Deutschland/Belgien 2020 · 123 min. · FSK: ab 12 Regie: Petra Seeger Drehbuch: Petra Seeger Kamera: Hajo Schomerus Darsteller: Margarita Broich, Felizia Trube, Momo Beier, Stella Holzapfel, Bernhard Schütz u.a. |
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Das Land der Väter | ||
(Foto: W-Film) |
Die allerersten Bilder lassen etwas ganz anderes vermuten, als das, was dann tatsächlich kommt: Sie zeigen Fotografien in Schwarz-Weiß. Männer in Uniform. Wir glauben das zu kennen, erkennen, dass es Bilder aus dem Krieg sind, aufgenommen aus fahrenden Panzern, Gruppenphotos an Bahnhöfen oder Kasernen oder auf der Straße mitten im deutsch-okkupierten Paris. Es sind die typischen Erfahrungen einer Männer-Generation, zu der auch der Vater von Petra Seeger gehörte. Sie verbrachte einen Teil ihrer Jugend im Krieg, einen anderen in Gefangenschaft, und von diesen Jahren war sie zeitlebens geprägt.
Auf eine ganz seltsame, ein bisschen perverse Weise passt dieser Film nun ausgezeichnet gerade in diesen historischen Moment, in dem seit zwei Wochen wieder ein Krieg in Europa tobt. Denn auch aus ihm werden wieder solche Männer entstehen.
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»Alles ist autobiografisch, auch das Erfundene« – eine Bildinschrift stellt dieses Zitat des französischen Schriftstellers Claude Simon dem Film Vatersland voran. In diesem Film blickt die Regisseurin Petra Seeger, die bislang ausschließlich mit – allerdings sehr bemerkenswerten – Dokumentarfilmen von sich reden machte, in einer ganz besonderen Form auf ihre Kindheit und Jugend zurück. Ausgehend von der umfangreichen Film- und Foto-Sammlung ihres Vaters und ihren eigenen Erinnerungen. Diese kombiniert sie mit inszenierten Szenen – Vatersland ist in erster Linie ein Spielfilm, ein sehr persönlicher, gedreht im Wunsch, den subjektiven Erfahrungen und inneren Empfindungen eine Gestalt zu geben.
Ist dies also ein autobiografisch geprägter Dokumentarfilm, der sich des Reenactments bedient, oder vor allem Fiktion, ein erfundenes Leben, ein »wie es hätte gewesen sein können«? »Ich stelle mir vor« lautet das Leitmotiv in Max Frischs »Gantenbein«, in dem ein Mann versucht, sein Leben zu erzählen: Jemand hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte dazu. Eine ganze Menge von dieser Offenheit, die vielleicht auch eine typische »50er- und 60er-Jahre Offenheit« ist, die Offenheit einer skeptischen Generation, steckt in diesem Film. Man sollte sie nicht mit Ratlosigkeit oder Resignation verwechseln. Schon eher handelt es sich um eine beharrliche Suchbewegung. Es ist eher das Wissen, dass Biografien brüchig sind, keine glatten Geschichten bilden und dass sie sich eben aus Versatzstücken und Einzelteilen zusammensetzen. Petra Seeger macht die Übergänge zwischen diesen Einzelteilen sichtbar, die Risse, Brüche, aber auch Fugen und den Kitt, der sie verbindet.
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Den äußeren Rahmen bildet die Suche nach einer verlorenen Zeit: Eine alte, prall mit Erinnerungsstücken gefüllte Kiste wird zum Auslöser dafür, dass die Filmemacherin Marie in ihre Kindheit in den 50er Jahren zurückblickt...
Allmählich kommt alles wieder in ihr hoch: Der frühe Krebs-Tod der Mutter, ein hassgeliebter Vater, der mit der Erziehung der Kinder überfordert ist, und mit seinem Hobby, dem Filmen und Fotografieren, die Tochter fasziniert – denn schon das Kind spürt, wie persönlich, lebensnotwendig das Bildermachen ist, und dass auch er selber sich vor seinen inneren Dämonen ins Fotolabor zurückzieht.
Es ist eine Kindheit in einer reinen Männerwelt aus Feinripp-Unterzeug, Backpfeifen und ähnlichem autoritären Gehabe, und dem Herrengedeck aus Bier und Korn, dem Trost im Suff, der aus den 50er-Jahren auch nicht wegzudenken ist.
Aber die Kinder dieser Generation, Männer wie Frauen, lassen sich nicht mehr alles sagen von den Vätern, die oft Täter sind. Ganz allmählich beginnen sie gegen Spießigkeit, Frauenfeindlichkeit, Anstand zu rebellieren, gegen die ganze verlogene Ordnung der Nachkriegsjahre.
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Dies ist unter anderem ein Film der Schauspieler. Vor allem von Margarita Broich und Bernhard Schütz. Sie spielen die Mutter und die Tochter als Erwachsene, beziehungsweise den Vater.
Immer wieder springt der Film virtuos und nicht immer chronologisch durch die Zeiten bis zu einzelnen Szenen, in denen die Tochter als erwachsene Frau ihrem jungen heranwachsenden Alter Ego begegnet, und beide direkt miteinander in Dialog treten. Das ist virtuos, das ist auch sehr schön und sehr filmisch gedacht.
Überhaupt ist Vatersland in Form wie Haltung ein ungewöhnlicher Film.
Petra Seeger verdichtet dokumentarische und fiktionale Elemente, Originalmaterial, mit diversen Zeitebenen, viel Situationswitz und emotional bewegender, gedanklich vielschichtiger Selbstreflexion zu einer Zeitreise ins Land der Väter, in Duft, Dunst und Denken einer versunkenen Epoche.
Vatersland – schon der Titel dieses herausragenden, ungewöhnlichen, sehr sehenswerten deutschen Films ist bemerkenswert. Denn es doppeln sich in diesem Begriff das Wissen, dass es sich selbstverständlich auch um das Land der Tochter handelt. Und dass Seeger doch von dem Land erzählt, das es für ihren Vater und sie selber als junge Frau war: Das Land des Vaters.
Sie selbst hat gelebt in Vaters Land und musste ihr eigenes Land erst schaffen, erfinden, und dadurch zu einem Teil ihres Lebens machen. Das ist das Authentischste in diesem facettenreichen, überaus anregenden und seltsam schönen Film.