Österreich/Deutschland 2019 · 95 min. · FSK: ab 12 Regie: Elsa Kremser, Levin Peter Drehbuch: Elsa Kremser, Levin Peter Kamera: Yunus Roy Imer Schnitt: Stephan Bechinger, Jan Soldat |
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Herausragendes Beispiel aktueller Dokumentarfilmkunst | ||
(Foto: Real Fiction) |
Man sollte sich nicht vom Titel in die Irre führen lassen: Space Dogs ist nicht das neue 3D-Abentuer aus dem Hause Disney. Aber auch, wenn man nach der Beschreibung geht und einen Dokumentarfilm über russische Straßenhunde und das Raumfahrtprogramm der Sowjetunion erwartet, kommt man schnell auf eine falsche Spur. Space Dogs ist ein poetischer Essay, der die problematische Beziehung zwischen Mensch und Tier auf eine ganz einzig- und manchmal eigenartige Weise beleuchtet.
Gleich der Anfang ist ein anziehendes und bedrohliches Weltraum-Inferno im Geiste Kubricks. Blitze, Farben, Flammen – zusammen mit Laika verglüht der Zuschauer zwischen Weltall und Erdkugel. Laika war eine russische Straßenhündin, die 1957 von den Russen als erstes Lebewesen ins Weltall geschickt wurde. Aus heutiger Sicht eine absurde und natürlich grausame Aktion. Das Regie-Duo Elsa Kremser und Levin Peter gibt dieser historischen Anekdote einen metaphysischen, ja schon
märchenhaften Unterton. Als die Raumkapsel mit der Hündin beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühte, übertrug sich ihr Geist auf die Artgenossen in der russischen Heimat. Diese begleitet Space Dogs nun aus einer Nähe, die man so sicher noch nie erlebt hat.
Über mehrere Monate war das Filmteam in Moskau unterwegs, untersuchte nicht nur die Welt der Hunde, sondern wurde ein Teil von ihr. Man kann sich denken, wie viel Arbeit hinter diesem
Unterfangen steckt. Das Aufsuchen der Tiere in ihrem »Habitat« dürfte dabei noch das geringste Problem gewesen sein. Viel schwieriger dann doch, ihr Vertrauen zu erwecken und zur gleichen Zeit so wenig wie möglich ins Geschehen einzugreifen. Am Ende ist das Projekt auf ganzer Linie geglückt. Die Aufnahmen, die der Kameramann Roy Imer hier geschaffen hat, wirken, als wäre überhaupt kein Filmteam anwesend. Es scheint viel mehr, als hätte es die eigenen Körper verlassen und wäre Teil des
Rudels geworden, so ungestellt und auf Augenhöhe sind die Bilder.
Was hat das jetzt nochmal mit der Raumfahrt zu tun? Der offensichtliche Bezug sind die Archivaufnahmen der wissenschaftlichen Experimente, die zum Großteil das erste Mal zu sehen sind. Kommentiert werden sie durch den allwissenden Erzähler Alexey Serebryakov, der poetisch durch das Geschehen führt. Hier kommt wieder das Phantastische zu tragen, das Space Dogs zwar durchzieht, doch
scheinbar so widersprüchlich zum ungeschönten Realismus der Moskauer Aufnahmen steht. Doch hier zeigt sich die großartige Idee des Films. Die Hunde auf den Straßen der russischen Hauptstadt wirken wie gestrandete Astronauten, die sich auf einem fremden Planeten durchkämpfen müssen. Auf den ersten Blick verstehen sie die Welt um sich herum nicht, zum Beispiel, wenn sie auf Kotflügeln herumkauen oder aus dem Schutz der Dunkelheit die Meute der Feierwütigen betrachten. Die Frage, die
Kremser und Peter jedoch stellen, ist die, ob für einen Hund der Blick auf die russischen Straßen nicht derselbe ist, wie der auf den Erdball. Die Frage, ob das Tier das verstehen kann, steht gar nicht mehr im Vordergrund, sondern die, ob wir das Tier und seine Perspektive verstehen können. Das mag erst einmal etwas esoterisch klingen, doch von dieser Art der Romantik ist Space Dogs weit entfernt. Die einzigartige Erzählweise des Films lässt solche Gedanken
ganz von selbst aufkommen, zumal dem Zuschauer seine eigene Spezies durchweg als fremdartig präsentiert wird. Wenn ein Schimpanse (ebenfalls ein Tier mit »Raumfahrer-Karriere«) in Menschenkleidung als Party-Zubehör fungieren muss, schütteln sicher sowieso schon die Meisten den Kopf. Wenn es jedoch wie hier ohne Kommentar oder Einordnung gezeigt wird, werden die bizarren Auswüchse der Beziehung zwischen Mensch und Tier noch absurder.
Doch nicht nur bei den eigenen Artgenossen fällt es
mitunter schwer hinzusehen. Besonders eine Szene, in der einer der Hunde eine Hauskatze reißt, ist harter Tobak. Minutenlang wird der zuckende Körper durch die Gegend geschleudert, die Zähne immer aufs Neue in das schon blutige Fell gebohrt. Es läge nun nahe, dem Regie-Team eine ausbeuterische Mondo-Herangehensweise zu unterstellen. Jedoch ist diese Szene, wie auch alle anderen, von jeglicher Schaulust befreit. Wer sich in diese Welt wagt, darf nicht verlangen, dass menschliche
Moralbegriffe hier etwas wert sind. Die Natur besitzt ihre eigene Grausamkeit, egal wie sehr sie vom Menschen verändert wurde. Und überhaupt ist es doch eher das Archivmaterial, das krude Experimente und Operationen an den Vierbeinern zeigt, die einen noch ratloser zurücklassen.
Space Dogs ist jedoch weit mehr als eine Anklage und auch weit mehr als die Thematik, die er auf den ersten Blick behandelt. Außerdem ist er nicht lediglich der Versuch, mal etwas Bekanntes mit anderen Augen zu sehen. Denn der Film macht klar, dass wir in einigen Fällen gar nicht dazu in der Lage sind. Allein diese Erkenntnis und das Grübeln, ob man nicht trotz allem doch etwas verstanden hat, macht Space Dogs zu einem herausragenden Beispiel aktueller Dokumentarfilmkunst. Und natürlich die Poesie in Bild und Text, soviel menschliche Empfindung darf sein.