Super 8

USA 2011 · 112 min. · FSK: ab 12
Regie: J.J. Abrams
Drehbuch:
Kamera: Larry Fong
Darsteller: Kyle Chandler, Elle Fanning, Joel Courtney, Gabriel Basso, Noah Emmerich u.a.
Das Leben als Cliffhanger

Zurück in die Vergangenheit – auch Remakes machen Spaß

Ein kleiner Junge Ende der 1970er Jahre. Joe fährt gern BMX-Rad und hat ein paar Freunde, mit denen er mal gern, mal weniger gern abhängt. Er findet heraus, dass Erwach­sene eine Menge verbergen und es selten gut meinen. Und, nun ja, er findet auch heraus, dass es einen Außer­ir­di­schen gibt, den die Erwach­senen vernichten wollen, weil sie mal wieder nicht verstehen, worum es im Leben, vor allem aber im Leben der Anderen geht.

Das klingt bekannt, soll auch bekannt klingen, denn J.J. Abrams verbeugt sich nicht in hypo­der­malen Andeu­tungen vor dem Frühwerk Steven Spiel­bergs, vor E.T. – Der Außer­ir­di­sche. Super 8 wimmelt vor aufdring­li­chen Zitaten, fetten Anspie­lungen und brachialen Zeit­reisen in eine Zukunft, die im Grunde längst Vergan­gen­heit und Klassiker geworden ist. Aber die Sehnsucht den gleichen Fluss noch einmal hinab­zu­fahren, wird nicht nur für Filme­ma­cher spätes­tens Anfang 40 hand­lungs­im­ma­nent. Und auch wenn Spielberg heute andere Filme dreht als Anfang der 1980er, scheinen ihm Zeit­reisen dieser Art dann doch so gut zu gefallen, dass er sie mitpro­du­zieren mag.

Und um ehrlich zu sein – auch Remakes machen Spaß: und in diesem Fall noch mal mehr, denn Super 8 sieht man deutlich an, dass fast 30 Jahre seit E.T. – Der Außer­ir­di­sche vergangen sind. Die Tricks sind omni­po­tenter, der Außer­ir­di­sche nicht mehr nur süß und anders, sondern einfach unfassbar gewaltig und die Verfol­gungs­jagden ebenfalls dem gegen­wär­tigen Zeit­ge­schmack angepasst. Weil es Telefone im ursprüng­li­chen Sinn heute kaum mehr gibt, erübrigt sich auch das nach Hause Tele­fo­nieren wollen. Um hier weg zu kommen, muss man von Anfang an die Dinge selbst in die Hand nehmen, gerade wenn man ein bisschen anders ist – und das gilt nicht nur für die Außer­ir­di­schen unter uns, sondern auch für die, die ein bisschen anders sind und sei es nur das Super 8-Filme drehen mit den Kumpels.

Wir befinden uns also in einer Zeit­schleife der beson­deren Art: Einer­seits bewegen wir uns in einer bizarren Spie­ge­lung einer Jugend in den 70er Jahren des letzten Jahr­hun­derts, ande­rer­seits sind wir bereits erwachsen und im Hier und Jetzt verwur­zelt. E.T. ist groß geworden, braucht aber immer noch unsere Hilfe. Und wir, die Erwach­senen unserer Gegenwart verbeugen uns vor dem Kind unserer eigenen Vergan­gen­heit und retten noch einmal den Traum von einer Zukunft, die wir nie so erleben werden.

Das ist ein bisschen kompli­ziert, aber erklärt viel­leicht auch, dass man in Super 8 nicht weinen kann, die Rührung sich in Grenzen hält. Aber neben diesem thera­peu­ti­schen Trip in die eigene Vergan­gen­heit gibt es noch einen weiteren Grund, warum E.T. – Der Außer­ir­di­sche zu Tränen rührt und Super 8 nicht. Die Prot­ago­nisten haben nicht wirklich viel Zeit, sich kennen­zu­lernen oder darüber nach­zu­denken, was eigent­lich passiert. Statt­dessen werden sie schon vorher vom Sog der taumelnden Ereig­nisse einfach nur mitge­rissen.

Aber auch das ist im Grunde nur ein weitere Vignette dieser irrwit­zigen Lupe, die uns Abrams in unserer Vergan­heit aufge­stellt hat und die vom grellen Licht unserer Gegenwart eine atem­be­rau­bende Brenn­wir­kung erzielt: denn auch wir sehen nur mehr selten den Wald vor lauter Bäumen, geschweige denn haben die Zeit, Gefühle zu entwi­ckeln, so schnell wechseln sich inzwi­schen die Cliff­hanger ab – von arabi­schen Revo­lu­tionen zu Fukushima, von Hunger­s­nöten im östlichen Afrika zu präsum­tiven Staats­bank­rotten, die alles mit sich reißen. Da reicht die Zeit weder für Spenden noch für Gefühle, in der Realwelt nicht anders als im Film.

Aus der Kleinstadt in den Kosmos

Regisseur J. J. Abrams püriert die Ingre­di­en­zien von Steven Spiel­bergs Frühwerk und mischt daraus einen starken Cocktail. Geheim­zutat: eine Reflexion über das Film­schaffen.

In Star Trek (2009), der virtuosen Refor­ma­tion von Gene Rodden­berrys Sci-Fi-Franchise, zeichnete J. J. Abrams die Welt­rau­ma­ben­teurer Kirk und Spock als Figuren, die durch den Verlust eines Eltern­teils aus der (Umlauf-)Bahn geworfen werden. »Lost«, die Serie, die ihn berühmt machte, war um ein unüber­schau­bares Rätsel herum konstru­iert. Es erscheint konse­quent, dass Abrams nun einen Film über Kinder aus beschä­digten Fami­li­en­ver­hält­nissen gemacht hat, die einem großen Geheimnis extra­ter­res­tri­schen Ursprungs auf der Spur sind. Kommt Ihnen das bekannt vor? Super 8 spielt in der Welt des frühen Steven Spielberg und ist eine Verbeu­gung vor dem Meister – der den Film produ­ziert hat.
Es ist 1979, und der drei­zehn­jäh­rige Joe (Joel Courtney) hat seine Mutter durch einen Fabrikun­fall verloren. Im Haus hält man Toten­wache, draußen sitzt der Junge umgeben von Schnee und Trauer.
Vier Monate später beginnt die Therapie, und sie kommt in Gestalt von Joes wohl­genährtem Kumpel Charles Kaznyk (Riley Griffiths). Charles hat sich in den Kopf gesetzt, einen Zombie­film auf Super-8 zu drehen. Joe ist für »Maske und Spezi­al­ef­fekte« zuständig.
Wie alle Regis­seure ist Charles dominant und uner­müd­lich. Er kommt aus einer großen, intakten Familie, mit reichlich Essen und Geschwis­tern. Für die weibliche Haupt­rolle können die Jungs die schöne Alice gewinnen (Elle Fanning), die schon etwas tiefer in der Adoles­zenz steckt als Joe und Charles.
Die Zombie­film­crew (Joe, Charles, Alice und drei andere Teenager) fährt zu einem verlas­senen Bahnhof, wo Alice eine Dialog­szene probt. Es klingt zunächst, wie es klingt, wenn Drei­zehn­jäh­rige mit verteilten Rollen lesen. Doch die Kleine hat Talent – und haucht dem Zombie­werk Leben ein. Freund und Zuschauer ist gerührt und ergibt sich der Fiktion.
Jetzt schaltet Abrams hoch: Ein Pickup rast auf einen entge­gen­kom­menden Güterzug zu und bringt ihn zum Entgleisen, eine Szene, bei der der Regisseur seiner 3D-Truppe etwas mehr Zurück­hal­tung hätte aufer­legen können. Der Fahrer des Wagens lebt und gebietet den Kindern Schweigen. Joe nimmt einen der seltsamen weißen Würfel nach Hause, die der Zug verloren hat. Und dann bricht die Hölle los: In der Stadt verschwinden Motor­blöcke und Mikro­wellen, Hunde nehmen reißaus, Zwei­beiner kommen abhanden – darunter der Sheriff. Die Air Force, die gekommen ist, um die Unfall­stelle zu sichern, benimmt sich wie eine Besat­zungs­truppe, und Joes Vater, die rechte Hand des vermissten Geset­zes­hü­ters, ist allein für die Sicher­heit der Stadt verant­wort­lich.
Wenn Abrams sein Netz einholt, kennt man fast jedes Motiv. Wie in Der weiße Hai gibt es einen aufrechten Klein­stadt­hüter, an dessen Fami­li­en­leben wir teilhaben. Wie in E.T. gibt es Jungs auf BMX-Rädern, die in ein Geheimnis um einen Außer­ir­di­schen einge­weiht sind (denn nicht nur weiße Würfel sind dem Güterzug entschlüpft). Wie in Die Goonies nimmt es eine Bande von Kindern mit einer fantas­ti­schen Übermacht auf.
Ist Super 8 deshalb abge­dro­schen? Nein. Abrams ist ein Meister des Handwerks und versteht seinen Mentor Spielberg mindes­tens so gut wie dieser sich selbst. Die Einstel­lungen sind wunder­schön kompo­niert, die Farb­pa­lette ist satt und warm wie ein Urlaubs­foto aus den Sieb­zi­gern, und Küchen und Kinder­zimmer herrlich unauf­geräumt. Die Dialoge wickeln einen ein, sind perfekt getimed und weder über­stra­pa­ziert noch andeu­tungslos: Als Joe Alice schminkt, wird im Hinter­grund ein Dialog für den Zombie-Streifen durch­ge­spro­chen – es ist ein Liebes­ge­ständnis. Wunderbar, wie Abrams Spiel­bergs tiefe Kame­ra­fahrten nachahmt, etwa wenn die Kamera Joe auf ein offenes Feld folgt, auf dem ein Strommast so hoch in den Himmel ragt, wie er es nur für Kinder­augen tut.
Der Film ist eine Beschwö­rung der Phase der männ­li­chen Adoles­zenz, in der das Interesse an Comics und Skate­boards das Interesse am anderen Geschlecht gerade noch überwiegt; eine Zeitreise in eine Zeit des Nochs­tau­nen­kön­nens.
Super 8 ist ein bunter, üppiger und intel­li­genter Block­buster, mal rasant und actionge­laden, mal fein dosiert und nach­denk­lich. Der Film will und kann aber noch mehr: eine Reflexion sein über das Kunst­schaffen und seine thera­peu­ti­sche Kraft. Wenn Joe dem Alien, das schon etliche Soldaten getötet hat, nur mit Worten bewaffnet entge­gen­tritt, wird klar, dass der rastlose Zauber­lehr­ling Abrams es voll­jäh­rigen Zuschauern frei­stellt, Super 8 als Allegorie zu sehen: Das Alien-Monster, das natürlich nach Hause will, steht für das Heimweh nach dem Zustand vor dem Verlust der Mutter. Mit einem Ster­nen­schiff aus Metall­schrot macht es den Versuch, seinem traurigen Dasein zu entkommen.
Innen Heimweh, außen Versatz­stücke: Das sich im Finale des Films wie von selbst aus irdischen Bauteilen zusam­men­fü­gende Alien-Raum­schiff ist nicht weniger als ein Kunstwerk. Wie bei der von der Alice zum Leben erweckten Szene gibt es einen Punkt, an dem die zusam­men­ge­wür­felten Teile zu einem glän­zenden Ganzen verschmelzen. An die dann folgende Schluss­ein­stel­lung, in der Joe von seinem Heimweh erlöst wird, wird man sich noch lange erinnern.
Super 8 spielt nicht nur in Spiel­bergs Welt, sondern handelt auch von seinem Weg: Wie der halb verwaiste Joe lebte das Schei­dungs­kind Steven bei seinem Vater und drehte Filme auf Super-8-Film – wodurch ihm Hilfe zuteil wurde: super aid.