteller: Maria Hofstätter, Nabil Saleh, Natalia Baranova, Rene Rupnik, Dieter Masur u.a. |
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»Ach wie flüchtig, ach wie nichtig...« |
Eine Gruppe Menschen trifft sich in einem recht geschmacklos und karg eingerichteten Wohnzimmer. Sie gucken in die Kamera, und damit auf uns, das Publikum. Sie gucken ernst und voller Liebe, dann beten sie zu uns, und für ein paar kurze Momente sind wir im Kinosaal dieser Jesus, zu dem sie beten. Dann rufen sie im Chor: »Wir sind die Sturmtruppe der Kirche«; »Wir schwören Dir Treue bis in den Tod.«; »Wir schwören Dir, dass Österreich wieder katholisch wird.«
Wer sich womöglich gerade noch über den neuen Papst und ein weltlich-offenes Antlitz der Kirche gefreut hat, dem kann in Ulrich Seidls neuem Film das Vergnügen am Katholizismus und überhaupt an der Religion schon wieder verlitten werden. Dessen neuer Film Paradies: Glaube ist das Mittelstück einer Trilogie des österreichischen Regisseurs, der vor zehn Jahren mit Hundstage so berühmt wie berüchtigt wurde. Deren erster Teil war Paradies: Liebe, kam Anfang des Jahres ins Kino, und handelte von einer Sextouristin in einem kenianischen Ferienparadies. Der dritte Teil Paradies: Hoffnung dreht sich um ein junges fettsüchtiges Mädchen und spielt in einem Diätcamp. Er wird in wenigen Monaten im Kino zu sehen sein. Liebe, Glaube, Hoffnung – das ist, wenn auch in leichter Veränderung der Reihenfolge »das« Urthema der christlichen Tradition. In allen drei Filmen stellt Seidl eine Frau ganz und gar ins Zentrum. Hier heißt sie Maria und ist eine fanatische katholische Fundamentalistin, die ihr Leben damit zubringt, ihre Mitmenschen zu missionieren – ob sie wollen oder nicht, und zwar mit einer gehörigen Portion Aggressivität. Schon die allererste Szene des Films spricht in dieser Hinsicht Bände: Da zieht sich Maria vor einem Kruzifix halbnackt aus, und verpasst sich genau 48 Peitschenhiebe auf den Rücken.
Es gehört zu Seidls spezieller und seit jeher umstrittener Methode, dies dem Publikum direkt und in aller Ausführlichkeit – eben mit genug Zeit zum Mitzählen der einzelnen Schläge – zu zeigen. Dieses Vorgehen »hat was« wie man so sagt, es verfehlt jedenfalls seine Wirkung nicht: Kein Zuschauer kann sich dem Film entziehen – so oder so.
Im Folgenden werden immer weitere unserer üblichen Tabu- und Geschmacksgrenzen überschritten: Ein Krüppel robbt minutenlang durch die Wohnung, Betrunkene lallen, eine Sex-Orgie im Stadtpark wird explizit gezeigt, Kruzifixe werden im Dutzend zerschlagen und ein Papst-Ratzinger-Portrait fällt von der Wand. So geht es weiter durch den religiösen Sumpf der »Legio Cordis Jesu«, jener Gruppe die sich regelmäßig zum Beten trifft, und der Maria offenbar angehört.
Ansonsten begleitet der Film diese seltsame Hauptfigur durch ihren Alltag. Man begegnet einer perversen Heiligen, die jede neue Tortur als »Prüfung« freudig begrüßt, etwa »Danke Jesus, Danke!« jauchzt nach den erwähnten 48 Peitschenhieben auf das eigene Gesäß. Nur um die ihr von einer Verwandten anvertraute Katze kümmert sie sich nicht sehr gut. Auch nicht um einen Moslem, der im Rollstuhl sitzt, und plötzlich bei ihr einzieht. Er entpuppt sich als ihr Ehemann, und gibt ihr Anlass, ihm zu erklären, dass auch dessen Unfall »einen Sinn« gehabt hat. Der Mann wiederum sagt ihr: »Du musst Dir eine andere Religion suchen.« Dann wieder wird missioniert, Weihwasser wird per Spray versprüht, bis Maria am Ende doch zusammenbricht, und den Christus am heimischen Kreuz geißelt.
Was ist die Moral von alldem? Vielleicht dass Religion in Aggression mündet, und dass diese Aggressivität einer Eskalationsspirale unterliegt? Die Seidl zeigt. Vielleicht auch, dass der arme Jesus am Ende auch noch von seiner treuesten Jüngerin verraten wird? Vielleicht dass des bei Religion am Ende nur um Sex geht? Bei der Seidl’s jedenfalls. Vielleicht dass das tyrannische Kino Seidls seine Hauptfigur so, lange und so weit demütigt, bis sie zusammenbricht und Seidl
diesen Zusammenbruch zeigen kann.
Es sind insgesamt groteske Szenen, nicht angenehm zu sehen, aber stark in der Wirkung. Ohne Frage ist der Film eine Zumutung, aber er ist auch stark in seiner Gnadenlosigkeit. Zumindest die Wahrheit der ungemilderten Provokation hat er auf seiner Seite. Damit aber auch den billigen Beifall. Und man darf Seidl unterstellen, dass er Wirkungen, auch öffentliche, sehr genau kalkuliert.
Es geht also um Kalkül, um Voyeurismus, um Provokation für die höheren Stände. Alles natürlich sehr schön anzusehen – genau das, was dann auch mal (wie im Februar tatsächlich geschehen) an der »Berliner Akademie der Künste« laufen darf als hippe Freak-Show. Es gibt ja nicht andauernd das »Dschungelcamp«. C-Movie-Trash wie »Das Frauengefängnis von Cobra-City«, Teil 3 dürfte man dort natürlich nicht zeigen – das sollte man aber mal tun, denn im Grunde genommen liefert der Regisseur Seidl dazu nur Intellektuellen-Pendant. Er ist nicht weniger ausbeuterisch, nicht weniger von einer perversen Lust am Abgründigen durchdrungen. Allerdings weniger verspielt. Also eigentlich viel schlechter. Der Prototyp eines Arthouse-Exploitation-Filmers.
Visuell in einer Kadrierung die die Grenze zum Ästhetizismus immer wieder überschreitet: Totale Symmetrie, Ordnung, Leere – Kino eines Kontrollfreaks, der das Zufällige, Unberechenbare zu hassen scheint. Und der auch Überschreitungen kalkuliert: Einmal kommt Marias Mann in ihr Schlafzimmer, öffnet die Tür zum Bad: Er rollt hinein, wir hören Geräusche, die nur als »pissen« zu deuten sind. Nach langen Sekunden des Zuhörens sehr wir, dass er nur den Wasserhahn betätigt.
Seidl zeigt alles im für ihn üblichen Stil: Ohne Neugier, nicht suchend, sondern alles von Anfang an wissend, uns ausstellend, voyeuristisch – in dem Gestus: Guckt mal, was ich hier wieder Fürchterliches gefunden habe. Kino als Geisterbahnfahrt. Hui, jetzt ham' wir uns aber gegruselt....
So ist dieser Film nur ein weiterer, recht überflüssiger Beweis für die These, dass Religion/Glaube/Gott sich offenbar immer noch am besten für die blödesten Provokationen eignen.
Das Schlusslied des Films ist dann: »Ach wie flüchtig, ach wie nichtig...«