D/GB 2004 · 103 min. · FSK: ab 0 Regie: Thomas Riedelsheimer Musik: Fred Frith, Evelyn Glennie Kamera: Thomas Riedelsheimer Darsteller: Fred Frith, Evelyn Glennie |
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sound, not noise |
Kino ist ein visuelles Medium. Wenn wir ins Kino gehen, wollen wir uns an prächtigen Landschaften berauschen, fremde, im Computer erschaffene Welten bewundern, die Realität hinter der wackeligen Handkamera spüren, uns von rasanten Kamerafahrten und Schnitten fesseln lassen.
Und was hören wir zu diesen Bildern? Die Dialoge natürlich und die Filmmusik, aber sonst? Sind die restlichen Geräusche im Film überhaupt der Rede wert?
Vielleicht hat es mit den stummen Anfängen des Kinos zu tun, dass bis heute die Töne darin ein wenig stiefmütterlich behandelt werden. Dabei sind die Klänge und Sounds eines Films oft genug ein äußerst wichtiger Beitrag zu seinem Gelingen, nur besteht die große Kunst des Sounddesigns (im Kino ebenso wie bei Autos oder anderen Produkten) eben darin, nicht bewußt wahrgenommen zu werden. Entsprechend unbekannt sind dann selbst Spezialisten auf diesem Gebiet, die nur neidvoll auf die (bescheidene) Berühmtheit mancher Kameramänner blicken können.
Wie wichtig die Töne im Kino und im täglichen Leben sind, wie (nachlässig) wir damit umgehen und wie man aus diesen Tönen Kunst macht, zeigt Thomas Riedelsheimer in seinem neuen Dokumentarfilm Touch The Sound. Im Mittelpunkt des Films und gewissermaßen als Führer durch die Welt der Töne, erleben wir die Musikerin Evelyn Glennie, die es trotz fast vollständiger Taubheit zu einer der weltweit besten Perkussionisten gebracht hat.
Am Beginn des Films steht dabei ein Missverständnis.
Es ist dies der Glaube, dass wir überall um uns herum etwas Spannendes hören können, wir aber verlernt haben, dies zu erkennen und wahrzunehmen. Riedelsheimer führt uns vor Augen und Ohren, wie die Rollen eines Koffers rhythmisch klackern, wie eine Ampel surrt, wie Schritte hallen, wie es klopft, hämmert, brummt, pfeift. Erstaunt gesteht man sich schnell ein, tatsächlich das Empfinden für den täglichen Rhythmus verlernt zu
haben, während Evelyn Glennie trotz Ihrer Behinderung (die für sie selbst keine solche ist, sondern nur eine andere Form der Wahrnehmung) all das in seiner Vielfalt aufnimmt.
Auch ich wollte mich dieser verlockenden Weltsicht gerade anschließen, als in dem mit nur fünf Personen besetzten Kino das Rascheln einer Chips-Tüte begann. War das nicht eines dieser Geräusche, die wir ansonsten so gerne überhören, deren versteckten Reiz wir nicht mehr erkennen? Möglich, nur wollte dieses Rascheln leider so gar nichts Faszinierendes haben und mit der sphärischen Musik von Glennie und Fred Frith vertrug es sich nicht im Geringsten. Es war nun einmal kein interessanter sound, sondern einfach nur ein störendes noise. Und da fällt einem plötzlich wieder ein, warum man die meiste Zeit mit verschlossenen Ohren durchs Leben geht, weil es allenthalben dröhnt, schreit, dudelt, fiept.
Wo liegt nun das Problem? Beim ignoranten Zuschauer, der die Schönheit eines Tütenraschelns nicht erkennt, oder beim Film, der die Welt der Klänge ein wenig zu rosig darstellt? Weder noch. Das Missverständnis tritt vielmehr deshalb auf, weil es dem Film so bravourös gelingt sein Thema zu vermitteln, dass wir uns vollkommen von Glennies Begeisterung für die Töne mitreißen lassen, mit dem verhängnisvollen Unterschied aber, dass sie eine außergewöhnliche Künstlerin mit einer ebenso außergewöhnlichen Wahrnehmung ist und wir eben nicht.
Man entdeckt in Touch The Sound ein ähnliches Phänomen wie zuvor in Riedelsheimers nicht minder großartigem Film Rivers and tides, der das Schaffen des Landschaftskünstlers Andy Goldsworthy zum Inhalt hat.
Darin sieht man einen Mann, der in die Umwelt hinausgeht, sich inspirieren läßt und ohne Werkzeug aus Steinen, Stöcken, Blättern und Eis die
wunderbarsten Kunstwerke schafft. Die Kunst scheint überall zu sein, man muss sie nur erkennen. Goldsworthys Arbeitsprozess wirkt so leicht, so selbstverständlich, dass man sofort selber in die Natur hinaus will, um es ihm nachzumachen, was selbstverständlich gnadenlos scheitert. Dass uns der kreative Vorgang eines leidenschaftlichen Künstlers so selbstverständlich und nachvollziehbar erscheint, ist der Verdienst des Dokumentarfilmers Riedelsheimer.
Und genau so erscheint nun auch bei Touch The Sound die Kunst der Evelyn Glennie als geradezu einfach. Töne sind überall, man muss sie nur erkennen und zusammenfügen. Dazu reichen notfalls ein paar Essstäbchen, Teller, Tassen und eine leere Dose; denkt man und beginnt selber auf irgendetwas herumzutrommeln und es klingt einfach nur fürchterlich.
Kunst ist tatsächlich überall, aber nur für Leute wie Goldsworthy, Glennie oder Fred Frith, die die Welt ganz anders wahrnehmen (bei Glennie im doppelten Sinne). Auch wenn ihre Art Kunst zu erschaffen oft zufällig, beiläufig oder spielerisch erscheint, steckt doch ein außergewöhnliches Maß an Talent und Können dahinter.
Für Evelyn Glennie ist es selbstverständlich und »einfach« kreativ zu sein. Riedelsheimers eigene Kunst ist es, die scheinbare Mühelosigkeit Glennies
dem Zuschauer zu vermitteln, was ihm kongenial dadurch gelingt, indem er seinen Film wiederum mit einer ähnlichen, vermeintlichen Leichtigkeit in Szene setzt.
Die Bilder für Riedelsheimers Film sind – wie die Steine und Stöcke für Goldsworthy oder die Töne für Glennie – allgegenwärtig und vor unserer Nase, aber es braucht einen echten Künstler, ihre Eigenheit zu verstehen und sie zu einem gelungenen Film wie diesen zusammenzustellen.
Touch The Sound ist somit ein hervorragendes Portrait der Künstlerin Evelyn Glennie, eine faszinierende Reflexion über das alltägliche Hören, ein sehr präzises Dokument über den künstlerischen Schaffensprozess, ein nahezu perfektes Lehrstück über die Wechselwirkung von Bild und Ton im Kino und schließlich ein kontemplatives Kunstwerk. Mehr kann man von einem einzigen Film eigentlich nicht verlangen.