USA 1999 · 107 min. · FSK: ab 16 Regie: M. Night Shyamalan Drehbuch: M. Night Shyamalan Kamera: Tak Fujimoto Darsteller: Bruce Willis, Toni Collette, Olivia Williams, Haley Joel Osment u.a. |
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Bruce Willis und Haley Joel Osment |
Auszeichnungen und öffentliche Ehrungen sind der Anfang vom Ende. Angesichts dieser Tatsache darf man also getrost noch mal die Wohnzimmerlichter dimmen, sanfte Musik auflegen und in den Keller, in die Dunkelheit tappen, um die staubige Flasche guten Weines aus dem Regal zu nehmen. Alles wird anders. Nix wird gut. Geisterstunde.
Dr. Malcolm Crowe hat es geschafft. Der Kinderpsychologe ist der Beste seines Faches und das hat er nun auch schriftlich bekommen. Eine recht ansehnliche Ehrung hat ihm die Stadt Pittsburgh zukommen lassen, in schwerem Silber edel graviert, fein gerahmt das Alles, und irgendwie geht der Doktor bereits ganz auf, ganz ein in diese Rahmung, wie er sich so mit seiner Frau in der matt glänzenden Fläche spiegelt. »This is real«, sagt sie stolz in die Betrachtung ihres Spiegelbildes versunken. Eine Art sechster Sinn, der da durch Mrs. Crowe spricht und den gesamten Film durchzieht, geisterhaft, als doppelter Boden. Man kann The Sixth Sense aus vielerlei Perspektiven betrachten: Gruselgeschichte, Bruce-Willis-Film und auch immer als kleine Philosophie zum Wesen des Kino selbst, in dem Bilder eine einmalige Realität gewinnennicht spukhaft imaginär, sondern ganz materiell begreifbar, technisch produzier- und reproduzierbar. Kino ist, immerhin, das einzige Medium, das Geisterscheinungen aufzuzeichnen versteht.
Wie nun das Ehepaar so fein bürgerlich auf dem Sofa beisammen sitzt und sich erfreut am beruflichen Erfolg des Hausherrn, ballen sichunsichtbar zunächst die Schatten zusammen über dem Haupt des Jubilars, nehmen die Grauzonen Gestalt an, die so sorgfältig verdrängt wurden aus der preisgekrönten Karriere. »This is real« ist auch ein kühner Ausschlusssatz von dieser Warte aus betrachtet. Irgendetwas muss ausserhalb des Rahmens, muss irreal bleiben. Aber wie es das auf sich hat mit den Geistern der Vergangenheit können die durchaus sich wieder ins Bild drängen. Ein splitterndes Fenster, unheimliche Geräusche, spukhafte Manifestationen unterbrechen die Feierstunde im Heim der Crowes. Vincent Gray ist der dunkle Punkt in Crowes Laufbahn, ein ehemaliger Patient, an dem die Künste des Doktors ihre Wirkung verfehlt haben. Jetzt hat er den psychologischen Eingriff ins Bewusstsein ausgetauscht gegen bewusstseinsverändernde Rauschmittel. Und er hat »this is real!« eine Pistole dabei.
Die Amerikaner haben eine eher pragmatische Einstellung zu dem Spukhaften, den Gespenstern. Oscar Wilde (auch ein grosser Psychologe) hat das richtig diagnostiziert, hat in einer ganz und gar aufgeklärten Fallstudie dargelegt, wie die Vertreter der neuen Welt umgesprungen sind mit dem Ghost of Canterville. Armes Gespenst, das doch nichts anderes wollte, als ein bisschen Grusel, ein bisschen Gänsehaut verbreiten. Aber was will man machen mit abgebrühten Yankees, die dem grausigen Blutfleck auf den Dielen des Rittersaales mit Fleckenmittel zu Leibe rücken? Allerdings haben die Amerikaner, das versöhnt wieder etwas mit ihrer Skrupellosigkeit, auch ein tiefes Bedürfnis nach der Erlösung. Ein schrecklich harmoniesüchtiges Volk, genau betrachtet. Und weil zur Erlösung ein gewisses Mass an Unschuld gehört, eignen sich Kinder besonders gut als Katalysatoren. Wilde hat das vorgemacht, wie die Kleinen Mitleid haben mit dem armen Gespenst von Canterville. Und auch Dr. Crowe sucht jetzt Hilfe bei einem Patienten.
Der Junge Cole Sear sieht Gespenster. Das kommt zumeist ungelegen. In der Schule zum Beispiel, wo der Geschichtslehrer gar nicht so gerne hören möchte, dass in just seiner Bildungsanstalt vor nicht langer Zeit noch Gefangene gefoltert wurden. Vaterlos wächst Cole bei seiner Mutter auf, die selbst gepeinigt ist von der Schatten der Vergangenheit. Ausserdemwelche Mutter würde das nicht bedingungslos unterschreibenmuss der Nachwuchs nicht erst mit Toten plaudern, um den alten Herrschaften ab und an unheimlich zu werden. Wenn er den Junge retten könnte, so die gar nicht uneigennützige Überlegung Crowes, könnte er sich das als Wiedergutmachung anschreiben lassen, Ablass für die Sünde unterlassener Hilfeleistung, der er sich im Fall des Vincent Gray schuldig gemacht hat.
Bruce Willis bracht Hilfe. Diese Grundkonstellation allein lässt The Sixth Sensebereits im Licht der Sensation erscheinen. Eben noch hatte er die Welt vor dem Untergang gerettet, den Armageddon abgewendet. Eine Vater-Sohn-Geschichte auch das, nicht nur hinsichtlich der christlichen Symbolik. Anlässlich der finalen Rettungsaktion jedenfalls musste Bruce zum Messias werden, zur Christusfigur, was übrigens Michael Bay viel schöner, pathetischer und sentimentaler gelungen ist als kürzlich Peter Hyams, obwohl der ja mit Arnie einen zweiten Last Action Hero zur Verfügung hatte. Jetzt aber muss Bruce die Kinderlein zu sich kommen lassen, um sich auszusöhnen mit der Welt. Erlösung dem Erlöser.
Im Kino hat die Frage nach dem Sein oder Nicht-Sein mit der Wirkung der Bilder zu tun. Star-Qualität ist etwas, was man zum Glück – rational niemals richtig zu fassen bekommt. Wer die grossen Schauspieler sucht auf der Leinwand, der hat das Prinzip Kino nicht verstanden. Wir werden also die Frage nicht klären, ob Bruce Willis ein begnadeter Mime ist. Er ist einer der grössten Stars der 90er und weil sich jede Zeit und jedes Publikum die Stars selber bäckt (Hollywood funktioniert allen Unkenrufen zum Trotz demokratischer als man denkt), kann man sich durchaus fragen, was wir so schätzen an dem Helden von Die Hard oder Last Man Standing, Armageddon und Mercury Rising. Willis ist, in einer Zeit der virtual realities, der obszessiven Suche nach Unterscheidungskriterien zwischen Spiel und Realität, ganz und gar Körper, ganz und gar Physis. Unkaputtbar, am Schönsten anzusehen im proletarischen Unterhemd-Schmuddel-Look, einfach nicht tot zu kriegen, schon gar nicht nach den Gesetzen der Logik. Man muss spasseshalber die Die Hard-Trilogie nur einmal studieren unter den Gesichtspunkten der Serialität und Wiederholung: kein David Cronenberg könnte philosophischer werden als Bruce, wenn der mit stoischer Gelassenheit durch diese Filme stapft und nur mal eben so mit sich selber redet: »How could the same shit happen to the same guy twice?« Das ist Existenzialismus, wie ihn neben Bruce so unverfälscht nur Nietzsche in seinen Aphorismen auf die Reihe gekriegt hat.
An die Vorstellung, dass Bruce auch einen Doktor der Psychologie abgeben könnte, muss man sich erst gewöhnen (in The Color of Night hat man ihm das ja nicht wirklich abkaufen wollen, der Film hat aber durchaus seine Qualitäten, wenn man auch die eine oder andere darunter, wenn nicht gerade mit der Lupe suchenno pun intendedso doch am besten mittels Standbild betrachten kann). Die Annäherungsversuche, die in The Sixth Sense unternommen werden, zwischen Crowe und dem kleinen Geisterseher Cole, sind naturgemäss anderer Art. Der Doktor übt sich im Übersinnlichen, gibt Zaubertricks zum Besten oder versucht es mit Gedankenlesen. Meistens fauler Zauber, den Cole sofort durchschaut. Man sollte aber noch etwas abwarten mit dem Enttäuschtsein, denn auf den zweiten Blick sind die Tricks ja viel spannender als die Illusionen selbst. Das sei auch all jenen Die Hard Fans gesagt, die bereits dem Willis-untypischen Willis in Breakfast of Champions nichts abgewinnen konnten. The Sixth Sense ist, das ist der Trick, letzlich ganz nahe dran an Die Hard, an dem unkaputtbaren Körper des Superhelden. Schliesslich gibt es kaum etwas, dass sich allen Naturgesetzen so stur widersetzt, wie die Manifestation eines Toten, gemeinhin Gespenst genannt. Ein Körper, der sich strickt weigert, zu verschinden aus der Welt, der wie die meisten Filmstars einfach darauf besteht, weiterhin gesehen zu werden, sein Publikum zu finden und zu unterhalten, auf die schaurig-schöne Art. Und damit sich daran nichts ändert, haben einige recording angels das Kino erfunden, auf dass sie ewig spuken werden, die Humphrey Bogarts oder Bruce Willises dieser Welt.