Deutschland 1999 · 94 min. · FSK: ab 6 Regie: Leander Haußmann Drehbuch: Leander Haußmann, Thomas Brussig Kamera: Peter-J. Krause Darsteller: Alexander Scheer, Alexander Beyer, Katharina Thalbach, Henry Hübchen u.a. |
Er ist nun wirklich kein »Münchner Kindl«, aber soetwas wie ein verlorener Sohn dieser Stadt ist er schon, seit er vor ein paar Jahren dem »Resi« den Rücken gekehrt hat, um in Bochum Intendant zu werden. Aber jetzt kehrt Leander Haußmann auf die Münchner Bühnen zurück – auf die Bühnen der Lichtspieltheater. Seine Vorliebe für Pop ist spätestens seit seiner Münchner Inszenierung von Romeo und Julia bekannt und insofern ist es nicht verwunderlich, dass er sich als Regisseur dem populären Medium Film zugewendet hat. Als Darsteller war er ja bereits unter anderem in Detlev Bucks Männerpension zu sehen, wobei seine Vorstellung als Gefängnisdirektor nicht gerade überzeugte, aber die Verbindung mit Buck und dessen Produzenten Boje hatte Bestand. Und so produzierten Boje und Buck Haußmanns Sonnenallee, und Buck spielt einen ABV (Abschnittsbevollmächtigten), dessen Karriere gar nicht gut verläuft.
Durch die Berliner Sonnenalle lief die Mauer, somit scheint sie als Schauplatz prädestiniert für einen Film über die DDR, in dem man einen Mikrokosmos des geteilten Deutschland kreiert. Dass die Sonnenalle dem Film auch noch den Namen gibt, verweist natürlich darauf, dass man das für uns Wessis immer noch so fremde Land nicht nur als einen düster totalitären Staat zeigen will. Denn im Alltag konnte dieser Staat wohl auch ganz anders aussehen: eine »totale Hippie-Republik« war es zumindest für Thomas Brussig, Haußmanns Co-Autor. Brussig und Haußmann haben wohl einige persönliche Erfahrungen aus ihrer Jugend im Arbeiter- und Bauern-Staat einfließen lassen, deswegen ist der Film auch ein wenig ostalgisch geraten, als eine Mischung aus Quadrophenia und Grease: die Geschichte einer Jugend als Melange aus Tristesse und Musical.
Der Erzähler der Geschichte ist Micha (Alexander Scheer), er steht in den ‘70ern kurz vor seinem Schulabschluß, hat eine große Schwester, die jede Woche einen neuen Freund nach Hause bringt, einen Vater, der ständig über den Staat schimpft und nur west-fernsieht, und eine Mutter, die alles daransetzt in den gelobten Westen zu gelangen. Das alles interessiert Micha nur mäßig, denn er ist ein Junge, der das tut was alle Spätpupertierenden tun: mit anderen Jungs 'rumhängen, üben, cool zu sein, Rock'n Roll hören und den Mädels hinterherlaufen oder zumindest hinterhergucken. Seine Angebetete heißt Miriam (Teresa Weißbach) und ist der Traum der ganzen Schule. Bis er sie endlich (ins Bett) bekommt, wird er seine Biographie umschreiben, einen enormen Drogenrausch erleben, fast seinen besten Freund verlieren und von der Schule fliegen. Michas Geschichte ist der Aufhänger für viele kleine Episoden des Alltags, und Micha liefert eine jugendliche Perspektive auf die DDR, zwischen Satire und Liebeserklärung an die Menschen, die sich im Staatssystem teils skurrile, teils bequeme Nischen geschaffen haben. Der satirische Teil gleitet leider bisweilen ins Alberne, dann geht er auch wieder nicht weit genug und so fehlt es immer wieder am Biss – aber das ist nicht das größte Problem des Films.
Schwerer wiegt die »theatralische Schlagseite«: zunächst ist die Sonnenalle im Film eine Kulisse, was zwar den künstlichen Charakter des Films gut unterstreicht, aber eben auch eine ans Theater erinnernde Atmosphäre erzeugt. Hinzu kommt, dass der Theatermann Haußmann in seiner Inszenierung nicht wirklich den Schritt zum Filmischen vollzieht. Das liegt einerseits an der Besetzung, andererseits daran, dass er noch kein sehr gutes Gespür für Bilder entwickelt hat. Henry
Hübchen spielt zwar Michas Vater wunderbar komisch und trocken, und Katharina Thalbach gibt eine schön schrullige Mutter, aber den jungen Hauptdarstellern sieht man ihre klassische Schauspielausbildung zu sehr an, zu betont sind da noch fast alle Gesten. Das könnte man als Ausdruck satirischer Überzeichnung, die gut zum musicalhaft Überdrehten paßt, interpretieren, aber es sieht dann doch mehr aus nach: »jetzt zeigen wir was wir können und das soll auch noch der Abonnent in
der letzten Reihe sehen!« Doch auf der Leinwand ist man größer als auf der Bühne...
In der ersten Szene der Jungenbande trifft dieses überdeutliche Spiel auf eine wilde Kamera: da kreist und dreht es, da wird munter geschnitten, um die Dynamik der Jungen zu vermitteln – vermittelt wird aber nur, dass es am Gespür für Rhythmus fehlt und in Post-MTV-Zeiten wirkt das wirklich unbeholfen. Der Film scheint wie seine Protagonisten etwas verkrampft auf der Suche nach Lockerheit, was
auch in einem Haußmann-Zitat deutlich wird: »Ich wollte irgend etwas haben, was so kultig ist wie der Tanz in Pulp Fiction. Mit den Jungs sind wir vor dem Dreh eine Woche weggefahren und haben geübt.« Das Wort »kultig« wurde übrigens aus dem Wortschatz jedes Jugendlichen, der etwas auf sich hält, gestrichen, spätestens seit es vor einigen Jahren von der Werbeindustrie in der Knorr-Familie
verwurstet wurde. Aber Leander Haußmann schaut wohl leider kein West-TV.
Ganz im Gegensatz zu seinen Figuren, die eine Ikone des deutschen Fernsehens bewundern: Rudi Carrell als Moderator von Am laufenden Band. Hier wird der Ost-West Mythos vom grenzenlosen Konsum in der bunten Warenwelt, die an einem Fließband an uns vorüberzieht, in einem Moment völliger Klarheit fokusiert. Und das ist einer der Höhepunkte des Films, neben der traumhaften Szene, in der wir sehen, wie Micha im Drogenrausch eine Zimmertür öffnet und plötzlich in einem Steinbruch einem berittenen Indianer gegenübersteht – aber es ist nicht Pierre Brice, den er dort sieht, sondern Gojko Mitic. Der Jugoslawe Mitic war bei den Winnetou-Filmen im Westen nur Statist, wurde aber in den ‘60ern und ‘70ern im Osten Hauptdarsteller der Indianer-Filme und zum größten Star der DEFA. In Punkto Hartnäckigkeit, Entschlossenheit und Energie war er Pierre Brice immer überlegen, und 1992 trat er dann auch die Nachfolge von Brice bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg an. Hier trifft Haußmann den Kern des Pop wirklich, und in diesen Momenten verdichtet sich deutsch-deutsche Popgeschichte. So ist die Schlußszene des Films auch konsequent und gut: die Ostler marschieren, nein sie tanzen gegen die Mauer an und wirken dabei wie wildgewordene Travolta-Zombies. In diesen Szenen kommt der Film zu sich selbst, er wird zu dem was er sein möchte: Pop. Und so gelingt es Haußmann doch noch, dem Pop ein Denkmal zu setzen, dafür, dass er den Weg in die politische Freiheit mitgeebnet hat – die Hippierepublik wurde allerdings dafür geopfert.