Deutschland 2014 · 89 min. · FSK: ab 16 Regie: Philip Widmann, Karsten Krause Drehbuch: Philip Widmann Kamera: Karsten Krause Schnitt: Philip Widmann Stimme: Cora Frost, Gustav Peter Wöhler |
![]() |
|
Liebe hinterm Vorhang – er lüftet sich |
»Mad Men« in Deutschland. Der Chef und seine Sekretärin, das war lange Zeit eine sex-plosive Kombination. Wenn er sie aufforderte, die Brille abzunehmen und das Haar zu lösen, befanden sie sich schon inmitten schönster Büroakrobatik. Der Chef war meist, wie in der US-Büroserie »Mad Men« (die gerade mit ihrer siebten Staffel ins prickelnde Finale geht) verheiratet. Seine Sekretärin ihm hilf- und machtlos ausgeliefert. Höchstphase des »besonderen Dienstverhältnisses« waren die sechziger Jahre, bis die Frauenbewegung in den Siebzigern so weit für Selbstbewusstsein sorgte, dass die Sekretärin nicht mehr die potentielle Lustgespielin ihres Chefs war.
»Hans« war so ein Chef, »Monika« hieß seine Sekretärin. Es ist 1970, Bonner Republik, Provinz. Hans und Monika hatten nicht ganz das klassische Liebesverhältnis: beide waren verheiratet. Ein Zeitlang ging das gut. Bis sie schwanger wurde und er weiterzog und sich eine Jüngere nahm. Dass wir, und nicht nur der Gehörnte und die Betrogene, heute von ihrem Verhältnis wissen, verdankt sich der Pedanterie von Hans. Peinlich genau führte der »Lustverwalter« (»SZ-Magazin«) Buch über seine heimlichen Liebestreffen mit Monika.
+ + +
»Dienstag, d. 8.9.70. Nach Geschäftsschluss nach oben und um 17 Uhr 15 – 17 Uhr 30 in Rückenlage 1x geliebt.«
+ + +
Wo er sie abgeholt hat, was sie anhatte, wie ihre Laune war, steht in seinen Notizen. Wie er sie stimuliert hat, ob sie einen Orgasmus hatte und er einen »Steifen«. Auch, wann sie ihre Periode hatte, leere Pillenpackungen wurden aufgehoben und sorgfältig beschriftet. Trotzdem kam es zur Schwangerschaft. Hans muss sich viel Zeit für seine Affäre genommen haben, nicht wirklich für Monika, vor allem für das nachträgliche Notieren aller Liebesereignisse. Es ist ein, im alten Wortsinn, »tolles« Unterfangen, das Hans unternahm, indem er sein Verhältnis akribisch dokumentierte, entgegen aller Gewohnheiten, nach der jegliche Spuren des Ehebruchs vertuscht werden: das Hemd mit dem fremden Parfüm ganz unten in den Wäschekorb verbannt, sorgfältig alle Taschen des Jackets entleert.
+ + +
»Da Monika gebadet hatte, wurde abends gesteckt. Betttuch dementsprechend mit Blut. Restliche Tage Ausfluss nach Samenerguss ohne Handtuchgebrauch.«
+ + +
Es war nur eine Frage der Zeit, bis das darartig gut festgehaltene Liebesverhältnis auffliegen sollte, aber vermutlich hätte selbst »Hans« nicht gedacht, dass seine Zettel und Tonbänder, Fotos und mitgenommenen Speisekarten, auch lange nach seinem Tod, eine große Resonanz durch die Nachwelt erleben würden. In einem schwarzen Aktenkoffer, vor einiger Zeit auf eBay ersteigert, lagen all seine Notizen mitsamt Fotos und Tonbändern. Es ist das Private, das mit dem Fund öffentlich wurde, und es scheint fast, als hätte Hans sein Liebesverhältnis nur für diese Eventualität dokumentiert. Der Fund gibt intime Einsichten in eine Zeit, die geprägt war von Provinzialismus, Kännchenkaffee und Lockenwicklern. Eine dokumentarische Zeitreise. Der Koffer mit seinem Inhalt wurde in der Kunstszene als Objet trouvé gefeiert, es gab einen ausführlichen Artikel im »SZ Magazin« . Vorbei war es mit der Privatheit und Intimität.
+ + +
»Sie machte weiter, bis er herausflutschte.«
+ + +
Deshalb ist es nur konsequent, dass Szenario, der Film, den Philip Widmann und Karsten Krause aus diesem Material machten, einen Schritt weitergeht. Die Filmmacher entreißen das buchhalterisch erfasste Liebesverhältnis seiner intimen Privatheit und beziehen es in seiner gelebten Durchschnittlichkeit auf die Bevölkerungsstatistik. »Die Frau in Familie und Beruf, 1970« heißt eine »Drucksache« des Bundestages, aus der zitiert wird, hinzugezogen wird das »Statistische Jahrbuch der Stadt Köln 1970« und »Jasmin«, eine Fachzeitschrift für die Sekretärin (Stichwort: Was tun, wenn der Chef zudringlich wird?). Der Film hört auf die Zeichen der Zeit. Auch die Namen, »Hans« und »Monika«, sind Zutaten, die auf statistischen Erkenntnissen beruhen, in Wirklichkeit hießen die beiden Schwerenöter anders: Günter und Margret.
+ + +
»Obwohl ihr Mann nicht schlecht verdient, wird Monika sagen, dass sie für den gemeinsamen Lebensunterhalt arbeiten geht. Ihr Mann steht ihrer Berufstätigkeit wahrscheinlich positiv gegenüber.«
+ + +
Der Film ist eine Erzählung entlang von Material, ein Durchblättern in einem fremden Fotoalbum und den Stimmen aus dem Off, mit denen Widmann & Krause die Zettel von Schauspielern verlesen lassen. Dann gibt es noch viele Ansichten von Deutschland, es sind überwiegend nichtsagende und unspektakuläre Ecken von Deutschland, Nicht-Orte, mit denen Widmann & Krause die statistische Wahrscheinlichkeit des Liebesverhältnisses Bild werden lassen.
Mit dieser zeitgemäßen Mischung aus unterschiedlichen Originalmaterialien haben Philip Widmann und Karsten Krause ein kunstvolles, aber unauffälliges Sittenbild der alten BRD gezeichnet. Herausgekommen ist: »Monika und Hans« – das war so durchschnittlich wie letztlich unaufregend. Und aus dieser Unaufgeregtheit ist ein erhellender und sehr starker Film geworden.
+ + +
»Ins Kino würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne männliche Begleitung gehen.«
+ + +
Die Statistik sagt: Auf ins Kino!