Deutschland 2019 · 88 min. · FSK: ab 16 Regie: Pia Hellenthal Drehbuch: Pia Hellenthal, Giorgia Malatrasi Kamera: Janis Mazuch Schnitt: Yana Höhnerbach, Friederike Dörffler, Lucas Schmidt |
||
Selfie oder Spiegelstadium? Pia Hellenthals Searching Eva (Foto: UCM.ONE) |
Regisseurin Pia Hellenthal setzt die Fragmente einer jungen Frau zusammen, die zwischen Umziehen (dem move, der Bewegung), der Instagram-Welt, Partys, ihrer Arbeit als Model, als Sexarbeiterin und ihrer Vergangenheit wechselt. Eva setzt modular ihr Leben zusammen und lässt alle daran teilhaben, auch die Filmemacherin, die in ihrem Film genau das versucht: aus Einzelteilen und Wiederholungen eine Identität zusammenzusetzen, die eben nicht mehr dem linearen Werdegang eines Menschen der Moderne entspricht, in dem die Identität und deren Stabilität ein Gut an sich ist, bebildert im Eigenheim und dem Job auf Lebenszeit, sondern als postmoderne Identitätsfindung/-schaffung.
Searching Eva ist im besten Sinn ein Porträt mit der Porträtierten und nicht über sie. Zumindest für mich. Fragen von Zuschauer*innen kreisen immer wieder gerade um moralische Fragen: Inwiefern wird Eva ausgestellt? Muss man die Protagonistin vor sich selbst schützen, wenn sie z.B. vor der Kamera Drogen nimmt, oder über ihre Sexarbeit spricht, oder gerade beim Arbeiten ist? Ja, darüber muss man nachdenken. Unbedingt. Allerdings ist hier eine die meiste Zeit sehr selbstreflexive und selbstbewusste Eva zu sehen – und darüber hinaus eine Person, die sich wahrscheinlich besser mit ihrem Bild und dessen Erscheinen in verschiedenen Kontexten auskennt, als die meisten von uns. So ist das mit dieser Generation: klar kann durch das Aufwachsen mit den digitalen Medien eine gewisse Unbedachtheit und Naivität einhergehen, aber sie lernen eben auch viel stärker, wie Bilder funktionieren und wie sie genutzt werden können: sie filmen und schneiden selber. Heutige Filmschaffende müssen sich mit der Demokratisierung der Produktionsmittel auseinandersetzen. Das macht die Arbeit nicht leichter oder schwieriger, es macht sie nur anders.
Interessanterweise kommt beim Publikum auch die Stimmung auf, dass man nicht das Gefühl habe, Eva wirklich näher gekommen zu sein. Das alte Lied: Hinter die Fassade blicken, die Wahrheit hinter der Oberfläche sehen. Was heißt dieses »die Wahrheit finden«? Ist es wichtig, Eva weinen zu sehen (um mal beim Offensichtlichsten zu bleiben)? Sie nackt zu sehen (nicht körperlich nackt)? Ist das nicht ausstellen?
Searching Eva ist eine Kollaboration zwischen Eva und Pia, eine Komplizinnenschaft zwischen zwei Frauen, die uns Zuschauer*innen zum Nachdenken über unsere eigenen Identitäts-Module bringt.
Dunja Bialas über das Filmgespräch zu Searching Eva bei der 43. Duisburger Filmwoche:
Die vitalen Gesprächsprotagonist*innen Pia Hellenthal, Regisseurin von Searching Eva, und ihre Cutterin Yana Höhnerbach strahlten eine große Lust am Podium und Publikum aus. So ergab sich eine lebendige, an den Kern des Films heranreichende Diskussion, als Moderator Alejandro Bachmann die Frage nach dem Authentischen der Figur stellte und den dokumentarischen Wahrheitsanspruch ins Feld führte, den der Film nicht eingehalten hätte. Cutterin Yana Höhnerbach rollte gequält die Augen – was dem Moderator aufgrund der Sitzordnung leider entging. Zumindest aber war das Meta-Thema des Films gesetzt. Hellenthals Film kreist um die Italienierin Eva Collé, eine wahlweise cleane oder drogenabhängige Bloggerin und genderbefreite Sexarbeiterin, die sich immer wieder neu erfindet. Hellenthal hat die Zersplitterung der Eva in einem fragmentarisch-kaleidoskopischen Film-Feuerwerk umgesetzt, wo jede Szene eine neue Facette der Protagonistin eröffnet, ohne jemals zum Abschluss zu führen. Weder macht die Figur Fortschritte, noch tappt der Film in die Falle der therapeutischen Sitzung, was bei problembeladenen Figuren im Dokumentarfilm bisweilen passiert – eine Backstory Wound deutet sich höchstens an. Wir begegnen Eva als starke Persönlichkeit, so stark, dass die Frage aufkam, ob sie nicht als Co-Regisseurin gewirkt hätte. Der ordnende Eingriff in der Postproduktion, wo der Film seine Gestalt erst annahm, wurde als Gegenbeweis angeführt. Aus den vielen gedrehten Szenen und statischen Tableaux, in denen Eva für die Kamera posiert, als wäre sie die Verlängerung ihres Instagram-Accounts, ergibt sich so ein offenes, bewusst fragmentarisch gehaltenes Portrait nicht von Eva, sondern von einer viele Grenzen überschreitenden »Existenz«, wie Hellenthal betonte. In der Tat: Auf übermoderne Weise erfindet sich Eva immer wieder neu. Kategorien spielen hier keine Rolle und schon gar nicht die der »Wahrheit« über ihre Person.