Deutschland 2017 · 103 min. · FSK: ab 6 Regie: Marieke Schroeder Drehbuch: Marieke Schroeder Kamera: Niv Abootalebi Schnitt: Gaby Kull-Neujahr |
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Ein Film wie ein Abend in einer perfekten Bar. |
»Um die erste Hälfte Ihres Lebens ranken sich zahllose Gerüchte: Rausschmiss aus einem Priester-seminar, Personenschützer von Konrad Adenauer, Betreiber eines Striptease-Lokals in Südfrankreich, Botschaftsassistent in Stockholm, Politikstudium bei Kurt Sontheimer.«
»Stimmt alles.«
Charles Schumann im SZ-Magazin»Wir verstanden uns als ein Privatclub für Freunde und Stammgäste und Leute, die mit dem Kopf arbeiten: Künstler, Schriftsteller, Journalisten, Verleger, Filmemacher. Für sie sollte die Bar ein zweites Zuhause sein.«
Charles Schumann
Wer reinkommt, ist drin: Ein Mann, ein Mixer, viele Flaschen und Gläser und Tröpfchen, mal geschüttelt, mal gerührt, hier ein Schuss, hier noch ein Spritzer... Es hat schon eine große Erotik, in diesem Film immer wieder Männern zuzusehen, die Drinks mixen und Cocktails zubereiten. Es ist ein Schauspiel der ganz besonderen Art.
Bemerkenswerterweise sind es vor allem immer wieder Männer, die als Barmixer nicht nur erfolgreich, sondern berühmt werden. Der lebende Gott unter ihnen ist Charles Schumann. Der heute 76-jährige, ein gebürtiger Oberpfälzer, heißt eigentlich Karl Georg Schuhmann, war einmal Priesterseminarist und Personenschützer von Konrad Adenauer, seit über 30 Jahren ist der Münchner der Inhaber von Deutschlands bekanntester Bar, der Schumanns Bar, die sogar ihren erzwungenen Umzug innerhalb der Stadt vor über zehn Jahren spurlos verkraftet hat.
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Wer auch nur ein einziges Mal das Schumann’s betreten hat, der weiß: Dies ist ein besonderer, einmaliger Ort. Das alte Schumann’s war meiner Meinung nach unübertrefflich, aber auch das neue, mit seiner Lage am Kopf der immer wieder erstaunlichen Münchner Prachtmeile, ist ein Ort, der alles bietet und versammelt, was München ausmacht, und man dem Zugereisten als das offerieren kann, was München und Bayern vom Rest der Republik unterscheidet, das Beste und das
Schlechteste. Das Schumann’s ist ein Ort der Freiheit und einer Versöhnung, die nicht am Alkohol liegt die aber Klassen und politische Dissense, kulturelle Verwerfungen und Geschmacksunterschiede überschreiten kann, es ist der Ort einer Freiheit, wie es sie nur in Bayern geben kann (und vielleicht noch in ein paar ganz wenigen Bars in Köln und Hamburg). Das Schumann’s ist aber auch ein Ort des Halbseidenen, ein Schauplatz dummer Selbstdarstellung und verblödeter
Aufscheiderei, ein Ort, an dem die Angeber nach dem zweiten Pils ihre Anstandsmaske fallen lassen und zu den beleidigenden, destruktiven Charakteren werden, die sie schon immer waren.
Und selbst ihre auch hier zur Schau getragene Begeisterung fürs Schumanns hat Maxim Biller oder Claudius Seidl nicht davon abgehalten nach Berlin zu ziehen und sich dort mit Möchtegern-Traditionslokalen wie dem »Einsteins«, dem Borchardts oder gar Straßencafes wie dem »103er« zu begnügen.
Aber kein Zweifel, das Schumann’s ist besser als vieles, und vor allem ist es ein Platz der Nostalgie: Im Schumann’s ist die alte Münchner Welt, die der 80er, noch in Ordnung, und jeden Augenblick könnte hier Bernd Eichinger um die Ecke kommen, oder Michael Althen, oder gleich der Monaco Franze und der Baby Schimmerlos.
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Marieke Schroeders liebevoller Dokumentarfilm tut nicht so, als wäre das anders, als ginge es um Realien, wo es doch um Universalien geht, sie setzt auf Nostalgie und Neugier, sie lässt den Mythen ihren angemessenen Raum, sie macht das Schumann’s sichtbar als Wunschmaschine und Ort des Phantasmas und den Namensgeber als den Messias dieser diesseitigen Religion.
Wie bei allen Heilsbringern gilt: Schweigen ist Gold und what you see is what you don’t get. So gilt
die Tautologie: Schumann ist Schumann, eine inzwischen weltweit verehrte Institution des gepflegten Trinkens, Autor eines Klassikers der Bar-Literatur, Model und selbst Regisseur – denn Charles Schumann inszeniert das Trinken und Zusammensein in seiner Bar am Münchner Odeonsplatz. Der Film zeigt uns, dass die Person mit dem Objekt und dem inzwischen weltweiten Ruhm verschmolzen ist – der Film reist gemeinsam mit Schumann durch die Welt. Die Kamera besucht Bars in New
York, Berlin, Paris, Havanna, und Wien. Oder auch in Tokio.
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»Bei Peter Sloterdjik heißt es: ›Es bleiben letztlich nur zwei Dinge, das Nichts und die bella figura.‹ Ist das Ihr Credo?«
»Kann man so sagen. Man muss Haltung haben. Deswegen mag ich es, dass alte Menschen in südlichen Ländern Schwarz tragen. Bei uns trägt man mit siebzig zu seinen Krampfadern kurze Hosen und papageienbunte Kurzarmhemden.«
Charles Schumann im SZ-Magazin
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Bei lässiger Jazz-Musik ist dies ein relaxter Film geworden; ein Film wie ein Abend in einer perfekten Bar, also einer Bar, in die man – wie es einmal im Film gesagt wird – auch allein hingehen kann, in der man genauso herumhängen kann, wie Arbeiten, zumindest dann, wenn man ein geistiger Arbeiter ist.
Denn das ist die andere Seite: Zwischen den Reisen sitzt eine Hand voll älterer Jungs im Münchner Schumann’s, redet, fachsimpelt, erinnert sich begeistert an die alten
Zeiten und lobt »den Charles«. Da ist der Schriftsteller Maxim Biller und der Feuilletonist Claudius Seidl, beides Männer der ersten Stunde der Schumann’s Bar in den 80ern, aber auch der Ex-FC-Bayern-Coach Pep Guardiola, eher einer jener Touristen, die den Stammgästen im Schumann’s vor allem auf die Nerven gehen.
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»Was hilft am besten gegen einen Kater: Konterbier, Bloody Mary oder Bullshot?«
»Aspirin vor dem Einschlafen und am nächsten Tag an die frische Luft. Beim Trinken kommt man am besten mit Bier klar, weil es leicht ist, bei der Dosierung die Übersicht zu behalten.«
Charles Schumann im SZ-Magazin
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Dies ist ein Insiderfilm geworden, von Freunden für Freunde, und eine Hymne auf Charles Schumann. Das »Ratpack« lässt grüßen, oh wie gerne wär' man Hemingway, und ist doch nur in München. Aber diese nicht mehr ganz taufrischen jungen Männer sehen gut aus, und sind charmant.
Schumanns Bargespräche ist alles in allem, das hat Ulrich Kiest im Filmdienst treffend bemerkt, eher ein Film mit Charles Schumann, als einer über ihn. Er ist auch hier der perfekte
Gastgeber: Immer präsent, aber nie aufdringlich im Mittelpunkt.
Tatsächlich im Zentrum steht »die Bar«, also die Idee einer perfekten Bar, der man sich, wie allen Ideen immer nur annähert. Für viele immer noch im Geruch des Halbseidenen, steht die Bar hier für Weltoffenheit, Toleranz und Liberalität. Sie ist ein Forum, ein öffentliches Wohnzimmer ein Ort des Geselligen wie des Unverbindlichen. Und ein Ort des Genusses.
Denn Schumanns
Bargespräche erklären auch, warum es in Deutschland so wenige, in Frankreich und in England so viele legendäre Bars gibt: Jede Bar erzählt eine Geschichte, Bars sind Orte der Libertinage, des Anti-Stresses – also genau das richtige in unseren hektischen Zeiten.
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»Bereits 1985, nur drei Jahre nach der Eröffnung des 'Schumann *fs', kündigten Sie im FAZ-Magazin an, München verlassen zu wollen: 'Vielleicht gehe ich in ein kleines, angerostetes Seebad am Atlantik, vielleicht nach Deauville, irgend so was. Eine kleine Bar in einer stillen Straße, wo man seine Ruhe hat, um die Sportzeitungen zu lesen, und wo man langsam auf den Tod warten kann.' Sind Sie seit 32 Jahren im falschen Leben?«
»Weiß ich nicht. Immerhin habe ich ein neues Hobby. Ich versuche, Japanisch zu lernen.«
Charles Schumann im SZ-Magazin