Solaris

USA 2002 · 99 min. · FSK: ab 12
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch:
Kamera: Peter Andrews
Darsteller: George Clooney, Natascha McElhone, Viola Davis, Jeremy Davies u.a.
Auf Wiedergehen! (N. McElhone)

Wir suchen keine neuen Welten, sondern Abbilder, heißt es einmal in Solaris: Die Leere des Weltalls dient in diesem Film als Projek­ti­ons­fläche, die Zukunft als Ort der Erin­ne­rung. Die Erde hingegen, getaucht in warme Braun- und Gelbtöne mit einem Beige­schmack von Säure und Tod, ist die Heimat der Wunden, der Traumata. Der öffent­li­chen wie privaten Welt­un­ter­gänge. Der Psych­iater Kelvin (George Clooney, kompetent aber nicht mehr) kennt sie beide: In seinen Grup­pen­the­ra­pien sitzen Leute, die verstört und gequält sind von den Nach­wir­kungen einer offenbar nicht weit zurück­lie­genden Kata­strophe, die nie benannt wird. (Aber uns heute schießt da natürlich sofort ein Datum im September ins Bewusst­sein...) Und persön­lich hat Kelvin den Tod seiner Frau (Natascha McElhone, vereh­rungs­würdig wie immer) noch nicht verwunden.

Doch Kelvin wird als Nothelfer auf eine Raum­sta­tion gerufen, kreisend um den Planeten Solaris. Dort scheint tatsäch­lich zu gelten, was Kelvin und seiner Frau auf Erden ein (leit­mo­ti­visch einge­setztes) Gedicht von Dylan Thomas versprach: »Death Shall Have No Dominion«.
Kühl, blau, grau und rational sieht auf den ersten Blick alles aus. Metho­disch und lang ist der Weg durch die Schotten, die die Station abdichten, die sie auch im Notfall in beherrsch­bare Bereiche teilen sollen. Aber Spuk und Wahn haben schon längst Einzug gehalten, ganz ruhig, ganz leise, wie der gesamte Rhythmus von Soder­berghs SOLARIS ist: Ein Film im Flüs­terton, mit tran­ce­ar­tigem Rhythmus, selbst nahe am Wachtraum.
Der Schlaf der Vernunft läßt hier im Orbit Traum-, Erin­ne­rungs-, Sehn­suchts­bilder Fleisch werden. Aufer­ste­hungen der Toten, wieder und wieder. Die erste Reinkar­na­tion seiner Rheya schickt Kelvin noch prompt ins All. Da meint er noch, das Wahre vom Falschen, das Sein vom Schein klar scheiden zu können.

Aber bei der zweiten Wieder­gänger-Rheya kann er zunächst nicht mehr so leicht der Versu­chung wider­stehen, die solch ein Geschöpf darstellt, das ganz aus seinen Erin­ne­rungen, Wünschen, Sehn­süchten geboren ist. Das nichts wissen kann, was er nicht weiß, das vermeint­lich keine Geheim­nisse, keinen wider­stre­benden Willen haben kann.
Dann verlangen dieses Spie­gel­wesen, geboren aus Liebe zu der Verlo­renen, selbst Liebe, und viel­leicht gibt es sie sogar. Bei der Liebe kann auch Kelvin bald keine Abschot­tung mehr vornehmen zwischen »echt« und »falsch«, Realität und Simu­la­krum.

Die filmi­schen Erin­ne­rungen, Echos halten sich bei Solaris in Grenzen: Soder­bergh präsen­tiert weniger ein Remake des Tarkow­skij-Klas­si­kers als eine zweite, eigene Kino-Sicht auf den Roman Stanislaw Lems. Doch auch er – endlich wieder einmal nicht im Hollywood-Block­buster-Modus sondern anknüp­fend besonders an The Limey, in dem Erin­ne­rung und die Macht der Vergan­gen­heit auch eine große Rolle spielten – begreift Science Fiction als philo­so­phi­sches Genre, insze­niert ein Kammer­spiel im Weltraum. Fast lächer­lich wirkt es, als auch hier für ein paar Momente pseu­do­wis­sen­schaft­liche Erklä­rungen bemüht werden, als Physik und tech­ni­sche Appa­ra­turen kurz­zeitig ihr Recht verlangen.

Auch wenn die Liebenden verloren sind, wird die Liebe nicht verloren sein, verspricht Dylan Thomas. Viel­leicht gibt es ein anderes, drittes, jenseits des Wahren und des Falschen. Etwas, das in beidem gleich authen­tisch ist.
Solaris spielt mit dieser Möglich­keit; ich würde nicht wagen zu entscheiden, ob er sie akzep­tiert. Mit der Zeit verschwindet das »Echte« aus diesem Film. Die Rück­blenden verselbstän­digen sich, verlieren ihre eindeu­tige Veran­ker­bar­keit im erzählten Zeitstrom. Es beginnt das Erinnerte, die Erin­nernden zu schlucken – ein Kreislauf der Wünsche, aus dem die Möglich­keit des Neuen verschwindet und damit der neuen Verlet­zungen. Der Schnitt in den Finger, den sich Kelvin am Anfang aus Versehen zufüggt, markiert seinen Körper als echt. Am Ende haften an ihm (?) keine Verlet­zungen mehr. Er hat eine schöne neue Welt ohne Wunden, der ewigen und totalen Vergebung gefunden: Es möge jeder selbst entscheiden, ob Solaris sie als Hölle oder Utopie denkt.