Der Schneeleopard

La panthère des neiges

Frankreich 2021 · 92 min. · FSK: ab 0
Regie: Marie Amiguet, Vincent Munier
Drehbuch: ,
Kamera: Marie Amiguet, Léo-Pol Jacquot, Vincent Munier
Schnitt: Vincent Schmitt
Filmszene »Der Schneeleopard«
König des Felsen
(Foto: MFA)

Auf subtiler Jagd

Der Schneeleopard sucht nicht nur nach einem Tier, sondern auch nach einem Stück Naturmagie. Herausgekommen ist ein berauschender Dokumentarfilm, der mehr zeigt als das, was vor die Kamera kommt

Immer wieder kommt doch dieses leise Bedürfnis, aus der schnell­le­bigen und mate­ria­lis­ti­schen Welt zu fliehen. Das ist nun auf zwei Arten möglich. Entweder man stürzt sich in die nächst­ge­le­gene ober­fläch­liche Ablenkung oder man sucht nach dem, was die Welt im Innersten zusam­men­hält. Der Natur­fo­to­graf Vincent Munier und der Schrift­steller Sylvain Tesson tendieren eher zu zweiterem und begeben sich in Tibet auf die Spur des Schnee­leo­parden.

Das cine­as­ti­sche Ergebnis dieser Reise ist bei Weitem mehr als ein bloßer Doku­men­tar­film über die Fauna. Der Schnee­leo­pard ist Medi­ta­tion für die Leinwand. Einein­halb Stunden, die kleine Blicke in Zusam­men­hänge eröffnen, die für den modernen Menschen höchstens zu erahnen sind. Keine Frage, das Ganze klingt nun ziemlich abgehoben. Doch die Bilder, die Munier und die fran­zö­sisch-schwei­ze­ri­sche Regis­seurin Marie Amiguet einfangen, lassen solche Asso­zia­tionen ganz von selbst aufkommen. Schon die Aufnahmen von Sand­s­türmen oder bloßen Fels­for­ma­tionen lassen einen in ihrer Erha­ben­heit verstummen. In ihrer hallu­zi­na­to­ri­schen Kraft erinnern sie schon an ein Meis­ter­werk wie Werner Herzogs Fata Morgana. Und natürlich sind da noch die Tiere, Wild­katzen, Yaks und Wölfe, die die tibe­ta­ni­sche Schnee­land­schaft regieren.

Nur der titel­ge­bende Schnee­leo­pard lässt auf sich warten. Aber doch beherrscht diese selten gewordene Spezies das gesamte Geschehen. Ob dieser auch wirklich gefunden wird, scheint mitunter fast neben­säch­lich. Bei einer solchen Unter­neh­mung liegt im Weg mehr als im Ziel. Kann man letzt­end­lich überhaupt in die Nähe von dem kommen, was man sucht? Das Ganze kommt sehr in die Nähe von dem, was Ernst Jünger in seinem Buch »Subtile Jagden« schreibt: »Was mit dem Tier gemeint ist, seinen Schöp­fungs­ge­danken, werden wir nicht erraten, auch wenn wir Milli­arden von Jahren durch­spähen. Das bleibt im Inneren der Natur.«

Trotzdem fiebert man natürlich auf die Entde­ckung hin. Wenn Munier und Tesson eine Spur im Schnee finden, bekommt das schon wirklich die Dimension einer heiligen Erschei­nung. Der wissen­schaft­liche Anteil wird in Der Schnee­leo­pard übrigens so gering wie nötig gehalten. Dass dieses Werk nicht zur totalen Esoterik-Soße verkommt, liegt zum einen an den atem­be­rau­benden Bildern, die jeden mit Hang zum Ästhe­ti­schen in ihren Bann reißen sollten, zum anderen an der Dynamik, die zwischen dem Duo herrscht. Man hat mitunter den Eindruck, der Schrift­steller und der Fotograf würden sich bereits ihr gesamtes Leben lang kennen. Dabei ist ihre Heran­ge­hens­weise zu Anfang unter­schied­lich. Während Tesson eher den Blick des Ästheten innehat, ist Munier jemand, der versucht, in das System der Tiere einzu­dringen. In der Realität sieht das so aus, dass man Stunden lang still verharrt und wartet, bis sich eines von ihnen vor der Kamera zeigt. Mitunter kommt man sich vor, als würde man persön­lich neben dem Duo im Schnee sitzen und sich genau wie sie über jede noch so kleine Spur freuen. Man glaubt auch mitunter, selbst einen neuen Blick zu entwi­ckeln. Einer­seits verliert man sich in den wunder­baren Bildern der Land­schaft, ande­rer­seits konzen­triert man sich immer gezielter auf neue Details, die sich plötzlich hervor­heben. Die Musik von Warren Ellis, samt einge­bun­denen Tier­lauten und Gesangs­ein­satz von Nick Cave, rundet das Geschehen ab, so dass wirklich das Gefühl aufkommt, alles wäre nur für diesen Film geschaffen worden.

Da ist es letzt­end­lich auch neben­säch­lich, ob wirklich alles dem Zufall über­lassen wurde. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wirkt Der Schnee­leo­pard verdächtig drama­ti­siert. Das ist jedoch nur ein kaum merk­li­ches Zähne­knir­schen, vergli­chen mit der sinn­li­chen Erfahrung, die dieser Film darstellt. Man geht aus dem Kino und fühlt sich gleich in der Stimmung, selbst auf die Suche nach etwas Mysti­schem zu gehen. Dazu muss man nicht gleich in Tibet einer Raubkatze nach­stellen, es reicht auch schon, filmische Kleinode zu entdecken, die für ein paar Stunden ein stress­freies Refugium bieten können. Der Schnee­leo­pard gehört ohne Frage dazu.