USA 2004 · 100 min. · FSK: ab 16 Regie: E. Elias Merhige Drehbuch: Zak Penn, Billy Ray Kamera: Michael Chapman Darsteller: Aaron Eckhart, Ben Kingsley, Carrie-Anne Moss, Harry J. Lennix u.a. |
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Killer im Blick |
Seit David Finchers Sieben ist im amerikanischen Kino die Landstraße der Ort des größten Grauens. Wo die endlosen Highways nur von öden Feldern begrenzt werden, die Sonne gleißendes Licht verbreitet und knirschende Ruhe herrscht – da kann eine kleine Box das fieseste Unheil bedeuten. In Suspect Zero fährt die Gefahr mit einer großen Box übers Land. Ein schwarzer Truck rollt durch den mittleren Westen. Zeitgleich verschwinden an diesen Orten der Idylle stets Kinder, bleiben für immer verschollen.
Dass FBI-Agent Thomas Mackelway in Suspect Zero einem psychopathischen Serienmörder auf der Spur ist, wird ihm mit der zweiten Leiche klar. Im Kofferraum eines vor einem Diner geparkten Schrottwagens findet er sie, wie schon beim ersten Toten ist einem Auge das Lid abgetrennt. Auf Zetteln fordert der Mörder zum Öffnen der Augen auf. Und es ist Mackelway selbst, den er meint, den er dann mit Faxen überschüttet – mit Vermisstenanzeigen von Kindern und gruseligen Skizzen kleiner Körper. Bald taucht der Name des Killers auf: Benjamin O’Ryan, möglicherweise ein ehemaliger FBI-Agent. Ein Irrenhaus war sein letzter Aufenthaltsort. Doch die Informationen, die O’Ryan für seinen Verfolger streut, machen zunächst wenig Sinn.
Aaron Eckhart, zuletzt im Western The Missing und in John Woos Paycheck der coole, brave Held, ist in Suspect Zeroals Mackelway schon zu Beginn eine gebrochene Gestalt. Ein strafversetzter Agent, der einst in Dallas einen Vergewaltiger auf eigene Faust brutal außer Landes geschafft hat. Ein typischer Western-Sheriff also, der rüde und einsam seinen Job macht. Er schluckt Pillen und verliert sich schon mal in einer Paranoia. Ben Kingsley ist sein Gegenspieler Benjamin O’Ryan, der von einem Motel zum nächsten flüchtet und nachts zur Gefahr wird. Regisseur E. Elias Merhiges letzter Film war Shadow of the Vampire, eine grotesk-schöne Hommage an Friedrich Wilhelm Murnau. Auch in Suspect Zero trägt das Schaudern eine solche Fratze: auf seinen nächtlichen Streifzügen ist die schwarze Silhouette von Kingsley mit kahlem Schädel und großen Ohren dem blutsaugenden Nosferatu erschreckend ähnlich.
Merhige ist ein klassischer Serienmörder Film gelungen, der aber noch darüber hinaus will. Geht es doch um den Suspect Zero, den gefährlichsten aller Serienkiller, der ohne Muster tötet. Dass der Böse nicht nur böse ist, ahnt der Zuschauer vor den Ermittlern, kann diese beim hilflosen Zappeln beobachten, bis Mackelway mit O’Ryans Hinweisen dem eigentlichen Horror auf die Spur kommt. Dank seiner hellseherischen Gabe ist O’Ryan gezwungen, unzählige Gewaltverbrechen mitzuerleben. In Zeichnungen kann er die grausamen Situationen festhalten. Die Erschaffung von Kunst als Erfahrung des Bösen – Suspect Zero ist auch eine vibrierende Meditation über die Nähe von Genialität und Gewalt.
Wenn die Geschichte ins Esoterische abzugleiten droht, die Vibrationen außer Kontrolle geraten, dann raffen die Bilder von Kameramann Michael Chapman alles schnell wieder zusammen. Für Scorseses Taxi Driver und Raging Bull hatte Chapman einst mit schockierender Härte das Überleben in der Großstadt als Blutorgien gefilmt. Auch Suspect Zeroerzählt von Gewalt und Gegengewalt, von Mord als Konsequenz des Lebens. Und Amerika ist wieder ein Hauptakteur. Aber mit Kleinstädten, Motels, Diners und Vergnügungsparks geht es hier um das weite Land, und seine kleinbürgerlichen Unterschlüpfe. In gedämpften Farben werden diese Szenarien unter bedrohlichen Wolken gezeigt, mal in der verzerrten Totale, dann versteckt sich die Kamera hinter Sträuchern und Wäscheleinen, changiert den Blick zwischen Täter und Opfer. Das Grausame verschwindet hinter harten Schnitten, der Zuschauer muss sich die Bilder für diese Ellipsen, die dunklen Rückseiten der glänzenden Scheinwelten selbst erfinden.
Suspect Zero bietet düstere Entdeckungen, Verfolgungsjagden, Exekutionen und einen früh angekündigten Showdown. Dennoch gibt es keinen großen Spannungsbogen, eine Atmosphäre der Unsicherheit bestimmt dagegen konstant das Geschehen. Die hallenden Klänge von Clint Mansell, dessen Beats in Darren Aronofskys PI noch den ganzen Irrsinn vorangetrieben haben, beruhigen Suspect Zero auf sehr eigentümliche Weise, geben aber keinen Halt. Der Film ist in einem Schwebezustand der überschäumenden Visualität und Akustik gefangen, genau wie seine beiden Hauptfiguren in ihren bedrückenden Sinnes-Welten, aus denen sie am Ende nur mit größter Gewalt entkommen können.