Sigmund Freud – Freud über Freud

Sigmund Freud, un juif sans Dieu

Frankreich 2020 · 99 min. · FSK: ab 12
Regie: David Teboul
Drehbuch: ,
Kamera: Martin Roux
Schnitt: Caroline Detournay
Filmszene »Sigmund Freud - Freud über Freud«
Freud und Freud und doch nicht Freud
(Foto: Film Kino Text)

Der Mann mit dem Hund

David Teboul erinnert in seiner Sigmund-Freud-Doku zwar daran, wie gegenwärtig Freud weiterhin ist, verliert sich aber in assoziativer Beliebigkeit und reproduziert alte Stereotypen

Viel­leicht kann man es so banal runter­bre­chen: es ist schwer mit Freud seine Freude zu haben. Nicht nur eine klas­si­sche Analyse (nach Freud) ist für gewöhn­lich harte Arbeit, nein, auch die mediale Ausein­an­der­set­zung ist nicht einfach, weil Freud nun einmal kein einfacher Mensch war. Sein Schaffen, seine Schriften und seine Persön­lich­keit haben zu legen­dären Spal­tungen und Abspal­tungen seit der ersten struk­tu­rellen Orga­ni­sa­tion der Psycho­ana­lyse, der Psycho­lo­gi­schen Mittwochs-Gesell­schaft geführt, wovon die Abkehr von C.G. Jung nur die bekann­teste war und dementspre­chend durch die Öffent­lich­keit gespie­gelt wurde. Weil das alles so endlos verschach­telt und kompli­ziert ist, scheint sich kaum wer die Mühe machen zu wollen, wirklich in den unter­be­wussten Tiefen zu buddeln. Die Freud-Serie auf Netflix etwa war ein ober­fläch­li­ches Total­ver­sagen. Auch deshalb war die Hoffnung groß, dass es über einen doku­men­ta­ri­schen Ansatz viel­leicht besser laufen könnte.

Der fran­zö­si­sche Regisseur David Teboul hat sich dieses Unter­fan­gens nun ange­nommen, und was im Vorfeld darüber verlautet wurde, machte tatsäch­lich Hoff­nungen. Zwar wollte Freud nur ungern foto­gra­fiert und gefilmt werden, doch nach langer Suche hat Teboul tatsäch­lich einen Fundus an Aufnahmen zusam­men­ge­tragen, die zwar mehr Freuds Chow-Chow namens Jofie zeigen und die immer wieder aufop­fe­rungs­volle Tochter Anna Freud, die den immer stärker krän­kelnden Freud umsorgt, doch es bleiben rare Aufnahmen, die den immer noch leben­digen Freud seit den Anfängen seiner Karriere in Wien bis zu seinem Tod 1939 in London zeigen.

Es ist nicht viel Material, weshalb Teboul die einge­spro­chenen Tage­buch­pas­sagen und Briefe sehr asso­ziativ mit Doku­men­tar­film­auf­nahmen aus den jewei­ligen Jahren garniert hat und diese zusätz­lich in hypno­ti­sie­render Zeitlupe präsen­tiert. Dadurch wird der lyrisch-asso­zia­tive bzw. thera­peu­ti­sche Charakter des Films sehr deutlich, der von Teboul auch so inten­diert ist: »Der Film geht von objek­tiven Grund­lagen aus, ist aber gänzlich subjektiv, wie eine psycho­ana­ly­ti­sche Sitzung. Ein Film, in dem auch der Zuseher selbst unbewusst eine Art Analyse durch­macht.«
Verstärkt wird die Wirkung noch einmal­durch die hervor­ra­genden Schau­spieler, die Teboul zum Einspre­chen der Texte hat gewinnen können – in der fran­zö­si­schen Fassung Catherine Deneuve, Isabelle Huppert und Mathieu Amalric, in der deutschen sind u.a. Birgit Minich­mayr und Johannes Silber­schneider mit dabei.
Das funk­tio­niert in Ansätzen sehr gut, auch weil Teboul auf das Kern­schaffen von Freud rekur­riert und wir wieder einmal fest­stellen dürfen, dass Freud und seine Ideen aktueller nicht sein könnten und als Canvas zu so ziemlich allem dienen können, was gerade passiert, man einen Film wie Phan­tas­ti­sche Tierwesen – Dumble­dores Geheim­nisse, aber auch den Ukraine-Krieg im Kern als eine düstere Kapi­tu­la­tion vor dem mensch­li­chen »Ur-Dilemma«, den verin­ner­lichten Natur­ge­walten von Eros und Thanatos, Lebens­trieb und Tode­s­trieb sehen kann, die Sigmund Freud so ernüch­ternd wie klar in seiner Abhand­lung Jenseits des Lust­prin­zips 1920 formu­liert hatte.

Aller­dings lassen sich diese Freud-Basics aus jedem Wikipedia-Beitrag über Freud gene­rieren, ist Wikipedia tatsäch­lich eine umfas­sen­dere Quelle und hat man sich tatsäch­lich erst einmal auf die Suche begeben, macht einen dann doch stutzig, was Teboul für seinen subjektiv-analy­ti­schen Film­an­satz alles an Infor­ma­tionen geopfert hat.

Nicht nur sehen wir Freud auf seine Beziehung zu seinen Hunden und die zahl­rei­chen anderen »Helfer­lein« in seinem Leben reduziert, sondern vor allem eine fast strä­fliche Verein­fa­chung der Beziehung von Freud zu seiner Tochter Anna, seinem wohl größten »Helfer­lein«. Zwar ist schön, dass Teboul Freud auch aus den Augen seiner Tochter Anna Freud erzählen will, dass wir die schöne Anna in ihrer dem Vater zuar­bei­tenden und unter­stüt­zenden Art auch endlich einmal in alten Film­auf­nahmen zu sehen bekommen, doch mehr als das erfahren wir nicht.

Wir erfahren zwar Freuds Ausspruch, dass Anna bei all dem Helfen für ihren Vater keine Zeit für einen Mann hat, wir erfahren aber nicht, dass Anna Freud sich von ihrem Vater durchaus eman­zi­piert hat, dass sie von etwa 1925 an mit der New Yorker Millio­nen­erbin Dorothy Tiffany Burlingham zusam­men­lebte, zwar offiziell ein Outing vermied, doch das lag wohl auch daran, dass das Umfeld der Psycho­ana­lyse dafür nicht bereit war – denn die Homo­li­be­ra­li­sie­rung musste erst noch weit­ge­hend gegen den psycho­ana­ly­ti­schen Main­stream erkämpft werden, war es doch bis vor kurzem Nicht­he­te­ro­se­xu­ellen kaum erlaubt, von den Berufs­ständen der Psycho­ana­ly­tiker als Kollegen akzep­tiert zu werden. Was umso erstaun­li­cher ist, als Freud 1905 in seinen Drei Abhand­lungen zur Sexu­al­theorie schrieb, dass der Mensch kein sexuell natür­li­ches Wesen sei, sondern mit »polymorph-perversen« Trieben geboren werde – die biolo­gi­sche Art der Sexu­al­ob­jekte sei ihm einerlei. Hetero oder homo, männlich oder weiblich, das Sexuelle ist nichts als eine kultu­relle Einschrei­bung, ist also alles andere als Teil der mensch­li­chen Genetik.

Wir erfahren aber auch nicht, dass die spät, zeit­gleich mit der Psycho­ana­lyse geborene Anna eine der großen Grün­de­rinnen der Kinder­psy­cho­ana­lyse ist und sich bei der Entwick­lung der Kinder­psy­cho­ana­lyse in einigen Punkten kate­go­risch von den Annahmen (siehe etwa Freuds Pati­en­ten­ge­schichte vom kleinen Hans) ihres Vaters abgrenzte. So betrach­tete sie Kinder »nicht als kleine Erwach­sene«, sondern als unreif, die man dementspre­chend anders behandeln muss. Und dass es schließ­lich auch Anna war, die im Jahr 1936 Das Ich und die Abwehr­me­cha­nismen veröf­fent­liche, heute eines der Grund­la­gen­werke der Psycho­ana­lyse, in der sie die zehn grund­le­genden psycho­lo­gi­sche Abwehr­me­cha­nismen beschreibt; heute schon fast Stamm­tisch­wissen, von dem jedoch viele nicht wissen, dass es Anna Freud zu verdanken ist.

Spätes­tens an diesen unge­heuren Auslas­sungen wird deutlich, dass Teboul hier ein fast schon uner­trä­g­lich konser­vativ-klas­si­sches Bild der Geschichte der Psycho­ana­lyse bedient. Dabei hätte es bei all den Fakten, die verfügbar sind, auch ein so klug hinter­fra­gender Film sein können wie der von Daniel Howald und Martin Miller über dessen Mutter Alice Miller, Who’s afraid of Alice Miller?, ein Film, der in seiner Suche nach der Wahrheit über die große Psycho­login Alice Miller auch nicht vor den ambi­va­len­testen Wahr­heiten zurück­schreckte, ein Film, der nach­denk­lich machte, der so wie er verstört auch versöhnt. Sigmund Freud – Freud über Freud gelingt leider nichts davon.