Großbritannien/D 2005 · 132 min. · FSK: ab 16 Regie: James McTeigue Drehbuch: Andy Wachowski, Larry Wachowski Kamera: Adrian Biddle Darsteller: Natalie Portman, Hugo Weaving, Stephen Rea, Stephen Fry, John Hurt u.a. |
»Remember, remember the fifth of november« – die Erinnerung an die »Pulververschwörung« vom 5. November 1605 ist in England volkstümlich – zum Beispiel in der Bonfire Night und in diesem Gedicht, mit dessen ersten Zeilen der Film beginnt, bin hin zu John Lennons Lied Remember das mit der Zeile »the fifth of november« und einer Explosion endet. Seinerzeit versuchte der damals 36-jährige Katholik Guy Fawkes und seine Mitverschwörer den absolutistischen Stuart-König James I. mitsamt dem Londoner Parlamentsgeäude und seinen Abgeordneten durch 2,5 Tonnen Schießpulver in die Luft zu jagen. Wäre das Attentat gelungen, wäre neben der gesamten Königsfamilie auch das britische Parlament mit mehreren hundert Abgeordneten zum Opfer gefallen.
»The building is a symbol. Blowing up a building can change the world.« – wer dies für historische Worte hält, und bei ihnen nicht vor allem an den 11.September 2001 denkt, wird V For Vendetta nicht verstehen. Man kann in den damaligen Tätern, wie dies ja bis heute bei solchen Vorkommnissen öfters der Fall ist, Freiheitskämpfer und ebenso Terroristen sehen; in jedem Fall waren sie zugleich überzeugte Anti-Absolutisten wie katholische Fundamentalisten, denen James wegen seiner Neigungen zum Protestantismus ein Dorn im Auge war.
Die Einsicht in die grundsätzliche Relativität der Perspektiven, die Überzeugung, dass es über fast alles mehr als nur eine Wahrheit und jedenfalls sehr verschiedenen Ansichten gibt, ist aber jedenfalls eine der vielen Stärken des überaus eleganten, stilsicheren, zugleich fast zurückhaltend auftretenden V For Vendetta.
Das Script für V For Vendetta stammt von den Brüdern und Matrix-Schöpfern Andy und Larry Wachowski, ihre Vorlage ist der gleichnamige Erwachsenen-Kult-Comic von Alan Moore. Der ist, gerade auch in seiner Härte und seinem stark dystopischen Grundton aus seiner Entstehungszeit in den frühen 80er Jahren zu erklären, der Zeit, in der die Neokonservativen plötzlich die Hoffnungen der 70er-Jahre zerstörten, in der die Thatcher-Revolution das »Merry Old England« der Nachkriegsära endgültig beendete und die alten Grundlagen des britischen Staates veränderte. Zugleich waren dies auch Jahre in denen AIDS begann und Homosexuellenfeindschaft mitbrachte (über Lager für AIDS-Kranke räsonnierte damals ein Unionsminister), die Studentenrevolte noch nachwirkte, in denen in England Punk die Kultur der Stunde war, in denen gegen Atomkriegsgefahr und Umweltzerstörung protestiert wurde, und man die westeuropäische Jugend mit dem Begriff der »No Future«-Generation auf den Begriff zu bringen suchte.
Ein Atomkrieg steht am Ausgangspunkt des Comics, dessen Handlung wie die des Films, dessen Handlung in naher Zukunft angesiedelt ist. 1983 hat zwar die Labour-Party die Wahl gewonnen, und auf Atomwaffen verzichtet. Dadurch erreichte sie immerhin, dass Großbritannien in einem bald folgenden begrenzten Atomkonflikt nicht betroffen war. Doch die folgende, quasi-faschistische Diktatur durch eine »Norsefire« genannte Partei hat das nicht verhindert. Sie regiert als christlich-fundamentalistische Diktatur gottesfürchtiger alter Männer das Land. 1984 lässt grüßen, auch, weil John Hurt den Kanzler spielt, aber auch an Ray Brad-burys/François Truffauts Fahrenheit 451 darf man denken. Das Regime regiert mit Furcht und Propaganda: »Strength through unity. Unity through strength.« Die Insignien der Macht spielen auf den Faschismus an, ein Fernsehprediger ist der Talkmaster-Goebbels dieses Regimes. Es herrscht Planwirtschaft, Nahrungsmittelmangel und es gibt Konzentrationslager für rassische und sexuelle Minderheiten. Die Bevölkerung wird durch gleichgeschaltete TV-Sender permanent indoktriniert, Homosexualität ist verboten, es gibt »Schwarze Listen« verbotener Dinge, auf denen sich der Koran ebenso findet, wie Tschaikowskis »1812«-Overtüre und die Bilder von Robert Mapplethorpe. All dies erzeugt in uns eine latente Zeitgenossenschaft mit einer Welt, die uns nicht nur durch ihr Design, ihre Eames-Möbel, ihre Musik (Rolling Stones mit Streetfightin Man, Julie London, Cat Power) seltsam vertraut scheint.
Im Comics ging es um zwei konkurrierende politische Extreme: Totalitarismus und Anarchie. Der Film, ziemlich genau im Jahr 2018 angesiedelt, ergänzt dieses Szenario noch durch einen Seitenblick auf Nordamerika. So ist von »the former United States« die Rede, in denen jetzt ein Bürgerkrieg herrscht. Bushs »war against terror« wird zum Ausgangspunkt eines backlash genommen, dies »brachte den Krieg nach England« heißt es – und der Rezensent ist sich hier nicht ganz sicher, ob er auch Nachrichtenbilder von den Attentaten des 5.7.2005 gesehen hat. Diese jedenfalls wurde von britischen Medien mit dem »Gunpowerplot« verglichen: BBC-Reporter stellten in einer Dokumentation zum 400ten Jahrestag Parallelen zu den Terroranschlägen am 7. Juli 2005 in London fest – vielleicht ist dies aber nur ein typischer medialer Denkreflex, der zum Sachverhalt nichts beiträgt.
Klar ist, dass die Macher mit alldem auch unsere Gegenwart kritisieren: Die Zustände in den USA und den »Krieg gegen den Terror«. Abu Ghraib, die letzten Kriege vom Irak bis Syrien – unsere Gegenwart und Zukunft verschwimmen, und dieser Film ahnt Zukunft mit der Präzision des Zynikers. Mittlerweile sind die USA, wie es heißt, zerfallen. Es ist die Rede von der »Coalition of the willing«, die daran schuld gewesen sein soll, nur ein Seitenhieb auf Aktuelles. Mehr interessiert V For Vendetta die Soziologie der bösen Macht. So blickt der Film auch zwischen die schönen Worte der Religion, hinter Kirchenpropaganda und unter die Soutanen der Priester. Der Erzbischof von – wäre eine solche Szene im Hollywood der Gegenwart möglich? Der Beweis steht jedenfalls aus – und vergreift sich an kleinen Mädchen in rosafarbenen Kitschkleidern: »Ich zeige Dir die Festigkeit unseres Glaubens« und er hat bei der Beichte eine Erektion.
Gegen den totalitären Gottesstaat kämpft ein mit Maske des »Gunpowder Plot«-Verschwörers Guy Fawkes maskierter, degenbewaffneter Freiheitskämpfer, den von Zorro vor allem unterscheidet, dass er statt mit Z mit V unterzeichnet (Wobei das V auch eine kalte Umdeutung von Churchills Victory-Symbolik ist). V, so nennt er sich selbst, ist ebenso gewalttätig wie theatralisch, ein Dandy des Terrors, ein geschmackvoller Alteuropäer, der gern französisch redet, alte Romane, Philosophie und klassische Musik liebt, und permanent Shakespeare zitiert, vor allem Was Ihr Wollt und Macbeth: »Disdaining fortune with his brandished steel/Which smoked with bloody execution...« Unzweideutig sind hier auch Anspielungen auf Dumas' Der Graf von Monte Christo – und wie dessen Hauptfigur Edmond Dantes hat auch V eine dunkle verborgene Seite: In die Menschen- und Freiheitsliebe dieses Wohltäters mischt sich auch die Sehnsucht nach Rache an den Menschen, die sein altes Leben zerstörten. Und darum tötet er: Folterknechte, perverse Priester, schurkische Polizisten, korrupte Politiker, TV-Manipulateure; seine Rache geht ins Innere der Macht: »People should not be afraid of their governments. Governments should be afraid of their people.«
Unter der Hand bietet der Film auch konzise Analysen zur Psychologie des Anarchismus, rsp. Terrorismus: Er wird nicht als Versuch, ein Rachebedürfnis zu befriedigen, sondern als Weg zur Identitätsfindung begriffen. »There is no certainity, only opportunity.« V definiert sich gerade durch sein Anderssein, seine Opposition zum Bestehenden, und träumt doch klammheimlich von der Verschmelzung in der Masse. Strikte Moralvorstellungen stabilisieren die innere Stärke, und garantieren das Ausbleiben von Schuldgefühlen gegenüber dem vermeintlichen »Feind«. V reflektiert allerdings die Motive und die Ethik seines Handelns. Sein Rechtsempfinden stagniert nicht auf dem Niveau des gerechten Zorns und rächenden Gerechtigkeitssinns.
Eines Tages rettet V in einer nebeligen Londoner Nacht a là From Hell, das auch auf einen Moore Comic zurückgeht, das junge elterlose Mädchen Evey – deren Eltern einst gegen die Diktatur kämpften, vom Regime gefangen, verschleppt und vermutlich getötet wurden, während sie nur durch Nichtentdeckung überlebte – vor den geil-brutalen Häschern der Diktatur, und wie das dann im Kino so ist, wird sie durch ihn zu ihrer zweiten, wahren Natur befreit – »You were afraid, robbed your reason and your common sense.« –, eine Art Ersatztochter, die den Freiheitskampf vollendet. »Does it have a happy ending?« fragt sie einmal, und die Antwort illustriert die Selbstironie dieses Films: »As only celluloid can deliver«.
Davor muss aber noch einiges geschehen, und vor allem Evey einer düsteren Alice gleich durch ein rabbithole des Schreckens gehen, eine andere werden, bevor sie triumphieren kann. Was man da sieht, geht inhaltlich an geschmackliche und auch logische Grenzen: In einem Lager gefangen, am Kopf kurzgeschoren, und dann allen möglichen »verschärften Befragungen« und Psychofoltern unterworfen, wie sie heute in Guantanamo Alltag sind, sind neben den historischen auch die aktuellen KZ-Analogien offenkundig. Zugleich erweist sich das Ganze nachdem sie es überstanden hat, als Foltern zu guten Zwecken – »Wer keine Furcht mehr hat, ist frei.« sagt ihr Lehrer zu ihr. Und tatsächlich sind da die letzten Zweifel, vor allem aber die letzten Schwächen von ihr abgefallen, sie ist über den Point of Return hinweg. Diese Initiation, eine doppelt gespiegelte Vertreibung aus der Kindheit, ist so einer dieser Momente im Film, wo man sich fragt, ob es so eigentlich sein muss, wo man sich auch vorstellen kann, dass die Hamas und ihre Geistesgenossen das ganze im Nahen Osten gut und gern in ihren Ausbildungscamps zeigen könnten, dass V For Vendetta, einseitig gelesen, auch als Werbeclip für Terrorismus dienen könnte.
Aber das ist zu einfach, und wenn überhaupt eben nur eine Lesart unter mehreren möglichen. Nicht übersehen darf man, dass Natalie Portman diese Rolle spielt. Angesichts der Tatsache, dass sie in Israel geboren wurde, ein Teil ihrer Urgroßeltern in deutschen KZs ermordet wurde, dass sie fortwährend entsprechende Rollenangebote erhält – »I get like 400 Holocaust scripts. That’s what you get for being the openly Jewish actress!« –, dass sie mit 16 Jahren in ihrer ersten Theaterrolle als Anne Frank am Broadway auftrat, und ein Jahr später im Time-Magazine einen ziemlich gescheiten Text über deren Tagebuch veröffentlichte, ist dann diese Rolle auch keine völlig beliebige Wahl: Man darf und muss darin wohl eher die Auseinandersetzung einer ungewöhnlich ernsthaften und klugen Schauspielerin mit ihrer Herkunft sehen.
Die Initiationsgeschichte und zweite Vertreibung aus der Kindheit, ist auch eine Verdoppelung derjenigen der Hauptfigur, der durch Leiden zum Anarchisten wurde – »Was mir angetan wurde, hat mich erschaffen.« –, zum Rächer a la Graf von Monte Christo. Evey wird V auch umgekehrt von seinem Vergangenheitstrauma befreien. Zudem ist dies auch die Verdoppelung der Leiden einer unbekannten jungen Frau, deren Geschichte Evey in kurzen Briefkassibern aus der Nachbarzelle erreicht: eine in gelblichen peudo-Super-8-digitalisierten, Cindy Sherman-artigen Bildern gefärbte Vergangenheit einer lesbischen Frau – ein kleiner Exkurs und nur eine mehrerer visueller Perlen in diesem Film.
V For Vendetta ist das Regie-Debüt von James McTeigue, der lange Jahre als Assistent gearbeitet hat, unter anderem bei Dark City, Star Wars und Matrix – und diese Erfahrungen spürt man: Schnell und souverän ist das Drehbuch inszeniert, mit Gefühl für Timing und voller Bezüge zu Klassikern, vor allem im großen Showdown zu den Masseninszenierungen Sergej Eisensteins und Langs. Überhaupt schmeckt man die späten 20er, die spätkonstruktivistische totalitäre Ästhetik avant la lettre mit einer Prise Metropolis. Dabei eine Orgie der Farben Schwarz, Rot und Stahl, stylish, elegant, voll brillanter Dialoge. Nicht zuletzt aber ist der auch sonst mit einem best of Britain-Cast – Hugo Weaving, Stephen Rea, John Hurt, Stephen Fry – exzellent besetzte V For Vendetta der Film Natalie Portmans, die hier als Mädchen, das zu früh erwachsen wurde, an ihr Debüt in Leon – der Profi anknüpft, und alle Erwartungen betätigt, die man schon vorher in sie setzen durfte. Schon lange hat man im Kino keinen gleichzeitig so angenehm leichten, geschmackvollen wie klugen Film gesehen – ein einziger Genuß!
Und irgendwann fliegt dann am Ende tatsächlich (endlich?!) auch das Londoner House of Parlament in die Luft – das Haus in dem Tony Blair die Irakkriegsteilnahme beschloss, im Film einfach der Hort von Verlogenheit und Umdefinition eines einst freiheitlichen Symbols. »Honi soit qui mal y pense«, das dies auch der Wappenspruch des britischen Königshauses ist, wollen wir hier mal kurz vergessen.
Die Explosionen ereignen sich zu den Schlägen und im Rhythmus von Tschaikowskis »1812«. Ein erhabener Filmmoment, eine Bonfire Night der Bilder.
»The building is a symbol. Blowing up a building can change the world.« Das wissen wir inzwischen. Trotzdem bietet V For Vendetta keine Mythologie des Terrorismus, eher eine der Rebellion, der Revolution. Es ist eine jakobinische Position, die an Humanität – »Ich wage alles, was dem Menschen ziemt. Wer mehr wagt, der ist keiner.« zitiert V Macbeth –, am Ideal der egalitären Gesellschaft festhält, der Gerechtigkeit, an Richtig und Falsch als absolute Kategorien, ungeachtet persönlicher Affinitäten des Individuums, und die an ihre Ideen nicht nur glaubt, sondern sie liebt – »Ideas are bulletproof« sagt V einmal. »Beneath this mask there is more than flesh. There is an idea.« Jakobinismus bedeutet eine Form der Konsequenz und der Überzeugung vom Sinn der Abstraktion, die schon als Konsequenz der Mehrheit der Heutigen unheimlich und unsympathisch ist. Erst recht aber in ihrer Gewaltbereitschaft: »Violence can be for good« – »What are you talking about?« – »Justice!« Das ist der entscheidende Dialog. In diesem unzweideutigen Bekenntnis zur Einsicht, dass Kampf um Gerechtigkeit auch Kampf ist, also ohne Gewalt nicht auskommt, ist V For Vendetta am radikalsten, sperrigsten, ungefälligsten, da mag der Production Designer noch so viele »Anarchy in The UK«-Plakate in den Kulissen aufhängen. Anarchismus ist in Zeiten neoliberaler Staatsfeindschaft und »Californian Ideology« billig zu haben. Das Plakative in V For Vendetta geht über solche Zeichen weit hinaus.
»Vi veri veniversum vivus vici«, also etwa: »Durch die Wahrheit habe ich lebend das Universum besiegt« ist nicht nur ein Spiel mit dem V aus dem Munde V’s, es ist die jakobinische Botschaft des Films: V For Vendetta, auch Alan Moore, weichen der Kernfrage aller Politik – Gewalt wann und wozu? – nicht in wohlfeiles Reden über die andere Wange aus. »Violence can be for good« – »What are you talking about?« – »Justice!« Gewalt kann ein angemessenes, gerechtfertigtes Mittel sein, um andere Gewalt zu bekämpfen. Manchmal muss man gegen die Paläste Krieg führen. Auch das Opfer Unschuldiger darf unter bestimmten Umständen in Kauf genommen werden. Hier kann die Diskussion beginnen, die im Kino nicht geführt werden muss. Es setzt auf sinnliche Gewissheit. Und es darf sich damit begnügen, dass es im Film einfach die Richtigen trifft.