Deutschland 2017 · 94 min. · FSK: ab 0 Regie: Till Cöster Drehbuch: Till Cöster Kamera: Franz Kastner Schnitt: Ulrike Tortora |
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Fast eine WG |
Das Männerwohnheim in der Münchner Kyreinstraße ist ein Mikrokosmos der Gestrandeten. Jahrelang waren die Bewohner obdachlos, oft jahrzehntelang, jetzt haben sie hier ein Zimmer gefunden. Sie können so lange bleiben, bis sie was anderes gefunden haben, in ihr Leben redet ihnen keiner rein. Till Cöster hat über die Einrichtung seinen Abschlussfilm an der Münchner HFF gedreht und in ihm die großen Tugenden des Dokumentarfilmers bewiesen: dorthin zu schauen, wohin niemand den Blick wendet, vor der eigenen Haustür ein wichtiges Thema zu finden, sich dem Ausgegrenzten zu nähern. Drei Jahre lang ist er immer wieder in die Kyreinstraße gegangen. Am Anfang stand ein Kurzportrait über das Heim, ursprünglich eine Auftragsarbeit, die vom Katholischen Männerfürsorgeverein an die HFF herangetragen worden war. Dann hat Cöster gemerkt, dass er in seinen Gesprächen mit den Heimbewohnern ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis aufbauen kann. Aus dem Kurzportrait wurde eine Langzeitstudie: Super Friede Liebe Love.
Den Titel hat sich Cöster von einem der Bewohner geborgt, der seine Wand mit sehnsuchts- und hoffnungsvollen Substantiven vollgeschrieben hat, und die Worte wie ein Mantra vor sich hin sagt, wie um die Welt zu beschwören. Ein anderer Bewohner thront mit weißem Bart wie ein Gott der Messies in seinem vollgepackten Zimmer. Erzählt, wie die Heimleitung immer wieder sein Zimmer räumt, wie er mit seiner Unterlagen-Sammlung von vorne beginnen muss. Der gebildete Seelsorger der Einrichtung ist selbst ein Bewohner; die Abwärtsspirale begann bei ihm mit Briefen, die er nicht öffnen wollte. Einer ist Ex-Junkie, er erzählt von seiner Heroinabhängigkeit, von der Wirkung der Droge, ein anderer von seiner Psychiatrieerfahrung. Einer lässt den Satz fallen: »Bier bekomme ich in der Früh einfach nicht runter.« Sucht und psychische Erkrankung sind die wiederkehrenden Lebensbegleiter der Männer, denen sie sich tagein, tagaus stellen müssen.
In ruhigen Szenen lässt Cöster von Kameramann Franz Kaster die Existenz der Männer im Wohnheim einfangen, sieht und hört ihnen zu, in einem nahen und dennoch auch Abstand haltenden Stil. Die Erzählungen der überwiegend älteren Männer sind schonungslos selbstanalytisch, realitätskonfrontierend. Von ihnen schaut keiner mehr von sich und vom Leben weg. Das passierte in der Vergangenheit, deshalb landeten sie auf der Straße. Kurz blitzen auch die karitativen Gesten von Kirche und Gesellschaft auf, eine Versammlung im Petersdom zu Rom, der Papst spricht zu den Ärmsten der westlichen Welt. Eine Weihnachtsfeier im Hofbräuhaus, es wird das bayerische Wiegenlied »Es wird scho glei dumpa« gesungen. Unwillkürlich fällt einem die Bettlermahlzeit in Buñuels Viridiana ein: Gedankenräume öffnen sich aus dem Gezeigten wie von selbst.
Einen der Bewohner begleitet der Film bei seinem Streifzug durch die Stadt. Die Routine gilt den Mülleimern, der flüchtige Blick sieht sofort, ob Wertvolles drin ist. Wir alle kennen diese Existenzen. Am Rande unserer Wahrnehmung fallen sie bisweilen durch ihre Skurrilität auf: weiße Götterbärte, vollgepackte Einkaufswagen, in denen sie ihr Hab und Gut mit sich führen. Ein wiederkehrendes Kolorit der Straße. Gesprochen haben wir mit ihnen noch nicht, Till Cöster hat es getan.