Spanien 2021 · 89 min. Regie: Adrián Silvestre Drehbuch: Adrián Silvestre Kamera: Laura Herrero Garvín Schnitt: Adrián Silvestre |
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Große Nähe zu den Protagonist*innen | ||
(Foto: Adrián Silvestre / DOK.fest München) |
Wie die namensgebenden Gesteinsschichten legen Yolanda Terol, Magdalena Brasas, Tina Recio, Saya Solana, Cristina Millán und Alicia Benito Schicht für Schicht ihr Wesen offen – in ihren Gesprächen eröffnet sich ebendiese Vielschichtigkeit der einzelnen Persönlichkeiten und damit auch die queerer Lebensrealitäten in Spanien.
Die sechs Frauen sind Mitglieder eines Transfrauenkollektivs und fahren in Magdalenas Heimatdorf in den Bergen von Castilla-León, um gemeinsam deren Geburtstag zu feiern. Alle Frauen haben unterschiedliche Lebenswege hinter sich, früh oder spät ihre Identität entdeckt, sich einer geschlechtsangleichenden OP unterzogen – oder nicht. Sie haben in der Prostitution gearbeitet, studiert, den Kontakt zur Familie abbrechen müssen oder halten können. Und sie alle haben Diskriminierung und Gewalt erfahren.
Silvestre kommt den sechs Frauen unglaublich nah. Dennoch scheinen sie zu keinem Zeitpunkt von seiner Präsenz und Laura Herrero Garvíns Kamera gestört. Die Frauen streiten sich, trinken zusammen, gehen zusammen auf Ausflüge, kuscheln und sprechen über ihre Vergangenheit auf der Suche nach Gemeinsamkeiten, die sie trotz ihrer Unterschiede verbinden. Sie zeigen sich pur und ungeschönt, mal nackt und mal stylisch aufgedonnert. Ihre Gespräche sind herzlich und rau, ehrlich und spitz.
Schuss und Gegenschuss – wie im Spielfilm – gepaart mit zahlreichen Nahaufnahmen vermitteln den Eindruck, als sei das Publikum Teil eines eingeschworenen Kreises, irgendwie Komplize und gleichzeitig beobachtende Instanz – teilhabend, aber nicht aktiv teilnehmend. Diese passive Rolle zwingt dazu, die Stimmen der marginalisierten Frauen bewusst zu hören und aktiv mit ihren Erfahrungen konfrontiert zu werden.
So tappt der Film eben nicht in die Repräsentationsfalle. Statt zu viktimisieren und pathologisieren, behalten die Frauen selbst in den intimsten Momenten die Souveränität und Kontrolle über die Situation. Der Film ist ein glänzendes Beispiel für die adäquate mediale Darstellung von Transpersonen; vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Dreharbeiten vor der Vorlage des Gesetzentwurfs des »Ley Trans«, dem spanischen Trans-Gesetz, im Jahr 2021 stattfanden.
Der Entwurf beinhaltete unter anderem umfassende Selbstbestimmungsrechte für Transpersonen. Sie sollten somit ohne vorherige hormonelle Therapie oder medizinische Gutachten das ihnen zugeschriebene Geschlecht ändern dürfen. Eine ausdrückliche Erklärung sollte ausreichen. Das Gesetz markiert einen großen Schritt hin zur Entpathologisierung von Transpersonen, deren Identität nicht nur in Spanien noch immer als »krankhaft« verstanden wird.
Kritik am Gesetz wurde sowohl aus konservativen als auch aus linken feministischen Kreisen laut. In der Frauenrechtsbewegung fußten die Äußerungen auf der Befürchtung, alle bisherigen Erfolge im Kampf für die Gleichberechtigung der Frau würden zunichte gemacht, wenn jede beliebige Person ihr Geschlecht ändern könne.
In diesem Kontext leistet Sedimentos einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von queeren Lebensrealitäten und wird nicht ohne Grund als einer der wichtigsten nicht fiktionalen Filme des Jahres 2021 bezeichnet. Statt Berührungsängsten nachzugeben, geht der Film offen in den Diskurs und zeigt Transfrauen als Individuen, die alle eine eigene Vorstellung ihrer Geschlechtsidentitäten haben.