USA 2012 · 99 min. · FSK: ab 16 Regie: Park Chan-wook Drehbuch: Wentworth Miller Kamera: Chung Chung-hoon Darsteller: Mia Wasikowska, Nicole Kidman, Matthew Goode, Dermot Mulroney, Jacki Weaver u.a. |
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Ein Augenschmaus |
Blass ist die Haut von India Stoker, zurückhaltend das Wesen dieser zarten jungen Frau, zum Zerreißen gespannt die Nerven ihres Gemüts. Verständlich, denn just an ihrem 18. Geburtstag hat sie erfahren, dass sie ihren Vater bei einem Unfall verloren hat. Schnell wächst sich das Frauenporträt und die Familientragödie zu einem veritablem Thriller aus. Denn der Tod des Vaters setzt eine Ereigniskette in Gang, in deren Verlauf dunkle Familiengeheimnisse gelüftet werden und Leichen im Keller der Wohlanständigkeit zum Vorschein kommen.
Düster ist der Grundton dieses Film, der effektiv die Spannung eines Psycho-Thrillers mit der Leidenschaft des Melodrams und purem Horror mischt. Ein Film nicht für jedermann; manche wird er vor den Kopf stoßen, viele aber begeistern. Das deutliche Vorbild von Stoker ist Alfred Hitchcocks Im Schatten des Zweifels. Doch der koreanische Regisseur Park Chan-wook (Oldboy) mischt in seinem ersten Hollywoodwerk clever Verbeugungen vor der Kulturgeschichte des Westens – nicht zuletzt dem Vampirgenre, an das bereits der Filmtitel erinnert – mit den Tugenden des asiatischen Kinos: Dies ist ein Augenschmaus, dessen opulente Bilder man mehr als einmal sehen möchte.
Der Schauplatz ist zeitlos: Einerseits das Hier und Jetzt Amerikas, mit schnellen Sportcoupés, Highschoolfreuden und pubertierenden Jugendlichen. Doch sobald man sich auf dem Familiengrund der Stokers befindet, regiert andererseits das tiefste 19. Jahrhundert: Mächtige Männer, Mütter, Großmütter, folgsame Töchter, eifrige Dienstboten und alle mit Geheimnissen hausen in einem riesigen labyrinthischen Gebäude, das an das Motel in Psycho ebenso erinnert, wie an eine »Gothic«-Novel. Der Regisseur ist ein Genie des Visuellen, und auch hier ist seine Arbeit eindrucksvoll: Dezent und überreich in einem, erzählt er mit gleitender, einen Sog entfaltenden, sehr bewegten Kamera, verstrickt er sein Publikum in das Netzwerk einer gestörten Familie. Park stellt sich in die Tradition von Filmen wie Kaltblütig, Badlands und Natural Born Killers. Es geht um Gewalt, die aus der Not geboren ist, um Straftaten, die von beschädigten Seelen begangen werden.
Einen großartigen Auftritt hat die junge Mia Wasikowska in der Titelrolle. Ihr Können war bereits in der Hauptrolle in Tim Burtons Alice im Wunderland unverkennbar, und hier spielt sie ein junges Mädchen im Zentrum dieses Films als ernsthafte Persönlichkeit, eine Outsiderin zwischen Sehnsucht, Trauer, Wut und Verstörung. Nicole Kidman spielt ihre Mutter. Und es ist Kidmans bester Auftritt seit Jahren. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie offenkundig die Exzesse ihrer früheren, allzu sichtbaren plastischen Operationen wieder korrigiert hat – aber mit vielen Nuancen. Erwähnenswert ist schließlich Matthew Goode als Indias Onkel Charles Stoker, eine so undurchsichtige wie verführerische Persönlichkeit. Er knüpft bald enge Bande mit der Witwe seines Bruders, entwickelt aber auch eine innig-verschwörerische Beziehung zu deren Tochter.
Die Auflösung dieses großartigen inszenierten Psychoknotens darf vorher nicht verraten werden – nur soviel: Wie so oft ist in diesem Film der Weg das Ziel. Und wer sich an Hitchcocks Filme erinnert, der weiß, wo dort das wahre Böse lauert. Auch hier ist es nicht anders...