Australien 2024 · 92 min. · FSK: ab 16 Regie: Kiah Roache-Turner Drehbuch: Kiah Roache-Turner Kamera: Brad Shield Darsteller: Alyla Browne, Penelope Mitchell, Ryan Corr, Jermaine Fowler, Noni Hazlehurst u.a. |
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Zum erschütternden Grauen taugt das kaum... | ||
(Foto: Studiocanal) |
Kiah Roache-Turner verkauft es als Witz; dabei steckt ein bitterer Ernst im Beginn seines neuen Horrorfilms. Der Prolog von Sting könnte als hervorragender Kurzfilm durchgehen. Eine ältere Dame sitzt dort in ihrem antiquierten Apartment vor dem TV; es läuft ein Slasher. Und nun rumort und pocht und rumpelt es in den dunklen Ecken des Zimmers. In den Luftschächten scheint etwas Monströses zu hausen, oder ist es doch nur Ungeziefer? Die Frau ist dement. An den Wänden kleben Gedankenstützen, die sie benötigt, um den Kammerjäger zu rufen, der sogleich herbeieilt. Am Ende der Sequenz wird das Monster ein Opfer fordern. Schauriges wird entdeckt, doch der Schock ist schnell überwunden. Zu groß ist die Ablenkung durch den Fernseher. Die Frau verliert sogleich wieder ihr Gedächtnis, macht weiter mit ihren Routinen, also kann das ganze Spiel von vorn beginnen.
Diese ersten Minuten nehmen in ihrem Aufbau parabelhafte Züge an. Reichlich vage in ihren Angriffszielen, gewiss. Doch das lähmende und geistig verwirrte Hausen im beengten Radius, die mediale Dauerberieselung im Hintergrund und das blitzhafte Erkennen und Eingestehen, dass irgendetwas in der Welt im Argen liegt, während vor der Haustür Kammerjäger und Hochstapler um Jobs und Aufträge konkurrieren, lassen interessante Ansätze eines Gegenwartskommentars erkennen. Sie bringen die Krankheit als filmische Metapher für ein heimgesuchtes Ausharren im Gewohnten zum Sprechen, das sich weder vorwärts noch rückwärts von der Stelle bewegen kann.
Überhaupt gleicht Sting häufig einem Modellversuch. Das macht schon der liebevoll gestaltete Vorspann deutlich, in dem die titelgebende außerirdische Spinne Sting von Zimmer zu Zimmer krabbelt und zentrale Stationen und Schauplätze vorwegnimmt. Die Welt als Puppenhaus und Versuchslabor. Als Horrorfilm entwirft Sting früh eine stimmungsvoll ausstaffierte räumliche Karte und ein Netzwerk an Kammern und Korridoren, bei denen irgendwann ersichtlich wird, wie und wo man sich von A nach B bewegen kann. In den Schächten und Tunneln krabbeln Menschen und Tiere gleichermaßen umher. Der Regisseur und Autor Kiah Roache-Turner weiß seine detailverliebten Sets so in Szene zu setzen, dass man eine gewisse angstlüsterne Freude am Erkunden entwickeln kann, wo sich gerade wieder etwas verstecken und anschleichen könnte und wie Verbindungen zwischen den Szenen hergestellt werden können.
Der Horror bricht schließlich los, als die zwölfjährige Charlotte (Alyla Browne) die Spinne findet, in ein Glas sperrt und als Haustier in ihrem Kinderzimmer versteckt. Während sie in den Wirren des Erwachsenwerdens abwechselnd mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater aneinandergerät und dann wieder versöhnliche Bande zu ihnen knüpft, wird das hungrige Alien-Tier zum echten Problem. Kakerlaken als Futter reichen ihm bald nicht mehr und es wächst und wächst und wächst.
Spinnen, diese menschliche und vielseitig bespielbare Urangst, treten schon lange im Genrekino auf. Von Tarantula über Angriff Der Riesenspinne bis Arachnophobia, Arac Attack – Angriff der achtbeinigen Monster oder Denis Villeneuves Enemy: Immer wieder durchziehen Einzelszenen und Werke die Filmgeschichte, die allen Arachnophobikern das Leben schwer machen. Nicht zu vergessen: das grandiose französische Erstlingswerk Vermines von Sébastien Vaniček, das ebenfalls 2024 unter dem plakativen Titel Spiders – Ihr Biss Ist Der Tod in die deutschen Kinos kommt. Vaniček nutzt die Spinnen als Sinnbilder für gesellschaftliche Ausgrenzungsmechanismen, systemischen Anpassungsdruck und menschliche Trauer und changiert dabei so effektiv und rabiat zwischen Terror, Ekel und Humor, dass man auf weitere Arbeiten des Regisseurs höchst gespannt sein kann.
Sting verpufft im direkten Vergleich, gerade als Horrorfilm, richtet sich mit seiner kindlichen Erzählperspektive und einem recht gehemmten Grusel aber wahrscheinlich sowieso an ein eher jüngeres Publikum. Er ist in seinem Bild durchaus stimmig konstruiert, diese Qualität kann man ihm lassen. Die wachsende Monsterspinne steht hier für ein giftiges, misstrauisches soziales Miteinander. Draußen gefriert alles und im Haus wird gestritten, geschmollt und gebangt.
Zwischen den Generationen herrscht eisige Stimmung und gerade die Patchwork-Familie hat Probleme, sich zusammenzuraufen und einen glücklichen Alltag zu leben. Im gemeinsamen Kampf gegen das Ungetüm lernt man nun, sich zu helfen und zu mögen, um auf die große Aussöhnung hinzusteuern, wenngleich das Chaos jederzeit wieder über die Hausbewohner herfallen könnte. Roache-Turner erzählt diese anknüpfungsfähige Moral ohne große Schnörkel, doppelte Böden oder Umwege, erweckt damit aber den Anschein einer gewissen Eindimensionalität.
Es ist schließlich keine allzu originelle Idee mehr, einen so konventionellen Horrorfilm über eine kriselnde Familie zu inszenieren, die all den Schrecken als Belastungsprobe erfährt, um ihre vertagten Konflikte zu therapieren und ihre Rollen im sozialen Gefüge zu festigen. Zumal ein Werk wie der genannte Vermines eben in ähnlich gestricktem Fahrwasser weitaus Vielschichtigeres und Provokanteres wagt. Dieses ewige Tänzeln um nahbare, aber austauschbare Familienkonflikte ist inzwischen ein nicht unerheblicher Grund, dass sich künstlerisch ein ähnliches Bewegen in beklemmend ausweglosen Schleifen und Routinen einstellt, wie es die ersten Minuten von Sting demonstrieren.
Routiniert ist sowieso das etwas identitätslose Wort, welches man für die Beschreibung von Roache-Turners Inszenierung verwenden könnte, wie sie sowohl die Versatzstücke des Familiendramas als auch die Schreckmomente und kleinen Ekel-Einlagen miteinander verwebt. Zur kurzen Weile vielleicht, aber zur echten Beunruhigung oder zum erschütternden Grauen taugt das kaum. Dafür zeigt sich das olle achtbeinige Ungetüm trotz einiger charmanter praktischer Effekte ohnehin viel zu selten. Verunstaltete, malträtierte Tierkadaver und eine blutige Körperinvasion bieten zwar flüchtige Schauwerte für den Spaß am Furchteinflößenden, sind aber schneller wieder aus dem Geist verschwunden, als sich jedes Monstergetier auf seine Beute stürzen kann.