Universal Language

Une langue universelle

Kanada 2024 · 89 min. · FSK: ab 6
Regie: Matthew Rankin
Drehbuch: , ,
Kamera: Isabelle Stachtchenko
Darsteller: Rojina Esmaeili, Danielle Fichaud, Sobhan Javadi, Pirouz Nemati, Matthew Rankin u.a.
Universal Language
Flächiger Bildwitz
(Foto: Rapid Eye Movies)

Gefrorenes Geld

Matthew Rankins »Universal Language« ist eine absurd-komische Moritat aus der iranischen Community Winnipegs; sie ist für den Oscar nominiert

Ein großer Geld­schein liegt auf dem Gehsteig, zenti­me­ter­tief im gefro­renen Eis. Der Moment der Uner­reich­bar­keit ist der Beginn einer süffi­santen Posse aus dem gefürch­teten Winter von Winnipeg, dem der kana­di­sche Expe­ri­men­tal­fil­me­ma­cher Guy Maddin in My Winnipeg 2007 ein Denkmal setzte. Auch Matthew Rankin ist in Winnipeg geboren, auch er hat seiner Stadt ein Denkmal gesetzt. Dafür aber nimmt er einen gran­diosen Umweg – und wendet sich der irani­schen Diaspora von Manitoba zu.

Diese Verschrän­kung der Natio­na­li­täten macht Universal Language von Beginn an zum Kuriosum. Gespro­chen wird, bis auf wenige Ausnahmen, Farsi, während wir gleich­zeitig das tief verschneite Winnipeg sehen, das hier mit kahlen Gebäuden und unwirt­li­chen Auto­bahn­kreuzen auch baulich seine kalte Schulter zeigt.

Der Plot geht so: Zwei Schul­kinder (irani­scher Herkunft) wollen der Bestra­fung durch den Fran­zö­sisch­lehrer entkommen – es droht die Besen­kammer – und suchen die Brille ihres Schul­ka­me­raden, der sie irgendwo im knie­tiefen Pulver­schnee verloren hat. Als sie den Weg nach der Brille absuchen, finden sie den Geld­schein auf dem vereisten Gehsteig. Von da an ist die Brille (fast) egal.

Wie auf einer Schnit­zel­jagd folgen die Kinder immer neuen Impulsen und Hinweisen: zunächst suchen sie nach der Brille, dann nach geeig­netem Eisbre­cher-Werkzeug, dann sind sie einem zwie­lich­tigen Gesellen auf der Spur, der es ebenfalls auf den Geld­schein abgesehen hat. Auch Regisseur Matthew Rankin lässt sich scheinbar von jeder neuen Plot-Wendung und Drehbuch-Idee ablenken – um zu einem herrlich absurden und sehr surrealen Lehrstück zu gelangen, in dem die Kinder den Erwach­senen allemal überlegen sind.

Viele Beson­der­heiten reihen diesen verschlun­genen Pfad. Da ist der Neben­strang von Massoud (Pirouz Nemati), der in der »Stadt ohne Sehens­wür­dig­keiten«, wie die Touris­mus­behörde wirbt, skurrile Stadt­füh­rungen hält. Da ist Matthew, gespielt vom Regisseur persön­lich, der aus dem fran­zö­sisch­spra­chigen Montreal zu seiner alten Mutter nach Winnipeg fährt, um bei ihr auf neue Gedanken zu kommen. Und da ist der Fran­zö­sisch­lehrer, der seine Schütz­linge in die Besen­kammer verbannen will. Alles spielt in der bedeu­tenden irani­schen Community, gespro­chen wird Farsi, manchmal Englisch und rade­brech­mäßig auch Fran­zö­sisch. Der Film ist eine Vernei­gung auch vor den Immi­granten, die das fade Winnipeg mit ihren surrealen Geschichten füllen.

Wie in den Filmen von Wes Anderson sind die Kinder die Schlauen, die Erwach­senen dürfen während­dessen liebevoll vor sich hintöl­peln oder den sympa­thi­schen Schurken spielen, auch die Schnit­zel­jagd erinnert an Anderson (Grand Budapest Hotel), nur in klein und reduziert. Und hier kommt noch ein Name ins Spiel, der Verwechs­lung riskiert: Roy Andersson. Anders als sein texa­ni­scher Kollege ist der Schwede ungleich mini­ma­lis­ti­scher und schwarz­gal­liger, das Setting von Universal Language scheint Rankin direkt bei ihm geliehen zu haben. Seine Farce spielt zwischen den Ziegel-Häuser­wänden der Stadt, alles versinkt in grau-grauem Winter-Zwielicht, gefilmt wird flächig, was eine große stilis­ti­sche Strenge hervor­bringt. Ange­sie­delt ist die Geschichte vom Geld­schein irgend­wann in den 80er-Jahren, zwischen Kasset­ten­re­korder-Retro-Tech und häss­li­chen Pullun­dern.

Natürlich drängen sich in diesem anspie­lungs­rei­chen Werk auch trotz der Orts­ver­schie­bung die Kinder-Filme von Abbas Kiaros­tami auf. Der Witz des Films – und er ist unglaub­lich komisch – wird jedoch auch ohne die vielen Refe­renzen verstanden. Denn mit der »univer­sellen Sprache« kann nur die Sprache des Komischen, des Absurden und Surrealen gemeint sein. Damit zündet Rankin trotz des insze­na­to­ri­schen Mini­ma­lismus das ganz große Feuerwerk.