USA/GB 2013 · 117 min. · FSK: ab 12 Regie: Zal Batmanglij Drehbuch: Zal Batmanglij, Brit Marling Kamera: Roman Vasyanov Darsteller: Brit Marling, Alexander Skarsgard, Ellen Page, Toby Kebbell, Shiloh Fernandez u.a. |
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Ein Terroristenfilm, gespielt von zwei Komplizen |
Geheimnisse sind gefährlich. Wer nach fremden Geheimnissen stöbert, wird, sobald er sie findet, von ihnen verändert werden. Denn meistens will er mit ihnen etwas anfangen, was bedeutet, dass er jemandem Nutzen oder jemandem Schaden zufügt. Diese Entscheidung über die Verwendung von Geheimnissen erfordert von ihm eine gewisse Selbstbetrachtung, er muss sein Handeln anhand des neuen Wissens neu bestimmen. Und manchmal stellt er fest, dass dadurch sein Leben aus der Bahn gerät.
Im Juli starten nun gleich zwei Filme, die sich mit der verändernden Kraft von Geheimnissen befassen. Beide handeln, erstaunlich genug, von radikalen politischen Bewegungen innerhalb Amerikas. Robert Redfords The Company You Keep erzählt vom Ende einer solchen, Zal Batmanglijs The East von einer, die gerade entsteht: Eine Gruppe junger Menschen setzt sich zum Ziel, die Missetaten bestimmter Bau- oder Pharmafirmen aufzudecken, und zwar im großen Stil. Einerseits soll die Öffentlichkeit erfahren, was hinter den respektablen Fassaden passiert, andererseits sollen die Verantwortlichen möglichst alttestamentarisch zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Gruppe nennt sich »The East«, und sie wirkt mit ihren eigenwilligen Anschlägen wie eine Geistererscheinung: Ihre Taten werden nicht gesehen, die Konsequenz ihrer Taten jedoch macht Schlagzeilen.
Sehr schnell werden private Sicherheitsdienste aktiv, um dieses Problem zu beheben, doch zuerst muss »The East« gefunden werden. Sarah, eine Security-Agentin von verlässlichem Ehrgeiz und bequemer Überzeugung wird beauftragt, sich eine Aussteiger-Identität zuzulegen, in der Hoffnung, so auf die Spur der Rebellen zu kommen. Indie-Star Brit Marling verkörpert diese Frau, die ihre blonde Mähne bald als Tramperin in den Wind hält.
Es wird Sarah gelingen, die Gruppe zu infiltrieren, sie wird lernen, deren Leben im Wald zu teilen, deren Strafaktionen zu begleiten. Das Undercover-Motiv geht dabei in eine weitere Runde, denn auch »The East« muss sich verkleiden: Wer eine Party vom Pharma-Firmenvorstand sabotieren will, sollte aussehen wie ein geladener Gast. Aber lang bevor die Geschichte sich auf das konventionelle Terrain des Krimis begibt, hat sie große Momente. Manche liegen in der Beschwörung früherer Hobo-Filme, manche in unerwarteten Assoziationen zu Charlie Manson – denn in The East sieht man Jugendliche, die illegal in Güterzügen über Land fahren wie etwa in Scorseses Boxcar Bertha, oder sich von den Lebensmittelabfällen der Supermärkte ernähren wie dereinst Mansons Mädchenbande.
Die Idee zu The East entstand bei Brit Marling und ihrem Freund Zal Batmanglij, als beide einen Sommer lang genau das taten, was sie anfangs hier zeigen – draußen leben ohne Geld, in Bewegung gehalten vom Rhythmus der Eisenbahnwaggons, von der Fülle der Müllcontainer. Sie waren offenbar nicht allein mit diesem Lebensstil, also erfährt man hier nebenher, wie die heimatlosen Abenteurer wieder zunehmen im Amerika der Wirtschaftskrise.
Brit Marling verfasste dann das Drehbuch zu The East, Batmanglij übernahm die Regie. Marling arbeitet als Co-Autorin für Drehbücher schon seit 2004, als sie mit Mike Cahill das Script der Dokumentation Boxers And Ballerinas schrieb. Gleichzeitig begann sie, sich dem Business von praktisch jeder kreativen Seite zu nähern, sie führte Regie, machte Produktion und stellte sich selbst vor die Kamera. Die Ergebnisse waren immer inspiriert, kamen aber nicht unbedingt in Deutschland an. 2011 konnte man zumindest den melancholisch versponnenen Science-Fiction-Film Another Earth sehen, wieder ein gemeinsames Projekt von Marling und Cahill.
In The East bekommt man vor allem eine Demonstration adoleszenter Gruppenpsychologie. Denn einmal bei »The East« angekommen, macht Sarah all die Spiele mit, die den verschworenen Zusammenhalt der Mitglieder zementieren, was beim Flaschendrehen anfängt und bei der Planung konspirativer Aktivitäten endet. Diese Vertrauensförderung in der Gruppe nimmt teils psychedelische, teils dubios sexuelle Formen an, besonders angenehm wirkt keine der Varianten. Es scheint, als habe der Film neben aller Sympathie für die Motive der Rebellen doch einen Rest Misstrauen in ihre Zurechnungsfähigkeit. Er zeigt sie, wenn sie nicht gerade lässig ihre Anschläge durchführen, als eine Bande Außenseiter, die einem charismatischen, desillusionierten Anführer folgen.
Auch Sarah verliert ihr Herz an diesen Mann, oder vielleicht an alle ihre neuen Freunde, denn Freundschaften wie diese, in denen man einander rückhaltlos nahe kommt, sind tatsächlich selten im Leben. Je mehr Sarah mit der Gruppe unternimmt, desto mehr gerät sie in Loyalitätskonflikte. Ihr bisheriges Weltbild, in dem falsch und richtig klar zugeordnet waren, verliert an Tragfähigkeit – an ihrem Auftrag ändert das allerdings nichts. So wird der Film zu einem Thriller, der stets damit spielt, wo seine Protagonisten stehen und wo sie sich hinbewegen werden.
Denn nicht nur Sarah, auch die Gruppe verwandelt sich. Nach dem ersten Rausch kommen böse Erfahrungen, dann nämlich, wenn ihre Taten plötzlich Opfer in den eigenen Reihen fordern – oder wenn diese Taten überhaupt mit dem Gewissen der Mitglieder kollidieren. Es sieht so aus, als wolle The East der Dynamik innerhalb eines militanten Untergrunds nachspüren, wie Marling und Batmanglij sich das vorstellen. Das allein wäre schon reizvoll, darüber hinaus aber experimentiert der Film mit den vertrauten Facetten des Undercover-Movies, und er führt für Sarah zu einem nicht ganz so vertrauten Schluss: Sie hat, als sie dann dasteht mit all den Geheimnissen, die sie unbedingt kennen wollte, ihre einfache Weltsicht verloren.
Ein in die Form des Thrillers, also des Unterhaltungskinos gekleideter politischer Essay. Es geht um einen Kampf zwischen den Extremen, zwischen dem Amoralismus heutiger Unternehmen und dem Moralismus des Protests. Am Ende steht eine sozialdemokratische Lösung
»We need someone to get inside the East. Whom would you choose?« – »Me. I am unexpected. Beeing unexpected is the only advantage that matters.« – Jane ist Ex-FBI-Agentin und arbeitet nun für ein privates Sicherheitsunternehmen jenes neuen globalen Typus' wie ihn die berüchtigte Firma »Blackwater« repräsentiert. Sie ist jung, talentiert und von solidem, aber nicht gewissenlosem Ehrgeiz – und auch ansonsten eben so, wie man die Helden des amerikanischen Independent- und ambitionierteren Mainstream-Kinos kennt: Erfüllt vom kapitalistischen Arbeitsethos innerweltlicher Askese, ein Mädchen, das pastellfarben lebt und das die Pferde liebt, die sie immer bei der Autofahrt aus den Suburbs zur Arbeit sieht – Pferde erinnern nicht allein an die Kindheit und die erste Liebe des jungen Mädchens, sie sind auch außerhalb Amerikas auch der Inbegriff von gesellschaftlich erlaubter Freiheit und Abenteuer. Bei der Fahrt in die Stadt sehen wir auch, dass Jane einen christlichen Radiosender hört. Später sehen wir sie beten. Das unterstreicht nicht nur ihren Konservatismus, es betont auch ihre Werteorientierung und dient so als Schlüssel um ihre Gesinnungskrise zu verstehen.
Ein konventioneller Anfang: Ihre Chefin vertraut ihr eine verantwortungsvolle Aufgabe an: Sie soll undercover jene Gruppe ausfindig machen und infiltrieren, die unter dem Namen »The East« von sich reden macht: Antikapitalistische und -konsumistische Widerständler, vage linksorientiert und keineswegs gewaltfrei. In Botschaften an die Medien bedrohen sie die Pharma- und Bauindustrie mit Anschlägen auf Sachen und auf deren Manager:
»We are the east. We don’t care how rich you are. We want all those who are guilty to experience the terror of their crimes, It’s easy when it’s not your life, easy when it’s not your home. But when it’s your fault, it shouldn’t be so easy to sleep at night. Especially when we know where you live. Lie on uns – we'll lie on you. Spy on us – we'll spy on you. Poison us – we'll poison you. And this is just the beginning.«
Unter falscher Identität – sie nennt sich nun Sarah – wechselt die schicke Städterin in Tramper-Outfit, reist per Fahrrad, als blinde Passagierin in Güterzügen und trampend durch das Land und landet bald in einer Aussteiger-Kommune in den Wäldern um Pittsburgh, die sich als The East entpuppt.
Der Film nimmt sich viel Zeit, diese Gruppe in ihren Facetten zu zeigen, die Individualität ihrer einzelnen Mitglieder herauszuarbeiten und ist erkennbar bemüht, seinem Publikum zu vermitteln, was deren Boheme-Leben und ihren politischen Widerstand für die brave Bürgerstochter Sarah/Jane attraktiv macht. Dabei verklärt der Film nichts. Es scheint den Filmemachern einfach um Fairness zu gehen. Zwar ist Sympathie für die Armen Amerikas deutlich, für diejenigen, die sich von den Abfällen der Supermärkte ernähren, die unter Brücken schlafen, wie auch für das verbreitete Lebensgefühl zwischen Paranoia und Weltuntergang und für Menschen, die auf die alltägliche Zerstörung unserer Welt und ihrer natürlichen wie ethische Lebensgrundlagen nicht mit Gleichgültigkeit antworten. Doch ähnelt der Film stellenweise eher als einem politischen Manifest einer kühlen sozialpsychologischen Studie über Gruppendynamiken. Nuanciert und anspielungsreich geht es dabei um die Mechanismen von Freundschaft und Zusammenhalt, um die Versuchungen durch Drogen, Sex, und überhaupt die Attraktionen, die die »Freiheit von« haben kann – die Absage an alle Konventionen des modernen Daseins, der antizivilisatorische Affekt eines Lebens unter eigenen Regeln, das notgedrungen zum Selbst-Experiment werden muss. The East aktualisiert die Hippiephilosophie und fragt nach deren Chancen und Gefahren unter heutigen Bedingungen. Das Spektrum reicht dabei gewissermaßen von John Lennon bis Charlie Manson – es geht auch um Gruppenterror, um moralische Exzesse und um die Selbstermächtigung einer kleinen Minderheit. Zugleich wird gezeigt, was geteilte Geheimnisse und gesetzlose Taten mit einer Gruppe machen; wie sie sie von innen auflösen und schließlich zerstören. Das aus vielen Thrillern bekannte Motiv einer Undercover-Identität wird nicht allein an Sarah/Jane durchgespielt, deren Loyalität bald ins Wanken gerät, sondern an der ganzen Gruppe, die in konservativer Kleidung die Dinnerpartys der oberen Zehntausend besucht.
The East ist insofern vor allem ein Film über schillernde moralische Identitäten. Als Jane steht Sarah für keinerlei Werte, sondern für die neutrale Prinzipienlosigkeit des Marktprinzips. Es ist für das Verständnis des Films essentiell, dass diese Heldin nicht für das FBI arbeitet, eben keine wie auch immer gezeichnete Gesetzesdienerin ist, und auch nicht zwischen zwei Prinzipien steht, sondern zwischen dem postmodernen Abschied vom Prinzipiellen, den die Sicherheitsfirma ebenso verkörpert, wie jeder andere Teil des Welt der Industrie, und dem klassisch-modernen Konzept des Handelns nach Prinzipien. Als Sarah steht Jane dazwischen, ein Individuum, das zwischen nicht weniger als zwei Weltentwürfen hin- und hergerissen ist.
Zugleich reiht sich THE EAST ein in eine inzwischen schon längere Reihe von neuen US-Filmen mit »revisionistischer« Agenda. Ganz eng ähnelt er Robert Redfords The Company You Keep, der kaum zufällig fast zeitgleich ins Kino kommt, und in dem gleichfalls Brit Marling eine Hauptrolle spielt. Auch darin geht es – allerdings in Form eines bilanzierenden Rückblicks – um eine radikale linke politische Untergrundbewegungen innerhalb der Vereinigten Staaten, und um die Folgen, die es zwangsläufig hat, wenn man sich in die Abhängigkeit einer Gruppe begibt, und Geheimisse teilt. Doch auch World War Z mit seiner Staatskritik, Tarantinos Django Unchained mit einem überraschend ungeschönten Blick auf die Sklavenwirtschaft der Südstaaten und nun Gore Verbinskis Lone Ranger, in dem das Böse in Form eines Bündnisses aus Gesetz, Mördern und dem militärisch-industriellen Komplex des Wilden Westens – Eisenbahn und US-Kavallerie – auftritt, fügen sich zum Gesamtbild einer erstaunlich expliziten und kompromisslosen Kritik an den politischen Mythen Amerikas.
»You create for a living toxichemicals, that will outlive us all and feel nothing. But tonight you will feel something.«
Hauptdarstellerin Brit Marling schrieb auch das Drehbuch zu diesem hervorragenden Thriller, bei dem ihr Studienkollege Zal Batmanglij Regie führte. Marling gehört zu den unkonventionellsten und auch darum interessantesten Film-Persönlichkeiten der letzten Jahre. Sie führte selbst in Werken Regie, die man nicht im deutschen Kino sehen konnte, und schrieb überdurchschnittliche Filmscripts. The East ist ihr bisher anspruchvollstes Werk.
Der Weg ist in diesem ausgezeichneten Film viel interessanter als sein Ziel, die ersten 80 Minuten besser, als die letzten 15, der klare Blick, mit dem The East die Amoral der Wirtschaft ebenso freilegt wie den Moralismus der Widerständler, ist ergiebiger, als das erwartbare Ende der Reise dieser Hauptfigur. Sarah kann und will nicht in dieser Außenseiterbande bleiben. Aber wieder in ihr früheres Leben integrieren kann sie sich auch nicht – Jane ist sie nicht mehr