Der schlimmste Mensch der Welt

Verdens verste menneske

N/F/S/DK 2021 · 128 min. · FSK: ab 12
Regie: Joachim Trier
Drehbuch: ,
Kamera: Kasper Tuxen
Darsteller: Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum, Maria Grazia Di Meo u.a.
Filmszene »Der schlimmste Mensch der Welt«
Auf dem Weg zum schönsten Moment der Welt...
(Foto: Koch Films)

Liebe, Leben, Lorelei

Joachim Triers Liebes- und Lebensfindungsfilm ist nicht nur eine verspielte Neuerfindung der romantischen Komödie, sondern auch einer der zärtlichsten und klügsten Filme der letzten Monate

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so traurig bin;
ein Märchen aus alten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn.

– Heinrich Heine, Die Lore-Ley

Wenn man nicht wüsste, dass das alles eine Folge des florie­renden und intel­li­gent geför­derten Kinder- und Jugend­film­be­reichs in Skan­di­na­vien ist, könnte einem beim gegen­wär­tigen Erfolg des skan­di­na­vi­schen Films schon etwas mulmig werden, und das nicht nur im Vergleich zum deutschen (Kinder-) Film. Letztes Jahr hat Thomas Vinter­bergs Der Rausch alles abgeräumt, dieses Jahr sieht es nach dem Sieg von Ruben Östlunds Triangle of Sadness in Cannes nicht viel anders aus. In der Wett­be­werbs-Jury von Cannes saß dieses Jahr übrigens auch Joachim Trier, der 2021 mit seinem Film Der schlimmste Mensch der Welt das an Preisen abräumte, was Der Rausch übrig ließ. Was immer noch genug war.

Und das dann auch noch zu Recht. Denn was Trier, der übrigens nur ganz weit entfernt mit Lars von Trier verwandt ist, mit dem Abschluss seiner Oslo-Trilogie leistet, ist erzäh­le­risch so kluges wie bewe­gendes, ganz und gar großar­tiges Kino. Aller­dings war das nach den ersten beiden Teilen, Auf Anfang (2006) und Oslo, 31. August (2011), noch nicht so recht absehbar. Zwar hatte auch hier Eskil Vogt mit am Drehbuch geschrieben, Vogt, der erst letztes Jahr mit dem beein­dru­ckenden Horror-Thriller The Innocents auch als Regisseur auf sich aufmerksam machte. Und wie Verdens verste menneske handeln auch die ersten beiden Filme, ohne dabei inhalt­lich mitein­ander verknüpft zu sein, von jungen Menschen in einer nicht enden wollenden Lebens- und Liebes­krise, in der es mal um die Literatur (und künst­le­ri­schen Ausdruck an sich) und mal um die Vergan­gen­heit und ihre Schatten durch Familie und Freunde geht. Und natürlich auch um die Demas­kie­rung von system­im­ma­nenten Lügen wie in seinem Isabelle Huppert-Film Louder Than Bombs (2015), die durch gezielte Rede- und Wahr­heits­kon­fron­ta­tion, ganz im Sinne eines anderen, großen Skan­di­na­viers, Karl Ove Knausgård, erreicht wird.

Diese inhalt­li­chen Fokus­sie­rungen hat alle auch Triers neuer Film. Dennoch ist hier vieles anders in dieser Geschichte über die 30-jährige Julie (Renate Reinsve), die mit Aksel (Anders Danielsen Lie), einem 44-jährigen Under­ground-Comic-Autor, zusam­men­kommt. Während er immer berühmter wird, arbeitet sie weiterhin in einer Buch­hand­lung und versucht sich an iden­ti­täts-suchenden Artikeln für avant­gar­dis­ti­sche Online-Magazine. Dann lernt sie auf einer Party den jungen und ener­ge­ti­schen Eivind (Herbert Nordrum) kennen und die Perspek­tiven beginnen sich wie schon so oft in Julies Leben zu verschieben und sie fragt sich, ob sie im Grunde wieder etwas in ihrem Leben nicht geschafft hat, wofür es im Norwe­gi­schen die Umschrei­bung gibt, die den Titel des Films bildet: der schlimmste Mensch der Welt zu sein, weil er es mal wieder nicht geschafft hat.

Aus dieser Grund­kon­stel­la­tion, die im Grunde eine erzäh­le­risch etwas umfang­rei­chere Variante der zwei Vorgän­ger­filme ist, machen Vogt und Trier dieses Mal aller­dings noch viel mehr. Zum einen haben wir es hier fast mit einem klas­si­schen Bildungs­roman zu tun, um mal nicht den ausge­fransten Coming-of-Age-Begriff zu verwenden. Einen Bildungs­roman, der tatsäch­lich nicht nur die Reise eines Reifungs­pro­zesses eines Menschen, sondern gleich mehrerer Menschen zeigt und dabei auch die Reifung bzw. Verän­de­rung der modernen norwe­gi­schen Gesell­schaft zeigt. Ein Wandel, den auch Aksel zu spüren bekommt, als seine Comics irgend­wann nicht mehr positiv konno­tierter »Under­ground« sind, sondern sich moralisch von den neuen mora­li­schen Grenz­werten soweit entfernt haben, dass er den gnaden­losen Cancel-Culture-Mecha­nismen unserer Gegenwart zum Opfer und aus der Zeit zu fallen droht. Aber auch Eivind wird erzäh­le­risch mehr und mehr in Stellung gebracht, denn genauso wie Julie und Aksel ist auch er zunehmend verzwei­felt auf der Suche nach seiner Stellung gegenüber sich selbst, den gesell­schaft­li­chen Erwar­tungs­hal­tungen und der Erkenntnis, das wir alle dann doch mehr als eine Persön­lich­keit und mehr als ein Leben ins uns tragen.

Dieser Reigen aus Konflikten zwischen Leiden­schaft und Vernunft, Indi­vi­duum und Gesell­schaft erinnert immer wieder an eine moderne Variante von Goethes Wahl­ver­wandt­schaften, ist dann aber vor allem ein leiden­schaft­li­ches, inno­va­tives Bekenntnis zur roman­ti­schen Komödie, wie wir sie mit derartig klugen und zärt­li­chen Unter­tönen zuletzt in Lee Toland Kriegers Celeste & Jesse (2012) gesehen haben. Aber das war Amerika und ist auch schon wieder 10 Jahre her.

Und was Trier hier macht, ist dann auch mehr, was Krieger damals gewagt hat. Trier inte­griert animierte Momente (immerhin ist eine Haupt­person ja ein Comic-Autor), spielt mit der Nouvelle Vague, aber versucht dann mit einer fast über­bor­denden, irren Poesie auch etwas ganz anderes: über eine intensiv erzählte Party­szene gelingt es Trier etwa nicht nur von Sex zu erzählen, der ohne Sex funk­tio­niert, sondern auch von den Folgen, die das auslöst: und zwar in einer der schönsten Szenen des Films, in der plötzlich, so wie in Matrix, nicht nur ganz Oslo still­steht, sondern auch die alte Liebe und die Erwartung an eine neue Liebe still­steht und Julie sich – wieder einmal – entscheiden muss. Das ist von so aufre­gender, luzider Poesie und gleich­zeitig hyper­rea­lis­ti­scher Psycho­logie, dass einem ganz schwindlig wird vor so viel erzäh­le­ri­scher Finesse, und der Verlust an Gegenwart und irgend­wann auch Leben ganz egal ist.

Egal vor allem deshalb, weil es einen Erkennt­nis­ge­winn gibt. Und den gibt es wie im klas­si­schen Bildungs­roman mehr als genug, auch wenn es am Ende letzt­end­lich »nur« die gute alte Liebe ist, denn das erkennt Julie zusammen mit Aksel immerhin und gerade noch so. Dass nämlich die wahre Liebe (und eigent­lich jede Beziehung) jene ist, in der man der und die sein kann, die man nun mal ist. Das mag sich wie Wahrheit light anhören, wer jedoch die Romane von Knausgård gelesen hat, oder das filmische Werk von Joachim Trier gesehen oder einfach nur auf sein eigenes Leben, »so klein wie die welt und so groß wie allein« (1), blickt, weiß, dass das nicht nur die schlimmste, sondern auch die schwerste Sache der Welt ist.

(1): In e.e. cummings, gedichte; Verlag Volk und Welt, 1986.

Fräulein Julie

Widersprüchliche Existenz: Joachim Trier erzählt die Coming-of-Age-Geschichte einer jungen Frau

»O ich bin so müde; ich vermag nichts, ich vermag nicht zu bereuen, nicht zu fliehen, nicht zu bleiben, nicht zu leben, nicht zu sterben! Helfen Sie mir nun! Befehlen Sie mir, und ich werde gehorchen, wie ein Hund!« – August Strind­berg, Fräulein Julie

Am Anfang ein Bild, zu dem der Film nach Schleifen in die Vorge­schichte irgend­wann wieder zurück­kehrt: Eine junge Frau im Abend­kleid auf einer Anhöhe, einer Terrasse viel­leicht, über einer größeren Stadt, bei der es sich, wie wir bald erfahren, um Oslo handelt.

Ein program­ma­ti­sches Bild: Ein junger Mensch unserer Gegenwart, im bürger­li­chen Vorzei­ge­dress, gedämpft konser­vativ, noch nicht ganz erwachsen, aber geprägt vom Wunsch, als erwachsen wahr­ge­nommen zu werden, ausge­stattet mit allen Möglich­keiten, erhoben über den Rest der Welt; sein Gesicht unschuldig bis ausdruckslos, ohne irgend­eine Spur, die das Leben darin hinter­lassen hat, denn exis­ten­ti­ellen Ernst, den gibt es für diesen jungen Menschen nicht.
Ob es ihn dann, im Lauf des Film­le­bens gibt? Oder werden der Ernst und die Krise nur ange­schminkt? Nicht nur vom Drehbuch, sondern auch in der Selbst­wahr­neh­mung dieses jungen Menschen, den wir im Sinne des Filme­ma­chers als reprä­sen­tativ nehmen dürfen für seine Genera­tion.
Ist dies überhaupt ein Mensch? Oder doch eher ein Stand-In für allerlei Gedanken der beiden, die das Drehbuch schrieben?

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Dieser Film erzählt die Geschichte der Titel­figur, einer 24-Jährigen namens Julie, in zwölf Kapiteln. Der Titel – »Die schlimmste Person der Welt« – ist natürlich ironisch gemeint, und bezieht sich auf das Selbst­ge­fühl eines jungen Menschen, der seinen Weg noch nicht gefunden hat und mit sich selber hadert; aber er bezieht sich auch auf die Wahr­neh­mung, die wir Zuschauer im Kinosaal von ihr haben, zumindest zunächst: Julie ist einfach ziemlich nerv­tö­tend, weil sie nicht weiß, was sie will, weil sie alle 5 Minuten etwas ganz anderes macht und anfängt.
Erst will sie Ärztin werden, dann Psycho­login, dann Photo­gra­phin. Ja was denn nun? möchte man ihr zunehmend unge­duldig zurufen.

»Wann sollte das Leben eigent­lich beginnen?«, fragt die Erzäh­lerin bald darauf im Namen von Julie, und ihre rheto­ri­sche Frage täuscht über die offen­sicht­liche Tatsache hinweg, dass es bereits begonnen hat. Spätes­tens mit Beginn des Films.

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Sozial ist sie fast schon ein Chamäleon. Wenn die Aufmerk­sam­keit mal ausnahms­weise nicht ihr allein gilt, dann fühlt sie sich unwohl und verdrückt sich schnell, nur um sich anderswo dies Defizit stillen zu lassen. Dazu passt auch, dass sie, einem Parasiten gleich, sich gerne auf Partys einschleicht, auf die sie nicht einge­laden ist. Einfach um fremde Leben kennen­zu­lernen, sie anzu­pro­bieren wie einen Anzug, der, wenn er dann nicht passt, schnell wegge­schmissen wird. Das Leben als Spiel, als Jonglieren mit Variablen.
Gegen ein derar­tiges ästhe­ti­sches Verhältnis zum Dasein wäre an sich gar nichts zu sagen, solange es nicht auch andere Mitmen­schen einschließt, die dann darunter leiden, wenn sie merken, dass sie nur gerade mal kurz gepasst haben, nur mal kurze Zeit eine Kulisse waren im narziss­ti­schen Spiel einer anderen.
Julie ist, zumindest am Anfang dieses Films, toxische Weib­lich­keit pur, eine Frau, die verführt, die spielt, die eine »loose cannon« ist, die auch sich selbst jederzeit Schmerz bereiten kann, vor allem aber den Anderen.

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So beendet sie auch ihre Beziehung zu einem Comi­c­autor ohne rechten Grund zugunsten einer Party­be­kannt­schaft. Auch das geht schief.
Spuren hinter­lässt das alles allzu wenig im heiter-melan­cho­li­schen Gemüt der Haupt­figur.

Im Poten­ti­ellen lebt es sich besser als im Fakti­schen.

Trotzdem ist nicht etwa Ulrich, der in seiner Eigen­schafts­lo­sig­keit überaus souveräne Dandy und Möglich­keits­mensch aus Robert Musils »Der Mann ohne Eigen­schaften«, das Modell, nach dem diese junge Frau designed ist, sondern Strind­bergs gleich­na­mige Heldin »Fräulein Julie«, die höhere Tochter ohne Sorgen, aber mit Dienern, die einfach auch ein bisschen verrückt ist.

Es geht weniger um Möglich­keits­sinn als um Verzweif­lung und Unsi­cher­heit, weniger um das souveräne Verfügen und Spielen mit den Iden­ti­täten, es geht nicht um eine »liberale Ironi­kerin« im Sinne von Richard Rorty.
Die Julie dieses Films ist mit 25 genauso alt wie das »Fräulein Julie« bei Strind­berg, sie ist auch ähnlich burschikos, ein bisschen männlich sowohl in ihrem Verhalten, in ihrem Aussehen, sie nimmt die utopi­schen Verspre­chen aus Pop und Kunst allzu ernst.

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Zunächst scheint es, als ob aus dieser Kombi­na­tion von irrsin­nigem Ernst und Genera­tion-Z-Unfähig­keit, sich auf irgend­etwas einzu­lassen, dem zwang­haften Verlangen, alles immer wieder infrage zu stellen und zu rela­ti­vieren, nicht zuletzt sich selbst, dass daraus etwas Produk­tives entstehen könnte. Julie beginnt zu schreiben, und ihre Internet-Texte haben einen gewissen Erfolg. Keiner aber geht so viral wie »Oral Sex in the Age of #MeToo«. Aber auch daraus folgt nichts, außer ein paar Publi­kums­la­cher auf Kosten des Zeit­geists.

Der schlimmste Mensch der Welt ist insofern eine moderne Mischung aus Drama und Komödie über die Suche nach Liebe und Lebens­sinn im heutigen Oslo. Renate Reinsve bekam für diese Rolle den Preis für »Bestes Schau­spiel« beim Festival in Cannes.

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Regisseur Joachim Trier ist ein souver­äner Filme­ma­cher, einer der eine eigene Hand­schrift hat. Sein Film ist virtuos insze­niert, mit Mitteln der Nouvelle Vague: Zeit­s­prünge und einge­fro­rene Bilder, in denen nur die Haupt­figur sich bewegt – entzü­ckende Film­mo­mente, die aus den Konven­tionen ausbre­chen. Das ist nicht wirklich neu, sondern aus den Musicals von Stanley Donen und Jacques Demy entlehnt. Aber egal. Dieses Aufgreifen der Romantik der Nouvelle Vague gehört zu den besten und sympa­thischsten Einschlüssen in diesem insgesamt seltsam unent­schlos­senen, zwischen Stim­mungs­lagen und Möglich­keiten seltsam mäan­dernden Film.
Es ist aber eben auch genau diese eine Szene, in der die Welt einmal für ein paar Minuten komplett still­steht, und nur Julie und ihr zukünf­tiger Geliebter zwischen den wie Schau­fens­ter­puppen einge­fro­renen Menschen tanzen und komplett mit sich allein sind auf der stillen Welt, es ist diese Szene, die in allen Kritiken, auch den weniger wohl­wol­lenden, zitiert wird.
Sie steht leider nicht für den ganzen Film, sondern eher für die Ausnahme. Triers Film gehört zu jener Sorte Filme, die man gern vorbe­haltlos gut finden möchte, bei denen dies aber nicht recht gelingt.

Trier versucht sich in Der schlimmste Mensch der Welt zugleich daran, das zuletzt recht abge­nutzte Genre der »roman­ti­schen Komödie« wieder­auf­leben zu lassen. In einer zunehmend unsi­cheren Gegenwart scheint es wieder mehr Raum für deren utopische Verspre­chen zu geben, scheint der schnöde Realismus der akade­misch-coolen Alles­ver­steher zunehmend nicht mehr so angesagt.

Mit einer großen Eleganz spielt Trier mit den Spielen der Verfüh­rung, und mit den Formen und Mitteln des Kinos, während sein Film allmäh­lich die Komödie verlässt und sich in Richtung Drama bewegt.

Die zwölf Kapitel, die die Lebens­sta­tionen der Prot­ago­nistin markieren, sind damit vor allem die Chronik einer Genera­tion, die an der Schwelle zum Erwach­sen­sein stehen­bleibt.

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Unter der Hand macht der Norweger aber noch etwas völlig anderes: Über die Figur von Julies lang­jäh­rigem Lebens­ge­fährten, den Comi­c­autor Aksel, der am Ende des Films genau so alt ist wie der Regisseur bei Fertig­stel­lung des Films, also 20 Jahre älter als seine Freundin, und der ohne Frage Triers Alter Ego ist, beschreibt Trier auch das Lebens­ge­fühl vieler Menschen, die nicht mehr ganz jung, aber noch nicht alt sind: »Ich wuchs auf in einer Zeit ohne Internet und Mobil­te­le­fone«, erzählt Aksel. »Ich weiß, ich klinge wie ein alter Sack. Aber die Welt, die ich kannte, die gibt es nicht mehr. Sie ist verschwunden. Ich wuchs auf in einer Zeit, in der Kultur durch Objekte vermit­telt wurde.«

Eine gewisse Lange­weile mit der Welt, der Gegenwart, so wie sie heute ist. Auch mit den Jüngeren, die man allen­falls um ihr Alter beneidet, nicht aber um ihr Leben, ihr (weniger) Wissen, ihre (gerin­geren) Möglich­keiten. Und das Gefühl der Menschen, die heute zwischen 40 und 60 Jahre alt sind, langsam aus der Zeit zu fallen, langsam die Welt verschwinden zu sehen, in der sie aufwuchsen. Zugleich ihr Wille, dafür zu kämpfen, dass sie nicht verschwindet, und sich diese Welt zurück­zu­er­obern.

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Die frag­men­ta­ri­sche Natur der drama­tur­gi­schen Struktur des Films lässt uns spüren, wie die Jahre durch Julies Finger gleiten.
Allzu selten macht der Film sich die Mühe, die Existenz des Fort­schritts, der Moder­nität, darunter des Internets anzu­er­kennen oder sich ernsthaft damit ausein­an­der­zu­setzen, wie sehr es die Möglich­keiten erweitert hat, mit neuen Jobs zu flirten und mit völlig Fremden.

Julie ist eine Figur, wie aus dem Anfang des 20. Jahr­hun­derts, eine ein wenig unzu­frie­dene Liberale, die viele Pläne hat, die meistens scheitern, weil sie mit dem Risiko nur spielt, es aber scheut, wo es ernst wird. Sie ist letztlich sehr konser­vativ: Männer stehen für Lebens­ent­würfe, das Cock­tail­kleid fürs Erwach­sen­werden, und am Ende löst die Zeit die Haupt­pro­bleme, also die Entschei­dung zwischen Männern und die Kinder­frage.

In den letzten 20 Minuten klatscht der Film seine Offenheit mit philo­so­phi­schen Lektionen zu, denen wir alle gern zustimmen, die man sich aber ebenso leisten können muss wie die Kamera, mit der Julie dann irgend­wann etwas Distanz zwischen sich und das Leben bringt und damit Stabi­lität.