Sting

Australien 2024 · 92 min.
Regie: Kiah Roache-Turner
Drehbuch:
Kamera: Brad Shield
Darsteller: Alyla Browne, Penelope Mitchell, Ryan Corr, Jermaine Fowler, Noni Hazlehurst u.a.
Zum erschütternden Grauen taugt das kaum...
(Foto: Studiocanal)

Familienaufstellung mit Riesenspinne

Draußen wütet der Sturm, im Innern des Hauses eine gefräßige Spinne. Sting ist Monsterhorror für Einsteiger

Kiah Roache-Turner verkauft es als Witz; dabei steckt ein bitterer Ernst im Beginn seines neuen Horror­films. Der Prolog von Sting könnte als hervor­ra­gender Kurzfilm durch­gehen. Eine ältere Dame sitzt dort in ihrem anti­quierten Apartment vor dem TV; es läuft ein Slasher. Und nun rumort und pocht und rumpelt es in den dunklen Ecken des Zimmers. In den Luft­schächten scheint etwas Monströses zu hausen, oder ist es doch nur Unge­ziefer? Die Frau ist dement. An den Wänden kleben Gedan­ken­s­tützen, die sie benötigt, um den Kammer­jäger zu rufen, der sogleich herbei­eilt. Am Ende der Sequenz wird das Monster ein Opfer fordern. Schau­riges wird entdeckt, doch der Schock ist schnell über­wunden. Zu groß ist die Ablenkung durch den Fernseher. Die Frau verliert sogleich wieder ihr Gedächtnis, macht weiter mit ihren Routinen, also kann das ganze Spiel von vorn beginnen.

Diese ersten Minuten nehmen in ihrem Aufbau para­bel­hafte Züge an. Reichlich vage in ihren Angriffs­zielen, gewiss. Doch das lähmende und geistig verwirrte Hausen im beengten Radius, die mediale Dauer­be­rie­se­lung im Hinter­grund und das blitz­hafte Erkennen und Einge­stehen, dass irgend­etwas in der Welt im Argen liegt, während vor der Haustür Kammer­jäger und Hoch­stapler um Jobs und Aufträge konkur­rieren, lassen inter­es­sante Ansätze eines Gegen­warts­kom­men­tars erkennen. Sie bringen die Krankheit als filmische Metapher für ein heim­ge­suchtes Ausharren im Gewohnten zum Sprechen, das sich weder vorwärts noch rückwärts von der Stelle bewegen kann.

Überhaupt gleicht Sting häufig einem Modell­ver­such. Das macht schon der liebevoll gestal­tete Vorspann deutlich, in dem die titel­ge­bende außer­ir­di­sche Spinne Sting von Zimmer zu Zimmer krabbelt und zentrale Stationen und Schau­plätze vorweg­nimmt. Die Welt als Puppen­haus und Versuchs­labor. Als Horror­film entwirft Sting früh eine stim­mungs­voll ausstaf­fierte räumliche Karte und ein Netzwerk an Kammern und Korri­doren, bei denen irgend­wann ersicht­lich wird, wie und wo man sich von A nach B bewegen kann. In den Schächten und Tunneln krabbeln Menschen und Tiere glei­cher­maßen umher. Der Regisseur und Autor Kiah Roache-Turner weiß seine detail­ver­liebten Sets so in Szene zu setzen, dass man eine gewisse angst­lüs­terne Freude am Erkunden entwi­ckeln kann, wo sich gerade wieder etwas verste­cken und anschlei­chen könnte und wie Verbin­dungen zwischen den Szenen herge­stellt werden können.

Ein außer­ir­di­sches Haustier

Der Horror bricht schließ­lich los, als die zwölf­jäh­rige Charlotte (Alyla Browne) die Spinne findet, in ein Glas sperrt und als Haustier in ihrem Kinder­zimmer versteckt. Während sie in den Wirren des Erwach­sen­wer­dens abwech­selnd mit ihrer Mutter und ihrem Stief­vater anein­an­der­gerät und dann wieder versöhn­liche Bande zu ihnen knüpft, wird das hungrige Alien-Tier zum echten Problem. Kaker­laken als Futter reichen ihm bald nicht mehr und es wächst und wächst und wächst.

Spinnen, diese mensch­liche und viel­seitig bespiel­bare Urangst, treten schon lange im Genrekino auf. Von Tarantula über Angriff Der Riesen­spinne bis Arach­no­phobia, Arac Attack – Angriff der acht­bei­nigen Monster oder Denis Ville­neuves Enemy: Immer wieder durch­ziehen Einzel­szenen und Werke die Film­ge­schichte, die allen Arach­no­pho­bi­kern das Leben schwer machen. Nicht zu vergessen: das grandiose fran­zö­si­sche Erst­lings­werk Vermines von Sébastien Vaniček, das ebenfalls 2024 unter dem plaka­tiven Titel Spiders – Ihr Biss Ist Der Tod in die deutschen Kinos kommt. Vaniček nutzt die Spinnen als Sinn­bilder für gesell­schaft­liche Ausgren­zungs­me­cha­nismen, syste­mi­schen Anpas­sungs­druck und mensch­liche Trauer und changiert dabei so effektiv und rabiat zwischen Terror, Ekel und Humor, dass man auf weitere Arbeiten des Regis­seurs höchst gespannt sein kann.

Strapazen einer Patchwork-Familie

Sting verpufft im direkten Vergleich, gerade als Horror­film, richtet sich mit seiner kind­li­chen Erzähl­per­spek­tive und einem recht gehemmten Grusel aber wahr­schein­lich sowieso an ein eher jüngeres Publikum. Er ist in seinem Bild durchaus stimmig konstru­iert, diese Qualität kann man ihm lassen. Die wachsende Mons­ter­spinne steht hier für ein giftiges, miss­traui­sches soziales Mitein­ander. Draußen gefriert alles und im Haus wird gestritten, geschmollt und gebangt.

Zwischen den Gene­ra­tionen herrscht eisige Stimmung und gerade die Patchwork-Familie hat Probleme, sich zusam­men­zu­raufen und einen glück­li­chen Alltag zu leben. Im gemein­samen Kampf gegen das Ungetüm lernt man nun, sich zu helfen und zu mögen, um auf die große Aussöh­nung hinzu­steuern, wenn­gleich das Chaos jederzeit wieder über die Haus­be­wohner herfallen könnte. Roache-Turner erzählt diese anknüp­fungs­fähige Moral ohne große Schnörkel, doppelte Böden oder Umwege, erweckt damit aber den Anschein einer gewissen Eindi­men­sio­na­lität.

Es ist schließ­lich keine allzu origi­nelle Idee mehr, einen so konven­tio­nellen Horror­film über eine kriselnde Familie zu insze­nieren, die all den Schrecken als Belas­tungs­probe erfährt, um ihre vertagten Konflikte zu thera­pieren und ihre Rollen im sozialen Gefüge zu festigen. Zumal ein Werk wie der genannte Vermines eben in ähnlich gestricktem Fahr­wasser weitaus Viel­schich­ti­geres und Provo­kan­teres wagt. Dieses ewige Tänzeln um nahbare, aber austausch­bare Fami­li­en­kon­flikte ist inzwi­schen ein nicht uner­heb­li­cher Grund, dass sich künst­le­risch ein ähnliches Bewegen in beklem­mend ausweg­losen Schleifen und Routinen einstellt, wie es die ersten Minuten von Sting demons­trieren.

Routi­niert ist sowieso das etwas iden­ti­täts­lose Wort, welches man für die Beschrei­bung von Roache-Turners Insze­nie­rung verwenden könnte, wie sie sowohl die Versatz­stücke des Fami­li­en­dramas als auch die Schreck­mo­mente und kleinen Ekel-Einlagen mitein­ander verwebt. Zur kurzen Weile viel­leicht, aber zur echten Beun­ru­hi­gung oder zum erschüt­ternden Grauen taugt das kaum. Dafür zeigt sich das olle acht­bei­nige Ungetüm trotz einiger char­manter prak­ti­scher Effekte ohnehin viel zu selten. Verun­stal­tete, malträ­tierte Tier­ka­daver und eine blutige Körper­in­va­sion bieten zwar flüchtige Schau­werte für den Spaß am Furcht­ein­flößenden, sind aber schneller wieder aus dem Geist verschwunden, als sich jedes Mons­ter­ge­tier auf seine Beute stürzen kann.