USA 2003 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Keith Gordon Drehbuch: Dennis Potter Kamera: Tom Richmond Darsteller: Robert Downey Jr., Robin Wright Penn, Mel Gibson, Jeremy Northam u.a. |
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Aberwitzige Krimiwelt: Robert Downey Jr. |
Gerne nimmt sich das Kino den Träumern an, denjenigen, die sich mit bunten Bildern aus ihrem eintönigen Dasein heraus phantasieren. Die kleine Dorothy im Zauberer von Oz mit ihrem Ausflug ins Wunderland ist wohl die Ur-Mutter all dieser Gestalten. Bertoluccis jugendliche Träumer waren vor kurzem wieder ein Zweig der Nachkommenschaft, im Universum Film ihre Zuflucht suchend. Auch Dan Dark ist nun so ein Träumer, jedoch im Vergleich zur Kino-Verwandtschaft mit existenziellen Problemen – diesseits wie jenseits der Vision. Dark liegt mit schwerem Hautleiden im Krankenhaus, eine Schuppenflechte hat seinen Körper mit einer weiß-roten Schale verkrustet, in der er sich kaum bewegen kann. Der Tod ist nah – auch in seinen Träumen: Dort wartet eine düstere Krimi-Welt auf ihn. Mit üblen Killern, weiblichen Wasserleichen und ungelösten Fällen. Es ist Darks eigene Geschichte, die der erfolglose Autor von Kriminalromanen phantasiert. Wenn das Krankenhaus in seinem Delirium nicht gerade zu singen und tanzen beginnt.
The Singing Detective ist eine Hollywood-Adaption der gleichnamigen englischen TV-Serie aus den Achtzigern von Dennis Potter, die dort und in Amerika ein riesiger Erflog war. Nun hat Potter auch das Drehbuch für den Film unter der Regie von Keith Gordon geschrieben, die Handlung in die Fünfziger Jahre verlegt. Produziert wurde er von Mel Gibsons Icon Produktion, die mittlerweile mit Atom Egoyans Felicia, mein Engel, Wim Wenders' The Million Dollar Hotel oder bald David O. Russels I Heart Huckabees eine genreübergreifend Vorliebe für Filme entwickelt hat, die ihre Intensität aus der Spannung zwischen verrückten Kopfwelten und der Realität gewinnen. In The Singing Detective geht es um den Kopf von Robert Downey Jr. als Dan Dark, der anfangs derart grausam mit Ausschlägen übersät ist, dass Darks Selbstbenennung als »menschliche Pizza« ihn nur als Zyniker im Endstadium kennzeichnet. Noch bevor der Zuschauer aber den monsterhaften Autor zu Gesicht bekommt, verfolgt er die smarten Adrien Brody und Jon Polito durch die Nacht. Beide mit dunklen Anzügen, Hüten und Zigarette perfekt in eine Film-Noir-Szenerie getaucht, die nur aus Dunkel und Hell, Laut und Leise besteht. Sanfte Bar-Atmosphäre hier, ein grausamer Mord an einer Prostituierten dort. Alles im Zwielicht der Unterwelt, im Klang des legeren Swing.
Die Brüche mehren sich, in immer neue Richtungen führen die kranken Bilder. In dem Krimi, den Dark leidend vor sich hin stöhnt, nimmt ein äußerst attraktiver Downey Jr. als cooler Detektiv selbst die Fährte der Frauenmörder auf. Während, zurück in der scheinbaren Realität, reihenweise Ärzte im mintgrünen Krankenhauszimmer vor dem hoffnungslosen Patienten und seiner Aggressivität kapitulieren, vor allem dessen fiebrige Fantasie nicht in den Griff bekommen. So wird ein kleinen Doktor plötzlich zur Femme Fatale, bevor sich die ganze Klinik in ein Tollhaus der Heiterkeit verwandelt, zum beschwingten 50er-Jahre-Sound einer Rock'n'Roll Band die Kranken in lebhaften Choreographien hin und her schiebt. Die Musical-Welt hat eine eigene Bühne, dort am Mikro: natürlich der stimmgewaltige Dan Dark selbst. Endgültig hat sich The Singing Detective zum Parade-Genre der Träumer gewandelt. Dennoch fallen auch anschließend immer mehr düstere Bilder über Darks Bewusstsein und das sich anbahnende heitere Musical her. In überhitzten Brauntönen: Rückblenden an seine Kindheit in einem Wüsten-Kaff. Der schuftende Vater und die untreue Mutter in schier endlosen Wiederholungen.
Diesem mit pulsierenden Bildern angefüllten Kopf kann nur ein ähnlich verrückter Geist helfen. Dafür hat sich Mel Gibson zu einem dicklichen Dr. Gibbons verunstaltet. Mit stark vergrößernder Nickelbrille, tiefen Stirnfalten, Halbglatze und Buckel beobachtet er hinterlistig den einsamen Kranken, bevor er eingreift. Gibbons Geheimnis: die Hermeneutik. Als einer der wenigen hat er Darks Krimi The Singing Detective gelesen und dabei viel Biographie entdeckt. In bester Freudscher Manier forciert er nun von Dark die Erinnerung an eine üble Kindheit und bringt so dessen Phantasien gehörig durcheinander. In der Kindheit tauchen plötzlich die beiden Krimi-Bösewichter auf, trösten den kleinen Dan; die Prostituierten in den nächtlichen Schluchten seiner Geschichte tragen das Äußere seiner Mutter. Darks Traumwelten stehen kurz vor der Explosion – ebenso der Film.
Jedoch kommt es zum Triumph der Psychoanalyse: das Ineinandergreifen von Erinnerung und Erzählung, von Realität und Fiktion bringt den Heilprozess von Dark in Gang, dem Traum wird das Trauma ausgetrieben. Downey Jr. und Gibson singen zusammen lippensynchron Three Steps to Heaven, Eddie Cochrans Rockabilly-Schmeichler von 1959, während Dark den Rollstuhl verlässt. Dass sein Krimi auf Kindheitserlebnissen beruht, und sich letztlich alles um Sexualität und Macht dreht, darum geht es auch in den weiteren Krimi-Episoden von The Singing Detective. Darks zauberhafte Ehefrau tritt auf, und wieder spielt seine Fantasie verrückt, wenn er sich Robin Wright Penn bei einer harten Nummer mit einem Filmproduzenten vorstellt, der es auf Darks Drehbuch abgesehen hat. Längst muss der singende Detektiv nicht nur in den Kopfwelten, sondern auch in der Wirklichkeit nach dem Rechten sorgen, damit das Drehbuch nicht in fremde Hände gerät. Die Gangster schleichen schon durchs Krankenhaus.
Warum es The Singing Detective am Ende nicht schafft, seine irre Handlung in den Griff zu bekommen, liegt wohl weniger am permanenten Wechsel und Ineinander der Erzählstränge. Vielmehr bekommt der Genre-Überfluss dem Patient Film hier nicht gut. Die Musical Sequenzen sind klassisch inszeniert, mit den vorhandenen Krankenhausutensilien tanzt man aberwitzig in die Phantasie. Die Welt wird zur Bühne – das gleiche geschieht aber auch in Darks Krimigeschichte mit der Fantasie. Bewusst ist der Film Noir hier bloß Kulisse, sind Räume nur mit zwei Wänden ausgestattet, über die die Kamera dann wie bei einem Puppenhaus senkrecht hinüber gleiten kann. Zu viele Bühnen machen aber jede Lebendigkeit zunichte. Ein weiteres Problem liegt in der Musik. Dass der Rock'n'Roll der Fünfziger düstere Identitätsvisionen gehörig in Fahrt bringen kann, zeigte zwar schon Lynchs Mulholland Drive, dort aber im Wechsel mit Badalamentis beängstigenden Klanggebilden. Auf sich allein gestellt, lässt der erfrischende Boogie in The Singing Detective wenig Noir-Bedrückung aufkommen, und kann weder die schmerzhaften Bilder vom Kindheitstrauma integrieren, noch die abschließende totale Konfusion von Schein und Sein zusammen halten.