Südkorea 2016 · 118 min. · FSK: ab 16 Regie: Yeon Sang-ho Drehbuch: Yeon Sang-ho Kamera: Lee Hyung-deok Darsteller: Gong Yoo, Ma Dong-seok, Jung Yu-mi, Choi Woo-sik, An So-hee u.a. |
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Zombie-Thrillride |
Wirklich ist hier natürlich rein gar nichts, auch wenn es – der Kategorisierung zuliebe – heißt, der große südkoreanische Animationsfilmregisseur Sang-ho Yeon habe seinen ersten Realfilm gedreht. Das Irreale findet sich zum einen wenig überraschend im Sujet: Die Zombies aus Seoul Station (2016) bleiben, welch Wunder, nicht brav auf dem Bahnsteig zurück, sondern entern den titelgebenden Zug nach Busan. Eine von ihnen genügt den Regeln des Subgenres zufolge, um eine Epidemie auszulösen. Bei Sang-ho Yeon geht dies alles rasend schnell: der Biss, die Infektion, die Verwandlung, die Verfolgung. Zum Sterben bleibt im Wortsinne keine Zeit, Untote kommen praktisch nicht vor in dieser Geschichte. Wie, um einen Schlag in die Gesichter aller Aficionados des schleichenden, stöhnenden Archetypen zu setzen – der britische Schauspieler und Drehbuchautor Simon Pegg etwa hat diesen vor Jahren enthusiastisch verteidigt –, beschleunigt Sang-ho Yeon seine zuckenden, zappelnden, rennenden Biester, die übereinander stolpern, manchmal wie eine Welle brechen und ihre kinetische Energie am bedrohlichsten im bedrängten Raum des Zuges entfalten können. So schnell wirkten Zombies noch nie, auch nicht ihre wohl bekanntesten Verwandten in World War Z (2013), die sich noch unfreiwillig in panoramatischen Choreographien organisierten, oder in 28 Days Later (2002), in dem die Leere der zerstörten Zivilisation so wesentlich erschien.
Nino Klinger hat in einer Kritik von The King of Pigs (2011) das Groteske, im Wortsinne Cartoonhafte der Gewalt nicht nur bei Sang-ho Yeon beschrieben. Doch weil die Bilder und Fratzen und Verrenkungen nun nicht mehr gezeichnet auf die Leinwand treffen, wirkten sie doppelt unwahr, doppelt entrückt, wenn zur Kontemplation, die der Entrückung eigen ist, nur Zeit wäre. Vielleicht ist es daher besser, von Übertreibung zu schreiben, einer Übertreibung, die sich bei diesem Regisseur aber noch nie auf die der Bewegung und der Gewalt beschränkte. Vielmehr bedingten diese sich gegenseitig immer schon mit einer Übertreibung im Psychologischen, mit Erregungs- und Emotionsspitzen, die lächerlich affektiert aussähen, würden Schauspieler sie darstellen.
Sang-ho Yeon bleibt sich allerdings treu: Gerangel und Gemetzel wechseln sich ab mit beinahe unglaublich satt inszenierter Sentimentalität, Raserei fließt ins Zeitlupenpathos, zirpende Streicher machen Platz für klagende Klavierläufe, gleißend überblendete Erinnerungen brennen sich in Hirne ein, die bald nur noch nach Biss und Nahrung gieren werden.
Erwartete man also einen realistischen Realfilm, so wäre dies als Kitsch unerträglich. In der Zuspitzung allerdings
kommt diese Erzählung erst zu sich selbst. Auch das Figurenpersonal zeigt sich am Allegorischen wie am Subgenreklischee entlang entwickelt: Seok-woo (Yoo Gong) ist Investmentbanker, »an expert at leaving useless people behind«, der sich widerwillig darauf einlässt, seine Tochter an einem Arbeitstag zur getrennt lebenden Frau zu begleiten. Seine brachial erzwungene Herzensbildung ist so vorhersehbar wie die Opfer, die Mitreisende für andere Mitreisende erbringen werden und der
jeweilige sittliche Charakter, der sich in zerlumpten Kleidern oder Businessanzügen versteckt. Eine Typologie der Krawattenträger im Zombiefilm zu entwickeln wäre leicht, Seok-woo jedenfalls betritt den Zug nur in Hemd und Sakko.
Noch im erstaunlichen Desinteresse am Gewalteffekt zeigt sich diese Arbeit von Sang-ho Yeon geradezu versöhnlich und irritierend irritationsfrei. Das Fantasy Filmfest, das in diesen Tagen durch die Kinos deutscher Großstädte zieht, hat Train to Busan zum Abschlussfilm erkoren, Seoul Station läuft vorab im regulären Programm. Und zum Abschluss des Abschlusses zeigt sich, dass die Versöhnung hier freche und gleichzeitig patethische Geste ist und obendrein ein Genrekommentar: Sang-ho Yeon zitiert eine der genreprägendsten Schlussszenen überhaupt und stellt dann deren Handlung und Aussage auf den Kopf. Wäre das im Kontext der Erzählung nicht so traurig mutlos, so müsste man
es geradezu als Unverschämtheit verstehen.