USA 2015 · 102 min. · FSK: ab 12 Regie: Jeremy Garelick Drehbuch: Jeremy Garelick, Jay Lavender Kamera: Brad Lipson Darsteller: Kevin Hart, Josh Gad, Kaley Cuoco-Sweeting, Ken Howard, Cloris Leachman u.a. |
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Willkommen in der Realität 2.0 |
Weder der Titel noch die Plakatierung mag auf Gutes hindeuten, vor allem nicht der Zeitpunkt. Denn Anfang des Jahres wirft Hollywood vor allem jene Komödien auf den Markt, über dessen Qualität intern Zweifel herrschen. Aber es ist nun einmal, wie es ist. Und anders als alles, was man erwarten könnte, ist Jeremy Garelicks Die Trauzeugen AG nicht nur eine hervorragend getimte Komödie, sondern zudem intelligent, bitterböse, sarkastisch und völlig durchgeknallt. Und kritisiert fast nebenbei modernen Medienkonsum und seine Folgen für das soziale Leben – was will man mehr?
Vor weiteren Lobpreisungen über diesen Überraschungscoup sollten allerdings ein paar Aspekte aufgeführt werden, die einen durchaus auch verzweifeln lassen könnten. Denn Garelick bedient sich für seine Trauzeugen AG in beinah schon Dylanesker Art und Weise aus zahlreichem abgelagerten, aber immer noch spritzigem Vorgängermaterial. Vielleicht am offensichtlichsten sind die Anleihen aus Trauzeuge gesucht! und Hitch – Der Date Doktor, aber auch Spuren von Die Hochzeits-Crasher, The Hangover und den hervorragenden Bridesmaids sind an allen Ecken und Enden des Plots zu finden. Und dann das Genre an sich! Hochzeitskomödien, Grundgütiger! Aber in Zeiten, da selbst die Ungläubigsten in der Kirche heiraten und ihre Kinder konfirmieren lassen oder sich dem Ernst der Lage dadurch entziehen, indem sie sich auf möglichst bizarre Weise in den USA ehelichen lassen, ist selbst die größtmögliche Dekonstruktion dieses uralten menschlichen Übergangsrituals nicht groß genug. Also her mit den Filmen, her mit denen, die am härtesten zuschlagen.
Her also mit zwei der ruppigsten Komödianten, die der Markt zu bieten hat – Joshua Ilan Gad (Wish I Was Here, The Internship) und Kevin Hart (Ride Along). Wie schon gesagt, geht es in diesem Genre seit Jahren kaum mehr um feinsinnigen Humor, sondern darum, ein lästiges Ritual endlich loszuwerden, so dass in einer wunderbar hirnrissigen Szene nicht einmal vor einem Blowjob durch einen Hund zurückgeschreckt wird und Slapstick, nun ja – in seiner extremsten Form interpretiert wird, dem allenfalls noch von den letzten Filmen der Farrellys Paroli geboten werden kann. Aber gerade Slapstick ist im Grunde eine feinsinnige Angelegenheit, er muss zeitlich akribisch präzise eingesetzt werden, um nicht peinlich, sondern witzig zu sein, und das gelingt Garelick hervorragend.
Was den Film allerdings noch besser macht, ist die erzählte Geschichte, die nicht bei dem eigentlichen Genre-Schwerpunkt, der Hochzeit, halt macht. Denn darüber hinaus stellt Garellick die berechtigte Frage nach dem Wert von realen Freundschaften im virtuellen Social-Media-Umfeld. Der Realitätsanspruch wird dabei als relativ haltlos vorgeführt, umso mehr als so ziemlich alles, was die eigene Vergangenheit betrifft, umgeschrieben und neu inszeniert werden kann.
Um diese Ideen auf den humoristischen Punkt zu bringen, konzentriert sich Trauzeugen AG vor allem auf Doug (Josh Gad) und Jimmy (Kevin Hart). Doug, ein neuzeitlicher Nerd wie er in keinem Buche steht, realisiert plötzlich, dass seine digitale Welt nicht kompatibel mit der Realität ist. Als er völlig überraschend heiraten will, erhält er auf seine Trauzeugen-Anfragen an seine online gepflegten Beziehungen nur Absagen, so dass er sich auf eine neu etablierte Service-Leistung unserer kreativen Dienstleistungsgesellschaft einlassen muss – die von Jimmy geleitete »Trauzeugen AG«. Jimmy verspricht, ihm die Freunde zu beschaffen, die er nicht hat und seine Vergangenheit mit Fotos und Erlebnissen zu bereichern, die Dougs Braut Gretchen (Kaley Cuoco-Sweeting) immer dringender einfordert. Bei aller komödiantischer Brachialität setzt Garrelick vor allem hier feinsinnige Pointen, die auch deshalb faszinieren, weil sie ein Zerrspiegel unseres eigenen Remixes aus Virtualität und Realität sind: Zwar ist sich Doug bewusst, dass die Treffen mit Jimmy rein geschäftlicher Natur sind und die Re-Inszenierungen seiner Vergangenheit im Grunde Lügen sind, gleichzeitig ist er so glücklich wie nie zuvor im Leben. Mehr noch, als er feststellt, dass dieser Teufelspakt nicht nur seine Braut beeindruckt, sondern seine eigene Psyche einer völlig überraschenden, therapeutischen Katharsis entgegenstrebt.
Und vielleicht ist auch das ein Grund für das breite negative Echo, das Die Trauzeugen AG in den USA provoziert hat: Garellick konzentriert sich nicht nur auf ein gesellschaftliches Tabu, sondern führt das von Arno Plack 1976 exorzierte Paradoxon – »Der Mensch kann, wo alle lügen, nicht die Lüge vermeiden, aber er kann auch nicht mit der Lüge leben« – noch einen Schritt weiter, indem er die Lüge letztendlich zur neuen, gandenlos heilsamen Wahrheit postuliert.