USA 2004 · 115 min. · FSK: ab 6 Regie: Brad Bird Drehbuch: Brad Bird Musik: Michael Giacchino Kamera: Andrew Jimenez, Janet Lucroy |
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Unglaublich, diese Helden |
Superheld zu sein ist nicht leicht. Erst vor kurzem konnte man im Kino dem zähen Leben von Harvey Pekar beiwohnen, der als verquerer Super-Anti-Held in seinem Comic American Splendor zu großem Ruhm kam, sich in der Öffentlichkeit aber gänzlich unwohl fühlte. Dagegen liegen die Dinge für Bob Parr in Die Unglaublichen völlig anders. Er ist ein wirklicher Superheld, und das mit vollem Engagement. Als bärenstarker Mr. Incredible bringt er mit links ein paar Räuber zur Strecke, während er mit rechts einer alten Dame das Kätzchen vom Baum schüttelt. Mr. Incredible liebt den großen Auftritt, er ist Narzisst ganz und gar. Aber die Zeiten ändern sich, die Raffgier der modernen Welt macht auch vor ihren Helden nicht halt. Als Mr. Incredible einen Selbstmörder beim Sprung von einem Hochhaus rettet und dann eine Hochbahn vor dem Absturz bewahrt, ziehen sich leider die knapp dem Tod Entkommenen ein paar Blessuren zu – und es kommt zum Eklat: Schadensersatzklagen werden gegen Mr. Incredible und die anderen Superhelden eingereicht. Das Superheldentum wird für die Versicherungen eine unbezahlbare Sache.
Der Staat verordnet kurzerhand das Ende der Superhelden-Ära.
Erst ein vom Dienst suspendierter Held ist ein guter Held. Ob James Bond oder Dirty Harry, Fox Mulder oder Jack Bauer: Wenn das Vaterland oder die Welt auf dem Spiel stehen, dann sind immer die gefragt, die eigentlich keiner mehr haben wollte. Auch Bob Parr steht auf dem Abstellgleis. Jahre nach seinem offiziellen Heldendasein darf er nur noch als kleiner Versicherungsvertreter gute Taten vollbringen, inmitten eines Großraumbüros, dessen Anonymität sich Jacques Tati für sein Playtime nicht hätte herzloser ausmalen können. Überhaupt erinnert vieles in Die Unglaublichen an die 60er Jahre, an die herrlichen alten Zeiten: von den Autos mit den stilvollen Kurven bis zu den dunkel getäfelten Räumen. Bedroht wird diese Welt aber bald durch die futuristischen Pläne eines großen Unbekannten.
Die Unglaublichen füllt den Rahmen eines Abenteuer- und Agentenfilms mit den Motiven eines Superhelden-Comic. Die Leute von Pixar rund um Regisseur Brad Bird haben den Figuren äußerst charakterbetonte Comic-Körper verpasst und mit dem quirligen Stil für den kindgerechten Zugang gesorgt – gleichzeitig aus einem unerhört dichten Zitatenschatz eine spannende Filmgeschichte gemacht. Die Unglaublichen ist gleichermaßen ein Film für wie über die Familie. Bob Parr lebt zusammen mit Ehefrau Helen in einem der vielen flotten Vorortshäuser. Er hat Speck angesetzt, geht er doch zusammen mit seinem Freund Lucius Best nur noch nachts dem Heldenjob nach – im Untergrund. Das Superhelden-Schutzprogramm verbietet den Ex-Helden zur Aufrechterhaltung der Immunität jegliche heldenhafte Tätigkeit. So heißt es für Bob Parr Alltag: drei Kinder wollen versorgt werden. Und da seine Frau Helen als ehemaliges Elastigirl auch eine Superheldenvergangenheit aufzuweisen hat, stellen die Helden-Gene erschwerte Erziehungsaufgaben: die jugendliche Violetta dreht sich unsichtbar, der kleine Flash rennt wie der Blitz um den Tisch herum und das Baby Jack-Jack schreit sich kurzerhand zum Feuerball. Die üblichen Eifersüchteleien und Machtspielchen zwischen Bob und Helen machen die typische Superhelden-Familie komplett – die bald in Gefahr ist.
James Bond hätte natürlich niemals Verwendung für eine Ehefrau und Familie – seine Coolness wäre bedroht, und seine Leistung als Einzelner. Dagegen ist Die Unglaublichen ein Plädoyer für Gemeinschaft, für Teamwork, und besonders für die Familie. Kann der Einzelne seinen Verlockungen nicht widerstehen, muss ihn die Gruppe retten. Bob Parr will also unbedingt wieder Mr. Incredible sein und lässt sich durch zwielichtige Versprechungen auf eine ferne Insel bringen. Nicht unter einem Vulkansee, sondern hinter einem Wasserfall lauert dort der größenwahnsinnige Syndrom, der, um selbst berühmt zu werden, Mr. Incredible ausschalten muss. Aber Syndrom ist eben kein Team-Spieler, setzt vor allem auf hirnlose Technoiden. Und seine gertenschlanke Assistentin Mirage bringt schon bald den gefangenen Mr. Incredible in arge Treueschwierigkeiten. Unser Held ist jedoch schnell wieder mit seiner Familie vereint und als Superhelden-Mannschaft kämpfen sie gegen Syndrom und seine Roboterbagage an.
Auch der Sound von Die Unglaublichen führt in die wilden Sechziger, spart nicht an der Energie damaliger Polizei- und Agentenfilme. Halsbrecherische Automanöver werden vom knarzigen Orgel-Groove im Stile von Schifrins Mission: Impossible begleitet. Die Bläser schmettern im Orchester-Swing der 60er Jahre ein angeheiztes Thema zu den Verfolgungsjagden auf der Insel, wo somit nicht nur das Szenario – etwa das Schienennetz mit seinen Kugelfahrzeugen – immer wieder die Atmosphäre der frühen Bond-Filme aufkommen lässt. Die maschinellen Zukunftsvisionen, mit denen Mr. Incredible und die anderen Helden zu kämpfen haben, tragen alle den Charme des Alten an sich. Ein liebevoller Retro-Futurismus prägt Die Unglaublichen, der mit seiner Farbenfreude lebendiger daher kommt, als etwa die ebenso generierten Kulissen des comichaften Sky Captain and the World of Tomorrow. Nicht nur in den gigantischen, auf die Menschheit losgelassenen Kugelmaschinen ähneln sich beide. Dennoch geht es bei Die Unglaublichen viel mehr um die Figuren selbst, die menschlicher wirken, als die Schauspieler in Sky Captain oder in manch anderer Comic-, oder Science-Fiction-Verfilmung. Die Incredibles werden zur sympathischen Filmfamilie, gerade weil sie stärker, dehnbarer, schneller oder verformbarer sind, als die Welt um sie herum. Das klassische Superhelden-Dilemma, das bisher meist nur einzelne Filmfiguren wie Superman und Batman interessant machte, ist hier einer ganzen Familie aufgebürdet. Der mal lässig routinierte, dann wieder hübsch hilflose Umgang mit der Andersartigkeit macht nicht nur das Abenteuer, sondern besonders den Alltag der Incredibles so unglaublich.