USA 2012 · 131 min. · FSK: ab 16 Regie: Oliver Stone Drehbuch: Shane Salerno, Don Winslow, Oliver Stone Kamera: Dan Mindel Darsteller: Aaron Johnson, Blake Lively, Taylor Kitsch, Benicio Del Toro, Salma Hayek u.a. |
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Hier geht's um Drogen |
»Non-violence leads to the highest ethics, which is the goal of all evolution. Until we stop harming all other living beings, we are still savages.« – Thomas A. Edison
»Savages we call them because their manners differ from ours.« – Benjamin Franklin
»Just as I am telling you this story, doesn’t mean I am alive at the end.« – So eine Art Story ist das, damit dies schon mal klar ist, Jungs. Hier wird gestorben und gelitten, dieser Film ist hart, und überstehen ist alles. Wer spricht von siegen? Oliver Stone jedenfalls nicht. So sehr seine Filme adrenalingesteuert sind, so deutlich er immer wieder auf größter Filmemacher aller Zeiten macht, so ist gleichzeitig offenkundig, dass es Stone um Momente geht, nicht Story, um Figuren, nicht Plot, um Thesen, nicht um dramaturgische Reinheitsgebote.
Stones große Qualität besteht unter anderem darin, dass er alles das liebt, was das deutsche Feuilleton noch mehr als das amerikanische verachtet, dass er also begriffen hat, dass Ästhetizismus etwas Gutes ist, und Plot etwas Schlechtes, dass Blut und fett aufgetragene Musik besser sind als Gerede und Andacht, dass Pop-Pomp und Musik-Circumstances (»The Doors«, Natural Born Killers, U-Turn) dem Kino gut tun, das starke Männer (Alexander) auf der Leinwand besser sind, als schwache, dass man dort von den bösen Seiten des Kapitalismus (Wall Street) erzählen muss, und den guten des Sozialismus (Comandante), weil es umgekehrt langweilig ist, dass man einseitig (South of the Border) sein sollte, und nerven (Persona non grata). Stone ist eine riesengroße Nervensäge, aber auch ein wunderbarer Gesprächspartner und ein charmanter, angenehmer, aufmerksamer Mensch. Ein toller Typ.
Stone geht es mehr um den Weg, als um das Ziel. Und der Weg
ist hart, und das Ziel ist weit. Ein Film und noch einer. Immer wieder, gerade in den besseren von ihnen, das Gleiche: Blut, Schweiß und Tränen, manchmal auch Sperma.
Es geht also los, diesmal mit einem blonden Hippie-Girl am Strand, Salz auf ihrer Haut, die Sonne geht unter, der Film geht auf. Sie erzählt uns von ihren Männern. Ja, genau: Plural! Sie lebt nicht mit einem zusammen, sondern mit zweien, mit Chon und Ben, zwei Typen, die sich perfekt ergänzen: Chon, der Afghanistan-Veteran, Ben der kalifornische Surferboy, »cold metal« und »warm wood«, »Chon fucks, Ben makes love«, eine Menage-à-trois, eine perfekte postmoderne Patchworkfamilie, gespielt von Blake Lively, Aaron Johnson und Taylor Kitsch, ein Macho-Traum mit unverkennbar homoerotischen Komponenten – die Frau als Medium der Vereinigung der Männer –, die natürlich die »echten« Machos, die mexikanische Drogenbaronin Elena am präzisesten erkennt: »They must love each other more than you, otherwise how could they share you?«
Die Erzählerin heißt O für Ophelia. Sie ist die Muse des kalifornischen Drogenkartells, das im Wesentlichen aus Ben und Chon besteht: »For Ben drug business is green business, ... his philosophy is essentially buddhist. ... He takes 99 percent of the violence out of the business. The other one percent? Well, that’s where Chon comes in...«
Drogen sind laut O eine rationale Wahl in einer wahnsinnigen Welt. Und so scheint alles perfekt, John Travolta spielt den US-Bundesagenten Dennis, der nach außen ein erfolgreicher Drogenjäger ist, tatsächlich aber sich von allen Seiten schmieren lässt, und nur so einigermaßen den Überblick behält, und seine aufgeräumte Laune: »There ain’t no Ben and Chan without Dennis.« Doch dann kommt das mexikanische Baja Cartel ins Spiel, das geführt wird von Elena »La Reina« Sanchez (Salma Hayek, die hier ein paar großartige Auftritte bekommt) und expandieren und dazu die Amerikaner ins Geschäft zwingen will... Chon und Ben lehnen dankend ab, ahnen aber, dass sie sich besser absetzen – »Don’t fuck with Wal-Mart; welcome to the recession!« hatte schon Dennis gesagt. In Zeiten der Wirtschaftskrise werden die Märkte knapp und die Haie fressen sich gegenseitig. Und das mexikanische Kartell sei wie Wal-Mart, das alle »Indies« schlucken will, sagt der Film.
Es ist zu spät, um sich abzusetzen: In einer großartigen, elegisch ausgedehnten, dramatischen Sequenz zeigt Stone uns zum ersten Satz von Brahms' erster Symphonie O beim Einkauf in der Shopping-Mall, verfolgt von Mitarbeitern des Kartells. Als sie vom Parkplatz wegfährt, wird sie entführt. Das alles ist aber, ehrlich gesagt, in seinen Einzelheiten gar nicht so wichtig. Wichtig ist: Was Stones neuer Film Savages, der in San Sebastián seine Europapremiere erlebte und nun in Deutschland startet, zeigt; wichtig sind die kleinen handwerklichen Einzelheiten, und wichtig ist die Szene als solche, die überhitzte Atmosphäre und die Mischung aus Faszination und Abscheu mit der ihr der Regisseur selber gegenübersteht.
Der Film zeigt, wie die Gangster foltern, und er hat am Ende die Moral, dass nur Gewalt funktioniert: »strike first, strike fast.« Es gibt ein paar kleine Nebenbei-Einsichten über Mexiko – »The PRI is in, the PAN is out.« – Und wer dazu mehr wissen will, dem möchte man schon jetzt hier den großartigen mexikanischen Drogengangsterfilm Miss Bala empfehlen, der jetzt auch in Deutschland, aber leider nur den den größeren Städten, startet.
Benicio Del Toro spielt Lado, einen üblen Gesellen, der für Elena die Drecksarbeit macht und zugleich mit der Konkurrenz geheime Geschäfte abschließt. »En esta vida, toda es possibile.« Im Gärtner-Outfit kommt er in die Vorstadtvillen, wenn er dort einen ermorden soll. Die Gärtner sind in diesem Film immer die Mörder. Und Del Toro mit Säge und Pistole spielt hier ohne Frage seine bisher unangenehmste Filmfigur.
Travolta hingegen bekommt die besten Szenen – und die besten, also
schönsten, sarkastischten Sprüche: »When Hilary Clinton grows up, she wants to be Elena Sanchez.« Oder, um die neue Sicherheitspolitik der USA zu beschreiben: »It doesn’t work that way. It’s 1984.«
Und dann kommt das Ende. »You are already dead. You were dead at the moment you were born.« – Auch das ist eine Moral, allemal bei Stone. Und dann ein Abschluss, der keiner ist, weil er – wie bei Hanekes Funny Games – wieder zurückgespult wird: »That’s what I wished had happened. What really happened was a fucking massacre.«
»Here comes the sun« klingt der Song aus dem Off, und dann handelt alles einmal wieder vom Todestrieb aller Zivilisation. Denn irgendwann sind wir alle Wilde. Es muss nur die richtige Frage her, dann ist Wildheit die Antwort.
Mit anderen Worten: Der Film ist gut, aber hat halt keinen Stil – wenn das beides gleichzeitig überhaupt möglich ist. Es ist möglich. Man kann nämlich auf überaus stilisierte, hochgradig ästhetisierte Art stillos sein. Man nennt es auch Trash. und das ist Stones augenblickliche Sache: Hochgradig unterhaltsam erzählt er uns etwas über die Welt. Ein Pop-Entertainer, der seine Botschaften nicht per Post verschickt, wenn es auch per Film geht. Und der dafür sorgt, dass sie dabei auch noch schön aussehen. Savages ist ein typischer Stone-Film: Wild und ungestüm, manchmal etwas grell und schlicht, dann wieder faszinierend virtuos – und politisch unbedingt engagiert: »Seit 42 Jahren gibt es den Drogenkrieg, und jedes Jahr werden Drogen günstiger«, sagte der Regisseur von Wall Street zur Premiere in San Sebastián, und plädierte für die Legalisierung von Marijuana. Denn für die US-Regierung sei der Drogenkrieg »nur ein Vorwand, um ihre Nachbarn zu infiltrieren, wie eine Kolonialmacht.«