USA 1987 · 107 min. · FSK: ab 16 Regie: Dario Argento Drehbuch: Dario Argento Musik: Brian Eno Kamera: Ronnie Taylor Darsteller: Cristina Marsillach, Ian Charleson, Urbano Barberini, Daria Nicolodi, William McNamara u.a. |
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Jetzt lieber nicht hinsehen |
Terror in der Oper ist ein Wunder. Ein Filmwunder von Dario Argento. Ein Wunder ist bereits die Tatsache, dass es diesen Film überhaupt gibt. Entstanden ist der zum originär italienischen Subgenre des Giallo zählende Psychothriller im Jahr 1987, als die italienische Filmindustrie im Koma lag. Speziell das italienische Genrekino war Ende der 1980er Jahre eigentlich mausetot. Sogar Meister ihres Fachs, wie Argentos ewiger Rivale Lucio Fulci, der noch 1981 den stilbildenden Horrorkracher wie Das Haus an der Friedhofsmauer ins Kino bringen konnte, arbeiteten Ende der 1980er nur noch fürs Fernsehen.
In dieser kinolosen Zeit drehte Argento den für italienische Verhältnisse mehr als üppig ausgestatteten acht Millionen Dollar schweren Terror in der Oper. Der Film wurde nicht nur zum größten kommerziellen Erfolg des italienischen Horrormeisters, der vor seiner eigenen Regiekarriere schon am Drehbuch von Sergio Leones Westernklassiker Spiel mir das Lied vom Tod (1968) beteiligt war. Terror in der Oper gilt vielen auch als das letzte große Meisterwerk Argentos, er selbst bezeichnet ihn sogar als seinen liebsten Film. Argento ist selbst ein Opernnarr, der sich auch schon real als Opernregisseur versucht hat. Vor allem aber ist er ein besessener Regisseur, der in einem Interview erzählt, wie es ihm gelang, jede Szene anders zu drehen – und dabei noch wesentlich gewagter vorzugehen, als beispielsweise in seinem zehn Jahre zuvor entstandenen Horrorklassiker Suspiria.
Die Grundidee war vom »Phantom in der Oper« inspiriert, erzählt Drehbuchautor Franco Ferrini. Wie dort ist das Phantom nicht der Beschützer, sondern Peiniger der Hauptfigur, der jungen Opernsängerin Betty (Cristina Marsillach). Diese springt als Zweitbesetzung ein, als die eigentliche Hauptdarstellerin in Verdis Oper »Macbeth« während der Proben von Raben attackiert wird, die für einen Auftritt auf der Bühne gedacht waren. Schon bald kommt es im Opernhaus zu tragischen Ereignissen, ganz gemäß des angeblichen Fluchs, der bekanntlich über diesem Stück liegt. Doch schnell stellt sich heraus, dass ein psychopathischer und nicht minder bestialischer Killer Terror verbreitet. Zu sehen, wie das Opfer den Killer bei seinen Taten zusehen muss, ist der unausweichliche Horror des Films. Dario Argento hat mit dieser Anordnung eine meisterliche Metapher für das Wesen des Horrorfilms gefunden.
Über den Horrorfilm und seine schädlichen Einflüsse wurde gerade Ende der 80er Jahre viel diskutiert. Der Großteil dieser Diskussionen konzentriert sich auf die sadistischen Aspekte von Gewaltdarstellungen. Dabei wird vorausgesetzt, dass sich der Zuschauer automatisch mit dem Täter identifiziert, dessen Taten erzählt werden. In Terror in der Oper ist die Identifikationsfigur aber ganz eindeutig die beobachtende Betty. Dies zwingt den Zuschauer jedoch unweigerlich in die masochistische Position der Gequälten, auf die Spitze getrieben dadurch, dass der unvermeidliche Akt des Hinsehen des Zuschauers durch Bettys erzwungenem Zusehen gedoppelt wird: Weder kann sie den Blick abwenden noch die Augen verschließen, gleiches gilt für den Zuschauer, der, will er nicht den Film und damit den Grund für seinen Kinogang verpassen, die Augen nicht von der Leinwand abwendet.
Diese visuelle Perfidie erhebt Terror in der Oper zu einem durchtriebenen Meisterwerk. Argentos kreatives Spiel mit unterschiedlichen Kamerafahrten ist schlicht beeindruckend. Da fährt die Kamera gleich zu Beginn im flotten Rückwärtsgang vom Opernsaal bis hinaus auf die Straße. Ein anderes Mal erklimmt die Kamera die Fassade des Operngebäudes. Spektakulär ist es, wenn sich die Kamera im Rabensturzflug von der Decke des Opernhauses bis ins Parkett hinunterfallen lässt. Markante Kreis- und Schraubenbewegungen gibt es, wenn ein am Boden Liegender von der Zimmerdecke vom Kameraobjektiv in den Fokus genommen wird, und als Betty in einen versteckten Schacht hinein klettert, zieht die Kamera einen kompletten Kreis, ohne dass einem dies zwingend bewusst wird.
Zu den berühmt gewordenen visuellen Kunststücken zählt auch der in Zeitlupe festgehaltene Flug einer Pistolenkugel durch ein Schlüsselloch, direkt in ein Auge und durch den Schädel wieder heraus durch den Raum. All dies ohne digitale Tricks und über eine Dekade vor der gleichfalls berühmten »Bullet-Time« aus Matrix.
In Terror in der Oper spielen Klänge und Musik in den unterschiedlichsten Varianten neben der Kamera die zweite Hauptrolle. Zur Opernmusik setzt Argento die Titelmelodie des Ex-Goblin-Musikers Claudio Simonetti ein, dessen sphärische Synthesizerklänge den Film der Realität entheben. Eher deplaziert wirken jedoch der Heavy Metal bei den Tötungsszenen, eine Unart, die schon in dem vorhergehenden Phenomena (1985) für Misstöne gesorgt hatte.
Als Argento 1998 mit Das Phantom der Oper in die Welt der opulenten Opernhäuser zurückkehrte, verkniff er sich derartige Späßchen, konnte ihn deswegen aber auch nicht retten. Umso heller erstrahlt heute der wiederaufgenommene Terror in der Oper am Firmament des gesamten italienischen Filmschaffens.