30. Filmfest München 2013
»Das ist Snowden« |
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Zal Batmanglij Anfang Juli 2013 in München – Blickrichtung: to The East | ||
(Foto: Purr) |
Zal Batmanglij wurde 1980 als Kind iranischer Eltern in Frankreich geboren und wuchs in Washington D.C. auf. Seine Mutter ist die Kochbuchautorin Najmieh Batmanglij, sein jüngerer Bruder Rostam Gitarrist bei Vampire Weekend; beide Brüder bekennen sich offen zu ihrer Homosexualität. Batmanglij studierte Anthropologie und Englisch an der Georgetown University, wo er Mike Cahill kennenlernte und zusammen mit ihm einen preisgekrönten Kurzfilm realisierte; Brit Marling bot sowohl Cahill als auch Batmanglij auf diesen Film hin eine Zusammenarbeit an, die bis heute Bestand hat. Batmanglij war Stipendiat am American Film Institute. Sein überragendes Debüt Sound of My Voice wurde 2011 erfolgreich auf dem Sundance Film Festival gezeigt; 2012 nahm ihn Variety in ihre Liste von „10 Directors to Watch 2012“ auf.
Das Gespräch führte Axel Timo Purr.
artechock: Ist dies Ihr erster Besuch in Deutschland?
Zal Batmanglij: Nein, ich war vor 24 Jahren schon mal hier. Und zwar genau in diesem Hotel, dem Bayerischen Hof. Als ich acht Jahre alt war, zusammen mit meinen Eltern. Ich erinnere mich an rein gar nichts. Bis auf eins. Den Hotelbademantel, diesen riesigen Bademantel, der mich regelrecht verschlungen hat.
artechock: Dann haben Sie ja durchaus Erfahrung mit Deutschland und als Kind iranischer Eltern mit einem zeitweiligen Leben in Frankreich auch ein Gespür für Europa – könnte Ihr neuer Film The East auch hier angesiedelt sein?
Batmanglij: Auf jeden Fall. Politischer Aktivismus und anarchistische Ideen sind in Europa eine große Sache. In Spanien, in England und natürlich auch in Deutschland. Nach Vorstellungen von The East wurde ich zum Beispiel immer wieder gefragt, ob ich Die fetten Jahre sind vorbei gesehen hätte. Der wohl ähnlich ist, den ich aber nie gesehen habe. Und vielleicht ist das Thema meines Film sogar stärker in Europa als in Amerika verankert, diese ausufernde Firmenkriminalität, auch wenn es hier diese seltsame Vorstellung gibt, dass es das viel mehr in Amerika gibt. Ich muss ich nur in einen Laden gehen und mir die Lebensmittel ansehen – unglaublich viel ist mit genetisch veränderten Zutaten angereichert, alles natürlich „sauber“ deklariert.
artechock: Ich denke, in beiden Kulturräumen ist immerhin die Chance da, auf Alternativen zurückzugreifen, doch zumindest ein Unterschied scheint mir relevant – die privaten Geheimdienstorganisationen, die es so in Europa noch nicht gibt. Basieren diese Teile ebenso wie die „Hobo“-Passagen auf persönlichen Erfahrungen – ihrer zwei Monate, die Sie mit Brit Marling, ihrer Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin, auf der Straße und in Zügen als radikale Non-Consumer- Aktivisten verbrachten?
Batmanglij: Nun ja, wir haben das damals nicht als Feldforschung für unseren Film gestartet. Wir haben das gemacht, weil wir neugierig auf diese Art von Leben waren.
artechock: Und war es tatsächlich so, wie sie es in The East darstellen?
Batmanglij: Es war viel besser. Im Film benutzen wir es eigentlich nur als Kulisse, im wirklichen Leben hat es uns richtig verändert.
artechock: Dieser fast politische Hobo-Aktivismus hat in Amerika eine lange Tradtion. In den 1930ern initiiert durch die Dürre und künstlerisch aufgearbeitet durch Woody Guthries Balladen, in den 1950ern durch Jack Kerouac völlig neu definiert. Und dann natürlich Bob Dylan. Ist man sich heute »On the Road« dieser Traditionen noch bewusst?
Batmanglij: Natürlich borgt sich jede Bewegung Dinge aus der Vergangenheit und ist sich dieser Vergangenheit bewusst. Aber viel ist einfach auch sehr anders. Es gibt Mobiltelefone, es gibt das Internet. Wir sind also nicht nur in Güterzügen mitgefahren, sondern auch oft über Mitfahrgelegenheiten auf Craigslist weitergekommen. Es ist also anders. Gleichzeitig kleiden sich die Leute ein bisschen wie damals und stehen auch politisch in der alten Tradition: es sind Anarchisten, Veganer, Tribalisten, die sich ganz bewusst mit der Vergangenheit verorten, natürlich immer auch, weil sie die gegenwärtige Konsumkultur verachten.
artechock: Von diesen realen Erfahrungen kommend – wie haben Sie das Script mit Brit Marling entwickelt?
Batmanglij: Wir mussten diese unglaublich mächtigen Erfahrungen irgendwie in den Griff kriegen. Wir waren einfach völlig mitgenommen und zugleich auch verstört von dem, was damals schon über die privaten Geheimdienste gemunkelt wurde. Aber das war alles recht vage, Bestätigung für unsere Geschichte habe wir erst vor ein paar Wochen bekommen, als es mit Snowden losging. Ich meine, wir wussten damals, dass bereits 40 Prozent aller Geheimdiensttätigkeit an private Unternehmen outgesourced wurde. Wir wussten das, es gab Statistiken, wir haben es nicht erfunden. Aber Wissen ist einfach etwas ganz anderes, als es dann real im Fernsehen und über die Presse bestätigt zu bekommen. Aber es fügte sich alles ganz wie selbstverständlich zusammen, so das mir Britt Manlings Charakter eines „Whistleblowsers“ nicht übermäßig fiktional vorkam.
artechock: Mit Snowden ist ihr Film ja in wirklich verblüffendem Ausmaß von der Realiät eingeholt worden.
Batmanglij: Absolut. Wir beenden den Film damit, wie Sarah einen Video dreht: »Mein Name ist Jane Owen. Ich habe für Hiller Brod gearbeitet.« Das ist Snowden. Man hätte auch anders enden können. Haneke-ähnlich, pixelartig und dann das Ende. Fast schöner wäre es gewesen, wenn Snowden unseren Film ganz kopiert hätte. Statt alles bekannt zu machen, alle Agenten auf seiner Liste besucht hätte. Aber so wie es ist, reicht es ja schon. Snowden sagt im Interview: »I had access to the list of all operative in the world«. Das ist so ziemlich genau der Wortlaut in unserem Film. Völlig bizarr. Unheimlich.
artechock: Wie funktioniert dann das eigentlichen Scripten im Team mit Brit Marling?
Batmanglij: Zuerst erzählen wir uns gegenseitig die Geschichte, so wie wir beide uns jetzt gegenüber sitzen. Wir haben ein bisschen Sex, trinken Wasser, erzählen uns die Geschichte. Wir schreiben nicht über Monate, wir bleiben bei diesem Erzählen, fangen dann nach vier Monaten an, Szenen zu spielen, nehmen sie mit unseren Smartphones auf. Und erst danach schreiben wir in ungefähr vier Wochen alles auf.
artechock: Gilt das auch für Sound of My Voice?
Batmanglij: Sehr ähnlich, nur schneller.
artechock: Auch bezüglich der persönlichen Erfahrungen, die der Geschichte zu Grunde liegen?
Batmanglij: Wir haben zwar keine Zeitreisende getroffen, aber im Grunde natürlich schon. Als wir zum ersten Mal nach L.A. kamen, waren da diese ganzen Gruppen. Yogi-Gruppen, spirituelle Gruppen und wir waren ziemlich fasziniert davon.
artechock: Beide Filme sind sich sehr ähnlich. In beiden wird eine Gruppe von aussen infiltriert. Beide Filme sind akribisch genaue, fast hyperrealistische Gruppenanalysen. In beiden Filmen wählen Sie ein vieldeutiges Ende und verzichten auf einen radikaleren Zugang zum Thema, so etwas wie einer Handelsanweisung.
Batmanglij: Wir haben das versucht, den radikalen Weg. Dass in The East beide am Ende weggehen, so eine Art Märchenende. Das gilt auch für Sound of My Voice und vielleicht ist es unsere Schwäche als Filmemacher, dass wir es so nicht gemacht haben. Aber ich denke eigentlich, dass das Ende von Sound of My Voice durchaus radikal ist: es ist klar, was passiert, aber es ist nicht klar, was es bedeutet. Das liegt beim Zuschauer.
artechock: In gewisser Weise gebe ich Ihnen Recht. Man darf und kann sich einer Sache nie sicher sein, wie sicher sie auch erscheint. Einen letzten Moment von Zweifel sollte man sich immer bewahren, auch wenn es um die Möglichkeit von Zeitreisen geht.
Batmanglij: Oder um Glauben, jede Art von Glauben. Blinden Glauben vor allem. Und ist Sound of My Voice am Ende radikal, so ist The East elegant. Nicht nur mit Snowden auf der Bildfläche und sich vorzustellen, dass er jetzt in Moskau die Agenten auf seiner Liste kontaktiert und damit wirklich radikal die NSA von innen heraus angeht. Nein, ich meine mit elegant auch Sarahs finales Bekenntnis zu sich selbst, trotz der Versuchung als Einzelgängerin endlich einer Gruppe anzugehören sich letztlich doch für sich selbst und die eigene Moral zu entscheiden.
artechock: Sie arbeiten mit Brit Marling zusammen. Denken Sie manchmal auch wieder daran mit Mike Cahill zusammenzuarbeiten?
Batmanglij: Mike Cahill ist mein bester Freund. Wir haben unsere ersten Filme zusammen gemacht, unsere Kurzfilme, wodurch wir dann Britt kennengelernt haben. Sie hat zur gleichen Zeit einen Film mit Mike geschrieben und einen mit mir, 2008/2009.
artechock: Another Earth und Sound of My Voice?
Batmanglij: Ja. Seitdem hat sie zwar einen weiteren Film mit mir, jedoch keinen mehr mit Mike geschrieben, doch bei ihm gespielt. Und irgendwie hätte ich auch Lust wieder mit ihm zu arbeiten, aber es ist komplizierter geworden. Wir sind beide Regisseure. Ich hätte nichts dagegen, ich mag Mike. Aber wenn man älter ist, wird es schwerer zusammzuarbeiten. Wenn man jünger ist, bedeuten die Dinge nicht so viel, heute ist alles mit Bedeutung aufgeladen. Einen Film wie Sound of My Voice werde ich wohl nie wieder machen. Damals wusste ich nicht, ob irgendwer diesen Film, den ich gerade mache, jemals sehen würde, das war eine völlig andere Herangehensweise. Heute weiss ich, egal ob meine nächsten Filme ein Flopp werden, dass zumindest ein paar Leute sie sich ansehen werden und das verändert alles. Dein Denken ist von grundauf verändert mit diesem Wissen.
artechock: Ihre Erziehung ist multikulturell: als Kind iranischer Eltern in Südfranfrankreich geboren, in den USA groß geworden. Hat der iranische Film Sie beeinflusst, sprechen Sie Farsi?
Batmanglij: Ja, mehr schlecht als recht. Es ist mehr eine Sache der Gene. Ich fühle mich irgendwie dazugehörig. Wenn ich einen Film wie Nader und Simin sehe, dann ist es, als ob der Film zu mir spricht. Es ist wie bei Leuten, die bei der Geburt getrennt werden – Zwillinge, Vater und Sohn, Mutter und Tochter – und die sich dann nach 30 Jahren wiedersehen. Ein Art von intuitivem Erkennen. Haben Sie den letzten Film von Sarah Polley gesehen, Stories We Tell?
artechock: Oh ja – großartig!
Batmanglij: Fantastisch, mein Highlight dieses Jahres. Ich werde auf jeden Fall versuchen, sie für einen meiner nächsten Filme zu verpflichten. [Lacht] Erinnern Sie sich, wie sie das erste Mal ihren biologischen Vater trifft, dieser irre Moment, als es einfach nur Klick macht. Das ganze intellektuelle, reflektive ihrer Person, alles ist plötzlich erklärt. Es ist wie ein Spiegel, in den sie guckt. Ein Spiegel, der aber nicht nur die Personen, sondern auch ihr Umfeld reflektiert. Und das ist auch fremd. Genauso geht es mir mit dem iranischen Kino. Ich lerne dabei etwas über den Iran, in dem ich nie gewesen bin, ich lerne etwas über mich selbst, weil ich DNA mit der Geschichte meiner iranischen Eltern teile und gleichzeitig frage ich mich, was das eigentlich alles ist, diese Langsamkeit zum Beispiel.
artechock: Und der französische Einfluss? Wiegt er schwerer als der iranische oder ihre amerikanische Filmsozialisation?
Batmanglij: Neben meiner Geburt und ein paar Jahren Kindheit habe ich später einige Zeit mit meinem Hund in Südfrankreich verbracht. Und natürlich Filme gesehen, die mich geprägt haben, aber im Grunde ist es die amerikanische Sozialisation, die mich am stärksten beeinflusst hat. Und das nicht nur auf der filmischen Ebene. Es ist einfach die außergewöhnlichste meiner Identitäten. Ich erinnere mich an eine Hochzeit, wo ich neben einem britischen Paar saß und die mich fragten: »Du fühlst Dich doch nicht wirklich als Amerikaner, oder?« Ich sagte: »Doch und zwar 100 prozentig!« Sie konnten das überhaupt nicht nachvollziehen, dass ich so etwas während dieser düsteren Jahre unter Bush auch nur ansatzweise vertreten konnte. Aber das ist das Schöne an Amerika. Amerikaner gibt es in allen Formen und Größen. Und so ist die Kultur, so sind die Filme. The East wäre nicht denkbar ohne den Einfluss von Filmen wie Die Unbestechlichen oder Pakulas Die Akte. Und diesen Einfluss weiß ich zu schätzen.