Deutschland 2017 · 93 min. · FSK: ab 18 Regie: RP Kahl Drehbuch: RP Kahl, Torsten Neumann Kamera: Markus Hirner Darsteller: Deborah Kara Unger, RP Kahl, Ava Verne, Lena Morris, Joel Cairo u.a. |
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Antonioni, Sinnlichkeit und & Wahnsinn |
Die ersten Bilder zeigen eine Autofahrt in die Nacht. Ein Beginn, der gleich Zeichen setzt, der an zahllose Film Noirs erinnert, an Blood Simple von den Coen Brüdern, am stärksten aber an David Lynch. Dieser Verweis hält stand, denn tatsächlich könnte dieser Film auch Lost Highway heißen. Auf unübersichtlichen, labyrinthisch verknoteten Strängen folgt man Frank, einem nicht mehr ganz jungen Mann aus Deutschland, der sich im Zwischenraum zwischen seiner eigenen Vergangenheit und der Sehnsucht nach einer Zukunft verfängt, der dabei immer wieder auf Abwege gezogen wird von den Sirenen der eigenen Vergangenheit und Phantasmen, die er mit der Gegenwart verwechselt. Blitzartige Flashbacks und fotografisch präzise Szenerien verwandeln den Film in eine Topographie aus Atmosphären, in der Stimmungen das Geschehen überlagern.
Die Reise des Films hebt ab in einer Stadt aus Autos, Beton und Metall, und findet dann ihren Fluchtpunkt in der Wüste des Death Valley, einem Raum, in dem jedes Gefühl früher oder später wie ausradiert erscheint und alles in der Selbstverständlichkeit der Sandkörner abstrahiert und aufgehoben ist. Hier, nach einer langen Flucht im Auto, die irgendwann nur noch eine Richtung kennt, kommt Frank an seinen persönlichen Nullpunkt, die »Ecstasy« des Titels. Ein Nachtreise wird dies daher auch, obwohl ein großer Teil der nachfolgenden Bilder in gleißende Helle getaucht sind, in einen mörderischen Sonnenschein, und die Film-Noir-Situation umdreht. Frank ist auf der Suche nach einer verlorenen Liebe. Zum Auslöser, zum die Handlung antreibenden »MacGuffin« wird ein zwanzig Jahre altes Tagebuch. Dessen Text, immer wieder aus dem Off zu Frank sprechend, funktioniert wie die Stimme einer Erzählerin. Frank sucht Tiefe, Begehren und findet er gerade im strahlenden Flirren des Death Valley vor allem Düsternis und Dunkelheit.
A Thought of Ecstasy sei »ein Erotikthriller« sagt Regisseur RP Kahl und tatsächlich sieht man unter anderem Thrill, Gewalt, Sadomasochismus und ein paar ziemlich explizit dargestellte Sexszenen. Trotzdem »Erotikthriller« – man sagt das dann so leicht, weil man Frauen und Männer nackt sieht, oft und öfters, und eben Sex. Aber zumindest die Frauen in diesem Film sind andererseits auch immer Phantasiegebilde, sie existieren im Kopf der
Hauptfigur und damit im Kopf der Zuschauer: Eine Piratenbraut mit Augenklappe, eine Prostituierte, eine Femme Fatale, eine Wahrsagerin.
Der Cast ist ein Mix aus Stars wie Deborah Kara Unger, die schon Hauptrollen in Filmen von David Fincher und David Cronenberg gespielt hat, und Buddy Giovinazzo sowie Newcomerinnen wie Ava Verne und Lena Morris.
Dieser Roadmovie-Trip ist auch ein Art Science-Fiction, denn er spielt mit den neueren Themen dieses Genres, mit Dystopie und Paranoia. In den Vereinigten Staaten der nahen Zukunft des Jahrs 2019 herrscht Wasserknappheit. Die Swimming-Pools sind ausgetrocknet, der Nachrichtensprecher im Radio verkündet täglich den »hottest day on record.«
A Thought of Ecstasy ist ein Beispiel dafür, dass die Kulturetats der deutschen Behörden manchmal doch nicht »zweckgebunden«, sondern sinnvoll ausgegeben werden. Vor ein paar Jahren verbrachte Regisseur Rolf Peter »RP« Kahl drei Monate als Stipendiat im deutschen Kulturzentrum der »Villa Aurora« in Los Angeles. Die alte Villa des aus dem Dritten Reich geflohenen Lion Feuchtwanger wurde für den Regisseur zum Ausgangspunkt für Reisen ins Landesinnere und damit einer ganz persönlichen Amerikaerfahrung. »Es klingt vielleicht übertrieben pathetisch, aber das hat min Leben verändert, meinen Blick auf die Welt.« sagt der im Erzgebirge aufgewachsene Regisseur. »Ich war fasziniert von der Landschaft Kaliforniens, dem Lebensgefühl, den Bildern der Stadt, der Sonne – wie wohl schon viele vor mir.« Den amerikanischen Westen bereiste er mit Jean Baudrillard. Die Realität, so behauptete der französische Philosoph in den achtziger Jahren (»Amérique«, 1986), sei ereignislos und entwirklicht, sie wiederhole sich nur mehr als Simulation. Amerika ist nicht real, ist eher eine Fiktion – »vielleicht leben wir alle nicht in einer realen Welt« sagt Kahl, und macht damit die Stoßrichtung seines Films deutlich. Amerika, also die Welt vor allem als Simulation aus Mythen und Spektakel, in der das Ich als Spiegelung der Gesellschaft wirkt, in der man nur ist, wenn man so ist, wie alle sagen, dass man ist – dies ist etwas, das auf unsere eigenen Verhältnisse zurückweist. Kahl verwandelt diese Abwesenheit der Welt in ein vertrautes, körperlich spürbares Gefühl. Sein Frank ist einer von uns. Und Kahls Figuren repräsentieren die andere, wahrhaftigere Seite der Welt jenseits aller gegenwärtig zur Schau getragenen vor allem moralischen Perfektion.
Kahl und sein Kameramann, der Münchner Photograph Markus Hirner skizzieren mit wenigen Szenen mythische Topografien, berauschen sich an der räudigen Atmosphäre schmuddeliger Red-Light-Bars, der Tristesse ranziger Motels, der Impressionen, die sie am Wegrand der Story aufsammeln. Es ist ein imaginiertes Amerika: Unzählige Genremotive werden zitiert, um eine bestimmte Ambiance, einen emotionalen Geschmack zu erzeugen.
In diesem Film ist kein Bild unschuldig, vielleicht wird er dadurch zu einem sehr deutschen Film. Es sind Bilder voller Falltüren und toter Winkel. Sie zeigen einen Trip durch ein fremd-vertrautes Land, vertraut, weil man an jeder Ecke Bekanntes wiederfindet, etwas, das man glaubt schon einmal gesehen zu haben in anderen Filmen, auf Photographien und Plattencovern, fremd, weil es sich um Amerika handelt, das eben doch ein Ort ist, von dem wir Europäer langsam und schmerzhaft verstehen, dass wir ihn nicht verstehen. Von solchen Prozessen der Entinnerung, dem Abstreifen des vermeintlich Gewussten handelt A Thought of Ecstasy. Am Ende steht wie ein weißes Blatt das blanke Weiß der Wüste, die gleißende Hitze, das Flirren der Fata Morgana. Das Nichts ist zu sehen und zu fühlen.
Vor genau 20 Jahren wurde Kahl als Produzent und Hauptdarsteller von Oskar Roehlers Langfilmdebüt Silvester Countdown bekannt, der seinerzeit viele Preise gewann und ein internationaler Überraschungserfolg wurde. Es folgte Kahls Regiedebüt Angel Express, ein »Berlin-Film«, der zu Unrecht im Schatten des gleichzeitigen Lola rennt-Welterfolgs verkümmerte. Seitdem führt Kahl die in Deutschland überaus seltene Doppelexistenz, gleichzeitig Schauspieler und Regisseur zu sein. Sowohl der Schauspielerinnen-Dokumentarfilm Mädchen am Sonntag (2005) als auch Bedways (2010) hinterlassen deutliche Spuren in A Thought of Ecstasy, trotzdem glaubt Kahl: »Mit dem Film komme ich wieder beim Geist von Silvester Countdown an.«
»Meine Absicht war es, keine neuen Klischees für L.A. mit meinem Film hinzufügen, ein fast aussichtsloses Unterfangen, ich weiß. Amerika, Kalifornien, L.A. sind auch ein Spiegel der Dekadenz, der Dekadenz unseres Systems. Aber ein ehrlicher, unverstellter. Wenn man dann zurück kommt, kommt hier alles klein vor, verschwunden.« Ein Europäer in Amerika, europäische Fragen an die amerikanische Antwortmaschine: An Filme von Louis Malle muss man denken, unweigerlich auch an Wim
Wenders' Paris, Texas, einem auch sehr romantischen deutschen Film in dem ebenfalls ein Mann auf die Suche nach seiner Vergangenheit geht, in einer Absteige landet, und Voyeurismus ein zentrales Motiv ist.
Vor allem aber ist es Michelangelo Antonioni um dessen Zabriskie Point keine Betrachtung dieses Films herumkommen kann. »Logisch musste ich immer an Antonioni denken. Auch wenn ich Zabriskie Point gar nicht für seinen besten Film halte, auch glaube ich, einiges gar nicht kapiert zu haben.«
Aber auch anderes, nicht europäisch Gefiltertes nennt Kahl im Gespräch: The Brown Bunny von Vincent Gallo (»habe ich bestimmt nie wirklich geschafft, in einem durchzugucken, aber ich komme doch immer wieder bei dem Film an.«). Paul Schraders The Canyons war sehr wichtig, und auch zwei Klassiker von Billy Wilder: Sunset Boulevard und Double Indemnity.
Gedreht wurde im Produktionsstil, den Kahl zum ersten Mal bei Mädchen am Sonntag für sich gefunden hatte: Mit kleinstmöglichem Team, »noch nicht alles wissen, was am Tag passieren kann, trotz Drehbuch. Wie ein Maler vorgehen.« seine Vision von Kino sei, so Kahl, auch darauf zu vertrauen, was Bilder alles erzählen und transportieren können. »Klar sind LA und Kalifornien ein Geschenk zum Drehen. Da muss man sich schon sehr blöd anstellen, um es total zu verrocken, wenn einem wichtig ist, nicht alles durch Story und Gequatsche zu erzählen.«
So ist dies viel mehr ein Trip als eine Narration von Plotpoint zu Plotpoint. Dazu trägt die Musik des Films einiges bei, von Mahler (1. Symphonie) bis zu Berliner Electro-Musik von »Moderat«. »Gerade die Zusammenarbeit mit Gajek und Szary von Monkeytown Records war immens wichtig für unseren Film.« sagt Kahl, »schon damals in der Wüste, beim ersten Mal dort vor Ort, lief sie.«
Eine letzte Inspirationsquelle waren die philosophischen Schriften des französischen Surrealisten Georges Bataille. Dessen soziologisch-philosophische Theorie einer »Ökonomie der Verschwendung« lässt sich in A Thought of Ecstasy wiederfinden: Erst in der Todesnähe, in der Verschwendung der Ressourcen, sei ein authentisches Leben möglich.
Verstörend exakt passt A Thought of Ecstasy in diesen
historischen Moment, in dem ein Mann wie Trump zum US-Präsidenten werden konnte, und vielleicht gar nicht trotz – wie man gern hätte – sondern wegen »just grab them by the pussy« von erstaunlich viel Frauen gewählt wurde, und in dem die Welt gleichzeitig in den Opfernarzissmus einer MeToo-Kampagne einstimmt. Auch die Causa Weinstein ist in diesem Film bereits erstaunlich prophetisch präsent. Das passt, denn dieser Film ist – ohne jetzt zu viel zu verraten –
auch ein Rachethriller. Es ist das Unvorhersehbare, das den Reiz dieses Trips ausmacht, seine toten Winkel.
A Thought of Ecstasy ist ein sehr sinnlicher Film, auch ein bisschen wahnsinnig, und in jedem Fall eine großartige Kinoerfahrung.