Frankreich/USA 2017 · 138 min. · FSK: ab 12 Regie: Luc Besson Drehbuch: Luc Besson Kamera: Thierry Arbogast Darsteller: Dane DeHaan, Cara Delevingne, Clive Owen, Rihanna, Ethan Hawke u.a. |
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Das Staunen zurückgeben |
Alleine schon dieser Anfang: »Space Odity« von David Bowie erklingt, dazu sieht man dokumentarische Bilder der ersten Weltraummissionen, des russisch-amerikanischen Handschlags in der ISS 1975, dann folgt der Schritt in die Fantasy: In wenigen Minuten die schnelle Evolution der bemannten Raumfahrt, schon die Bilder aus dem Jahr 2150 sind großartig, der Film spielt ein paar wunderschöne Augenblicke lang mit der schieren Faszination der Welteroberung und mit dem Stil des Technik-Optimismus der 60er Jahre, immer skurriler, immer weiter geht es, Menschen und Außerirdische, Maschinenwesen und unvorstellbare Chimären begegnen sich in einer Abfolge von immer neuen Begrüßungen; »Ground control to major Tom« – immer stärker koppelt sich dabei alles von der Erde ab und im Jahr 2370 schickt der Präsident ein riesiges Raumschiff auf die Reise, die Erde ist nur noch einer von vielen möglichen Orten des Universums.
Diese Vision, die uns einführt in die Welt von Valerian – Die Stadt der tausend Planeten ist friedlich und futuristisch, technikfreundlich und optimistisch – wie der ganze Film ein Gegenentwurf zu dem apokalyptischen Bombast ist, der das amerikanische Science-Fiction-Kino der letzten zwei Jahrzehnte prägt, von wenigen Ausnahmen (Interstellar) einmal abgesehen.
Die Sechziger, in denen David Bowies Lied ebenso entstand, wie die bemannte Raumfahrt, waren auch die Geburtsstunde von »Valerian & Laureline« (auf deutsch »Valerian & Veronique«), jener Graphic Novel von Pierre Christin und Jean-Claude Mézières, die den Film inspirierte. Es sind sehr besondere Geschichten, voller kultureller und politischer Anspielungen und philosophischer Themen. Auch George Lucas ließ sich für Star Wars von ihnen anregen – einzelne Figuren, Kostüme und Handlungsstränge sind direkt abgepaust.
Auf diesen Auftakt folgen – »400 Jahre später« – zwei weitere einführende Abschnitte: Der eine kreist um einen paradiesischen Planeten und das Volk der Pearl, das vor 30 Jahren unterging. Der zweite um die Titelhelden Valerian und Laureline, zwei »Raum-Zeit-Agenten« im 28. Jahrhundert. Als eine Art zeitreisende Weltraumpolizei bringen sie Verbrecher zur Strecke und das Universum in Ordnung – ein cooles Paar gleichberechtigter Partner, für dessen halb-ernsten Beziehungskampf Besson witzige »Screwball«-artige Dialoge geschrieben hat. Während in den Nebenrollen des Films Schwergewichte wie Clive Owen und Ethan Hawk, oder Pop-Stars wie Rihanna (in einem atemberaubenden Auftritt) zu sehen sind, setzt Besson bei seinen Hauptfiguren auf unverbrauchte Gesichter: Dane DeHaan als Valerian sieht aus wie eine Verschmelzung aus Shia La Boeff und Brad Pitt. Noch souveräner ist Cara Delevingne (Suicide Squad) als toughe, ihrem Partner in Klugheit und Empathie immer ein bisschen überlegene Laureline. Beide müssen ein wertvolles Tier in Sicherheit bringen, das ein Geheimnis birgt, das sich erst gegen Ende aufklärt.
Die eigentliche Story von Valerian ist aber der Schauplatz selbst: Regisseur Luc Besson hat ein großes Gespür für die Magie des Unbekannten und dafür den Zuschauer in einen herrlichen Sog eintauchen zu lassen. Alle paar Minuten begegnet man in der unendlichen, abwechslungsreichen Bewegung dieses Films einer vollkommen neuen Welt, ganz und gar anderen, merkwürdigen, immer faszinierenden Figuren. In seiner Begeisterung vor Vielfalt, für Mode, für den Hedonismus eines glücklichen »leben und leben lassen« hat dieser Film auch eine überaus wohltuende positive, sehr humanistische Botschaft, die dem menschenfreundlichen, freiheitlichen Geist seiner Vorlage perfekt entspricht.
Der Stil ist Retro, es gibt hunderte von Anspielungen, unter anderem auf Dune, Mad Max, Blade Runner und natürlich auf alle Besson-Filme. Im Verhältnis zu Bessons zwanzig Jahre altem Science-Fiction Das fünfte Element müsste dieser Film allerdings »Das zwölfte Element« heißen, soviel größer und besser ist er. Der ganze Film aber erinnert am ehesten an Roger Vadims großartigen Barbarella (mit Jane Fonda in der Titelrolle).
Dies ist, man muss das einmal genau so hinschreiben, einer der besten und schönsten Science-Fiction-Filme seit vielen Jahren: Überbordend und verspielt, anspielungsreich und ganz eigen, im besten Sinn naiv und im allerbesten Sinn trashig, eine Liebeserklärung an die Vorlage, an das Kino und an den Geist der Utopie, der beiden zugrunde liegt. Und wie alle Liebeserklärungen voller Wahnsinn und Energie.
1997 verblüffte Luc Besson die Kinowelt mit seinem durchgeknallten Sci-Fi-Film Das fünfte Element. Wie viele Hollywood-Blockbuster setzte auch dieser französische Film weniger auf eine ausgefeilte Handlungslogik als auf berauschende Bilder und Spezialeffekte. Doch darüber hinaus vereinnahmte das Spektakel die Zuschauer mit einer Überfülle an fantasievollen Details und so skurrilen wie liebenswerten Charakteren. Hierbei bezog Das fünfte Element viele Anregungen von der Comic-Reihe „Valérian et Laureline“ von Jean-Claude Mézières und Pierre Christin. Zudem fungierte Mézières neben dem Comic-Künstler Moebius als Gestalter des gesamten Looks des Films.
Seither trat Besson vorrangig als Produzent in Erscheinung, während er als Regisseur nie mehr so recht an die Qualität seiner früheren Filme anknüpfen konnte. 2014 wagte er sich mit Lucy erneut ins Sci-Fi-Fach. Doch die Geschichte um eine schier übermenschliche Intelligenzbestie bereitete aufgrund ihrer schieren Blödheit so manchem Zuschauer arge Bauchschmerzen. Jetzt kehrt Luc Besson exakt 20 Jahre nach Das fünfte Element zur ursprünglichen Inspirationsquelle seiner Sci-Fi-Fantasien zurück: Die Handlung seines neuen Werks Valerian – Die Stadt der tausend Planeten lehnt sich direkt an den sechsten Band von „Valérian et Laureline“ an: Im 28. Jahrhundert werden die Regierungsagenten Valerian (Dane DeHaan) und Laureline (Cara Delevingne) auf verschiedene wahnwitzige Missionen durchs All geschickt. Erst will der Verteidigungsminister (Jazzlegende Herbie Hancock), dass sie ein seltsames kleines Vieh – den letzten „Transmutator“ – auftreiben. Dann entsendet der Kommandant Arun Filitt (Clive Owen) die beiden zur gigantischen Raumstation Alpha, um die Ursache einer geheimnisvollen lebensbedrohenden Störung im Zentrum der Station aufzudecken ...
Besson sagt, dass er schon lange an eine Verfilmung von „Valérian et Laureline“ dachte, da er diese Comic-Reihe bereits seit seiner Kindheit liebe. Aber erst mit James Camerons Avatar sah er die technischen Möglichkeiten zur filmischen Umsetzung gekommen. An die blauen Kreaturen aus Camerons Film erinnern auch die zu Beginn von Valerian – Die Stadt der tausend Planeten gezeigten Pearls. Diese liebenswürdigen Wesen leben auf ihrem Planeten inmitten einer paradiesischen Strandlandschaft. Doch da auch im 28. Jahrhundert noch längst nicht alle Bewohner im Universum so friedlich, wie die Pearls sind, wird ihr zuckersüßes Idyll bald auf extrem unschöne Weise plattgemacht.
Die Darstellung des sonnendurchfluteten und bonbonbunten intergalaktischen Karibikidylls der Pearls ist von einer maßlosen Kitschigkeit, die eigentlich verboten gehört. Doch sobald der Zuschauer mit aufgesetzter 3D-Brille in diese Welt eintaucht, denkt er bloß „wie schön!“ – und wenn die ersten Bomben fallen „wie böse!“. Dem Kindskopf Luc Besson gelingt das große Kunststück, seine Zuschauer bei der Hand zu nehmen, und mit infantilem Staunen seine moderne Märchenwelt für Erwachsene erkunden zu lassen.
Auf dieser Reise weicht das entschleunigte Naturparadies bald einem wahnwitzigen Ritt durch knallig bunte Raumstationen und futuristische virtuelle Stadtlandschaften. Dabei zitiert Besson von Fritz Langs Metropolis über Ridley Scotts Blade Runner bis hin zu Das fünfte Element ungeniert die halbe Sci-Fi-Filmgeschichte. Zugleich hat man etwas Vergleichbares noch nicht gesehen, denn der manische französische Filmemacher dreht alle poppig-bunten Psychedelic-Regler bis zum maximalen Anschlag hoch. Doch wie bereits in Das fünfte Element wirkt dieser Spezialeffekte-Overkill keineswegs wie eine kalte Machtdemonstration dessen, was man mit einem Produktionsbudget von 180 Millionen Dollar, so alles aus dem virtuellen Hütchen zaubern kann. Dies liegt daran, dass der Film eine kindliche Unschuld und Poesie besitzt, die selbst das holprige Drehbuch sowie die Eindimensionalität und platten Dialoge der Charaktere vergessen lassen.
Hierzu tragen auch die unzähligen fantasievollen und extrem skurrilen Figuren bei. Dabei ist die Sängerin Rihanna als sexy Formwandlerin nur ein markantes Beispiel unter gefühlt tausend weiteren grotesken außerirdischen Raumstationsbewohnern. Jene wurden mit einer derartigen Wärme und Liebe zum verspielten Detail entworfen, wie man es bisher lediglich von George Lucas alten Star Wars-Filmen her kannte. Und obwohl Lucas es selbst nie zugegeben hat, munkelt so mancher, dass seine legendäre Space-Opera ebenfalls stark von der französischen Comic-Reihe „Valérian et Laureline“ inspiriert ist.
Umso erfreulicher ist es, dass jetzt ohne jedwede außereuropäische Einflussnahme, direkt in Frankreich eine gelungene filmische Umsetzung dieses Comic-Klassikers entstanden ist. Damit ist Valerian – Die Stadt der tausend Planeten natürlich doch eine Demonstration der heutigen Macht von Luc Besson. Schließlich wurde der Film von der von Besson mitgegründeten EuropaCorp produziert und in den ebenfalls von Besson aus dem Boden gestampften Studios der im Norden von Paris gelegenen Cité du cinéma gedreht. Doch es ist eine Machtdemonstration der äußerst charmanten Art. Sie zeigt, dass Luc Besson auch mit 180 Millionen Dollar in der Hand bloß nach Herzenslust spielen will.