USA 2012 · 94 min. · FSK: ab 16 Regie: Harmony Korine Drehbuch: Harmony Korine Kamera: Benoît Debie Darsteller: James Franco, Selena Gomez, Vanessa Hudgens, Ashley Benson, Rachel Korine u.a. |
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Radikal, leichtfüßig, sexy, intelligent & transgressiv |
Einige der Qualitäten dieses Films sind zu offensichtlich, um sie vorbehaltlos zu genießen: Sonne, Strand, hippe Musik, Gangster, und vor allem vier gutaussehende Teenage-Girls, die überaus leichtbekleidet eine Menge Unsinn veranstalten. Unter anderem überfallen sie eine Fast-Food-Bude, weil ihnen das Geld fehlt, um wie ihre Klassenkameradinnen in Florida beim Ami-Teeny-Initiations-Ritual »Spring Break« die Sau rauszulassen und alles das zu tun, was ihnen ihre Eltern im »Bible-Belt« des mittleren Amerikas streng verbieten. Der Überfall glückt, und in Florida angekommen, haben Faith, Cotty, Candy und Britt doch noch ihren Spaß, saufen, huren, nehmen Drogen ohne Ende, und werfen sich irgendwann einem zwielichtigen Typen an den Hals: Alien, großartig gespielt von Shooting-Star James Franco, ist deutlich älter als die vier: Ein White-Trash-Gangster mit Goldgebiß und weichem Herz, der seinen seltsamen Namen schlüssig erklärt: »Truth be told, I ain’t from this planet« (»Um die Wahrheit zu sagen: Ich stamme von einem anderen Planeten«). Er möchte die vier Girls für seine kriminellen Geschäfte einspannen. Während Faith daraufhin schnell in den nächsten Bus nach Hause steigt, drehen die übrigen drei den Spieß bald um.
Ohne Frage ist Spring Breakers ein Fall für die Kino-Gesinnungspolizei: Dieser Film ist Sexismus pur, Exploitation pur, Voyeurismus pur; er appelliert – wie viele gute Film das eben tun – an alle vorhandenen niederen Instinkte seines Publikums, er ist sogar manchmal einfach dumm, etwas öfter noch vulgär. Dies ist aber auch ein sehr sehr guter, überaus unterhaltsamer, außerordentlich frischer Film. Und die Frage, wie das alles nun zusammengeht, ist vielleicht die interessanteste an diesem hochinteressanten, stilistisch ambitionierten Kinowerk.
Seit er mit 21 Jahren vom Photographen Larry Clark beim Skaten im Washington Square entdeckt wurde und in angeblich nur drei Wochen das Drehbuch für Clarks Welterfolg KIDS schrieb, wurde der 1973 geborene Harmony Korine mit eigenen Filmen wie Gummo, Julian Donkey-Boy, Mr. Lonely und zuletzt Trash Humpers zum Star des US-Independent-Kinos. Gerade sein letzter Film war allerdings bereits von spürbar altmodischem Flair durchzogen, die Unschuld der Figuren mit ihren dick aufgetragenen skurrilen Zügen und »liebenswerten« Marotten umwehte etwas Kaurismäki-haftes, ästhetisch Reaktionäres. Mit Spring Breakers erfindet sich Korine nun vollkommen neu: Fern vom Echtheitsfetischismus aus Gummo und den Freak-Verehrungen der Trash Humpers ist auch dies ein Märchen aus dem modernen Amerika, allerdings eines, das dessen Konsumismus und Medien-Abhängigkeit, das Leben aus zweiter Hand nicht von Außen verachtet, sondern verstehen möchte und darum einfühlsam von Innen examiniert.
Korine findet auch hier wieder Einsamkeit und Melancholie, er entdeckt aber zugleich die Gesten einer Popkultur, die nicht etwa Surrogat und Daseinsersatz ist, sondern den Menschen zur Schule des Lebens wird: Alien etwa designed das eigene Selbstbild komplett nach Al Pacinos Tony Montana in Brian De Palmas Mafia-Epos Scarface, dem Film, der auf seinem heimischen Flachbildschirm in Endlosschleife läuft. Candy wiederum hat in Britney Spears ihr ultimatives Role-Model gefunden, und eine der schönsten Szenen des Films ist, wie James Franco für die Girls Spears' »Everytime« am Klavier singt. Spring Breakers ist daher sehr deutlich als Medienkritik und Sprachanalyse des amerikanischen weißen Jugend-Mainstream lesbar. Vor allem aber ist der Film ein hedonistisches Manifest und in seiner Dynamik und Emphase eine Feier des Fetischismus, der seit jeher legitimer Teil des Kinos ist. Korines französischer Kameramann Benoît Debie, der sich seine Lorbeeren mit Gaspar Noés Enter the Void verdiente, findet großartige Bilder zwischen Privatfernseh-Bombast und Nineties-Impressionismus. Diese werden von kommentierender Musikauswahl (u.a. Skrillex und Cliff Martinez) und einem cliphaften Schnitt unterstützt, der von Zeitlupen, Erzähl-Loops, Jump-Cuts dominiert wird.
Eine Befreiungsaktion ist dies auch für drei Darstellerinnen: Keineswegs zufällig hat Korine neben seiner Frau Rachel für die übrigen Hauptrollen mit Selena Gomez, Vanessa Hudgens und Ashley Benson Stars des blitzsauberen Disney-Channel gecastet, deren Auftritt ihre Fan-Groups nachhaltig verstören dürfte. Wenn junge Frauen hier mit Maschinenpistolen in der Hand und pinken Skimasken über dem Kopf Raubüberfälle veranstalten, und im Bikini den Männern auf und vor der Leinwand den Kopf verdrehen, dann ist das eine Spielart des Feminismus – wenn auch keiner, den Alice Schwarzer in ihren letzten Lebensjahren noch verstehen wird.
Eine Initiation ist dies aber nicht nur für die Hauptfiguren, sondern auch für Harmony Korine selbst, der vor diesem Film nur ein alternder Hipster war, das enfant terrible fürs bürgerliche Arthouse-Kino. Spring Breakers dagegen ist gerade für dessen Klientel glücklicherweise absolut unerträglich; eine produktive Zumutung, wie man es von avantgardistischem, wirklich unabhängigem Kino verlangen darf.
Dies ist der Film, den Godard immer machen wollte: Ein großartiges Kinowerk, radikal, leichtfüßig, sexy, intelligent und transgressiv: Eine Betrachtung der amerikanische Kultur, ihres Frusts und ihrer Depression, vor allem ihres ennui – und zugleich ein Film, der den Ort des Exzeß' in der Popkultur ausfindig macht, und davon erzählt, wie ein paar Menschen sich im Verlust der Unschuld selber finden.