USA 2017 · 93 min. · FSK: ab 12 Regie: Sofia Coppola Drehbuchvorlage: Thomas Cullinan Drehbuch: Sofia Coppola Kamera: Philippe Le Sourd Darsteller: Colin Farrell, Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Elle Fanning, Angourie Rice u.a. |
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Die Schattenseiten des Weiblichen |
Eine Männerphantasie, die zu einer Frauenphantasie wird: Ein Soldat der Nordstaaten im US-amerikanischen Bürgerkrieg wird in Virginia, einem Teil des Südens, im Wald schwer verwundeter von einem jungen Mädchen aufgefunden. Sie bringt ihn in die nahe gelegene Mädchenschule, in der sie lebt. Dieser Ort ist wie eine Insel für sich, einsam gelegen, abseits von Zeit und Geschichte, und so erzählt dieser Film auch von einer Robinsonade.
John, so heißt der Soldat, darf er sich hier bis zu seiner Genesung aufhalten. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn von Anfang an steht im Raum, den Feind, wie es Vorschrift ist, den konföderierten Truppen zu übergeben. Zudem ist dies reine Mädchenschule, und das Wissen darum, dass Frauen im Krieg viele Gefahren drohen, ist auch immer mit präsent
Die andere Seite sind die Versuchungen dieses seltsamen Ausnahmezustands. Neben der Schulleiterin Ms. Farnsworth (Nicole Kidman) gibt es noch eine Lehrerin (Kirsten Dunst), und fünf junge Mädchen, zum Teil noch vor der Pubertät, zum Teil mitten drin, oder knapp dahinter, Elle Fanning spielt die erwachsenste von ihnen – ein Frauentraum ist das alles auch deshalb, weil die Frauen sich erkennbar freuen, dass da plötzlich ein Mann ist. Manche mögen sexuell ausgehungert sein, andere entdecken Sexualität und Verlangen überhaupt erst. Sie alle sind irgendwie übriggeblieben, und haben sich vor dem Krieg in dieses kleine verwunschene Paradies zurückgezogen, in dem die Zeit stehengeblieben scheint. Nun verändern sie ihr Verhalten. »Seems like the soldier being here is having an effect.« Sie werden von seiner Präsenz verführt, von dem, was sie in ihn hineinprojezieren – so wie umgekehrt der Mann natürlich auch verführt wird von den vielen Möglichkeiten, die sich da bieten.
The Beguiled– auf Deutsch »Die Verführten« – ist das Remake eines Films von 1971, der von einem richtigen Macho-Filmemacher stammt, von Don Siegel, der immer noch besonders als Regisseur von Dirty Harry berühmt ist. Dessen Darsteller Clint Eastwood spielte seinerzeit auch die Hauptrolle in Siegels Film. Coppolas Neufassung entspricht zwar ziemlich eins zu eins der Vorlage (die ihrerseits eine amerikanische Erzählung verfilmt), aber sie verschiebt an entscheidenden Punkten die Perspektive: Weg von dem Mann, hin zu den Frauen. Coppola zeigt die Schattenseiten des Weiblichen, den Konkurrenzkampf um die Gunst des Mannes. Umgekehrt kommt dieser Hahn im Korb auch wirklich nicht gut weg. Denn Colin Farells John ist ein Manipulator, einer der die Situation, in der er sich befindet, gut ausnutzt, und die Mädchen und Frauen gegeneinander ausspielt.
Es geht bei alldem aber eindeutig um subtilere Dinge, als darum, wer mit wem irgendwann in ein Bett steigt. Das passiert zwar auch. Aber es ist schon deswegen nicht die Hauptsache, weil wir uns im 19. Jahrhundert und in einer puritanischen Gesellschaft befinden. Sanfte Repression und zur Gewohnheit gewordene Rituale bestimmen den Alltag. So wird beispielsweise regelmäßig gebetet. Es wird aufwändig gegessen, und für das Essen kleidet man sich um. Die Menschen interessieren sich für einander, beobachten sich genau, denn sie haben ja nur sich.
Es ist ein System der kleinen, fast unscheinbaren Zeichen, das Coppola hier auf der Leinwand entfaltet. Das ist Coppolas besondere Filmsprache: Dass sie in der Oberfläche das Mehrdimensionale und Tiefe entdeckt. Auch den Humor. Nie verliert der Film den Sinn für das Kuriose des Geschehens. Coppola ist eine Humanistin, die jeder Figur etwas abgewinnt, ihr ihre Momente gönnt. Sie ist eine Regisseurin, die viel versteht – was aber nicht heißt, dass sie alles verzeiht.
Und sie
ist eine Filmemacherin des Ästhetischen. Jedes Detail ist sprechend: Man hört schöne Musik, Lieder aus dem Civil War, sieht pastellene, wunderschön gestaltete Bilder, mit Weichzeichner gefilmte Morgennebellandschaften und immer wieder Sonnenuntergänge.
Dieser Ort, die zur Schule umfunktionierte, für eine Handvoll Leute viel zu große Südstaatenvilla mit ihrem prächtigen, etwas heruntergekommenen alten Garten mit Rosen und riesigen Bäumen, ist einer jener typischen Sofia-Coppola-Orte – sehr verwandt dem Hotel in Lost in Translation, dem Wunderkammer-Versailles mit seinen vielen Fluren in Marie Antoinette und dem leerstehenden Paris-Hilton-Haus in The Bling Ring mit seinen vollgestopften, überquellenden Zimmern.
Nachts sind die Räume und die hellen Kleider der Mädchen nur vom Kerzenschimmer erleuchtet. Die Gefahren und Bruchstellen bleiben spürbar unter der idyllischen Oberfläche, urplötzlich durchzieht immer wieder ein kühler Hauch die Schwüle. Southern Gothic. Gelegentlich ist von fern Geschützdonner zu hören, sind Rauchschwaden zu sehen – der Krieg bleibt nahe und doch wirkt hier alles wie aus der Zeit und dem Krieg gefallen.
Dieses erwachsene Märchen aus dem Old South ist auch eine Untergangsgeschichte. Sie handelt von mehr, als nur den Folgen eines Krieges. Sie erzählt vom Abschied von einer Zivilisation, von Zivilisation überhaupt, von Manieren, von Lebensstil. Sonnenuntergängen, ansteigendem Nebel – ein hochaktuelles Vorlaufen zum Tode.