USA/E 2008 · 96 min. · FSK: ab 6 Regie: Woody Allen Drehbuch: Woody Allen Kamera: Javier Aguirresarobe Darsteller: Javier Bardem, Penélope Cruz, Rebecca Hall, Scarlett Johansson, Patricia Clarkson, Kevin Dunn u.a. |
![]() |
|
Flotter Dreier: Allens neue Sommernachts-Sex-Komödie |
Klar: Der mittlerweile 73-jährige Woody Allen ist auch einfach ein Sugar-Daddy, und man möchte lieber gar nicht zu genau wissen, was er sich so im stillen Kämmerlein alles denkt, wenn er Scarlett Johansson für eine Hauptrolle castet. Aber das macht alles gar nichts, denn Woody Allen ist außerdem einfach ein genialer Dialogschreiber, ein ausgezeichneter, einfallsreicher Drehbuchautor, und ein mindestens in der Routine von über 40 Regiearbeiten in weniger als 40 Jahren ungemein leichtfüßiger Regisseur. All das sieht man auch wieder Allens neuester Arbeit an, der Komödie Vicky Cristina Barcelona, die jetzt ins Kino kommt.
Zwei Frauen, eigentlich drei, und ein Mann – ist überhaupt eine noch bessere Kombination denkbar fürs Kino? Zumal wenn diese Frauen von Penepole Cruz und Scarlett Johansson gespielt werden, eigentlich noch von Rebecca Hall und der Mann vom frischgebackenen Oscargewinner Javier Bardem? Alles aus männlicher Sicht versteht sich – obwohl: Auch weibliche Perspektiven kommen in Allens neuestem Film durchaus auf ihre Kosten.
Vicky Cristina Barcelona heißt das jüngste Werk von Woody Allen überaus präzise, denn es handelt von Vicky und Cristina, zwei lebensfrohen US-Girls, und von der katalanischen Metropole Barcelona, wo die beiden einen Sommer lang Urlaub machen, und ein bisschen arbeiten wollen. Beide studieren noch, und Vicky schreibt schließlich auch gerade ihre Abschlußarbeit an der Universität über »Katalanische Identität.« Beide sind ziemlich unterschiedlich: Während Vicky (Hall) ganz kühl und rational ist, gradlinig und zauberhaft realistisch und demzufolge schon mit einem erfolgreichen Langweiler verlobt, ist Cristina (Johansson) idealistisch, emotional und nervig tiefromantisch. Als sie dem erstbesten Latin Lover über den Weg laufen, und der auch noch Juan heißt und Maler ist, verfällt Cristina seinen mit Banal-Charme dargebrachten eindeutigsten Avancen, und Vicky geht mit ihm einfach ins Bett.
Wenig später passiert Cristina aber das Gleiche und aus ihrem One-Night-Stand wird eine handfeste Affaire. Eine Weile plätschert der Sommer von Barcelona danach frivol und fröhlich, mit üblichem Woody-Allen-Wortwitz und mitunter auch als bissige Gesellschaftssatire dahin, doch seinen Höhepunkt erreicht der Film erst, als gegen Mitte des Films auch noch Juans Exfrau Maria Elena auftaucht, die nach wie vor seine wahre Liebe ist. Maria Elena ist psychisch gestört, und hat außer einem Selbstmordversuch auch schon einen Mordanschlag auf ihren Ex verübt – eine Traumrolle für Penelope Cruz, zudem diese im echten Leben bekanntlich mit Javier Bardem liiert ist (war?). Maria Elena ist das Öl in jenem Feuer, das zwischen Vicky, Cristina und Juan glimmt, und bald lebt nicht nur die Liebe zwischen ihr und Juan auf, sondern auch es beginnt auch eine Affaire zwischen ihr und Cristina! Doch bis zum Schluß spielt auch Vicky keineswegs eine Nebenrolle; die Britin Rebecca Hall, die große Entdeckung dieses Films, macht sie vielmehr zu dessen eigentlichem Zentrum.
Vor der Filmgeschichte zählt zwar nur die Qualität, doch könnte es Woody Allen mit diesem Film wieder einmal zu einem größeren Erfolg auch beim Publikum und damit an der Kasse schaffen. Zwar ist auf der reinen Einnahmeseite nahezu jeder Woody-Allen-Film erfolgreicher, als seine Vorgänger. Das liegt ganz einfach an der Zunahme der Eintrittspreise. Aussagekräftiger sind aber die Zuschauerzahlen. Und während in Frankreich trotz geringerer Bevölkerungszahl ein Woody-Allen-Film als Misserfolg gilt, wenn er nicht mindestens eine Million Zuschauer ins Kino lockt, gilt in Deutschland schon eine halbe Million als großer Erfolg. Die Millionengrenze knackte in Deutschland nur ein einziger Allen-Film: Hannah und ihre Schwestern, der auch einer seiner besten ist, und 1986 1.005.000 Zuschauer ins Kino lockte. Dahinter liegt dann schon einer von Allens neuesten Filmen: Match Point an dessen 860.000 Besuchern 2005 gewiß auch Scarlett Johannsson auf dem Kinoplakat einen gewissen Anteil hatte. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, warum sie seitdem noch zweimal – in Scoop und jetzt wieder – dabei war. Über eine halbe Million Zuschauer gingen auch noch in The Purple Rose of Cairo (840.000), Radio Days (540.000) und Annie Hall (Der Stadtneurotiker, 502.000). Als besondere Erfolge von Allens 41 Kinostarts seit 1969 (!) gelten auch Bullets Over Broadway (470.000), Everyone Says I Love You (450.000), und Mighty Aphrodite (420.000). Ein durchschnittlicher Allen Film kommt auf etwa 200.000 Zuschauer, während selbst heutige Allen-Klassiker wie Play it Again, Sam (59.000) oder Manhattan (152.000) unter den ökonomischen Erwartungen blieben. Der größte Mißerfolg Allens: Seine Bergman-Hommage Innenleben von 1979 mit nur 13.900 Zuschauern – was für manchen deutschen Film aber schon ein relativer Erfolg wäre. Zuschauerzahlen hängen allerdings auch oft mit dem Marketing der Verleiher zusammen, die einem Film heute weit weniger Zeit geben, als früher, um sich im Kino zu entwickeln. Darum können Interessenten oft den Film gar nicht mehr sehen, weil er bereits nach wenigen Wochen im Kino durch Neues verdrängt wurde.
Nach längerer Zeit sieht es also wie gesagt, mal wieder gut aus für Woody Allen. Es war eine lange Durststrecke nach Allen größter Zeit in den 70ern und 80ern. Dann folgten die Schmuddelmeldungen um Sex mit der Adoptivtochter, die seine dritte Frau wurde, der Prozeß mit Ex-Gattin Mia Farrow. Allen wehrte sich mit Ironie, drehte »Geliebte Aphrodite« um einen älteren Mann, der mit einem viel zu jungen Straßenmädchen etwas anfängt, dann ging er erstmals nach Europa: Everyone Says I Love You wurde in Venedig gedreht. Es folgten Ende der 90er einige großartige Allen-Filme, in denen er zugleich immer bitterer, ja verbittert erschien: Deconstructing Harry war eine Allen-Dekonstruktion, Celebrity eine Abrechnung mit der Glamourpresse und zugleich mit jenen, die weder für ihre Werke berühmt, also Künstler, noch für sich selbst geliebt, also Stars sind, sondern »prominent« – weswegen man das gleich in der Bezeichnung dazu sagen muss. Dann kam Hollywood Ending, der die Abrechnung mit dem anderen, dem Nicht-Woody-Allen-Kino schon im Titel trägt – und passenderweise als einer der ganz wenigen Allen Filme gar keinen deutschen Verleih fand. In Frankreich sahen ihn über eine Million. Als dann aber der Krach mit Allens langjähriger Produzentin Jean Doumanian den Regisseur zwang, sich neue Produzenten zu suchen, und sich dazu auch mit dem verhassten Hollywood einzulassen, schien Allen von gestern. Doch im Gegenteil: Er erfand sich ein weiteres Mal neu, und drehte mit Hollywood-Geld in Europa. Wie seine Filmfigur Zelig wandelte er sich ein weiteres Mal, und wurde auf dem alten Kontinent zum europäischen Regisseur. Seine drei Filme in Großbritannien wirken wie britische Sixties-Filme, wenn sie »typisch britischen« schwarzen Humor und Upper-Class-Szenerien mit Allens New Yorker Neurosenkino verschmelzen.
Aber Allen mag Pastiches, dieses »Übermalen« fremder Film-Welten mit seinem »Allen Touch«. Das erkennt man auch in Vicky Cristina Barcelona, ohne dass deshalb aus einem Woody-Allen-Film ein Almodóvar geworden wäre. Denn unter dem Bild südländischer Passion findet sich wieder ein klassisches Allen-Thema: Die Angst vor dem Anderen, zu der/dem man sich doch gleichzeitig hingezogen fühlt. Whatever Works – so heißt Allens nächster Film, der wieder in New York spielt. Und so könnte auch das Motto der letzten Allen-Jahre heißen: Egal was, Hauptsache es funktioniert – dann ist alles erlaubt.
Woody Allen ist mit Vicky Cristina Barcelona nicht nur sein bester Film seit längerer Zeit gelungen, eine neue Sommernachts-Sex-Komödie im Stil seiner großen Zeiten, sondern auch ein subtil hochpolitischer Film: Eine Romantic Comedy, die alle Tabus des gegenwärtigen Hollywood-Kinos bricht, und die den Puritanismus der Amerikaner veralbert: Sex zwischen Frauen oder zu dritt kann schön sein, die wahre Liebe gibt es nicht, das sind die ganz beiläufig vermittelten Botschaften dieses Films. Dabei ist der Film auch ein reiches Spiel mit historischen und literarischen Referenzen: Allen zeigt eine ganz klassische »sentimental journey«, eine »education sentimentale« von Menschen des Nordwestens, die im Süden noch eine andere, hitzigere Seite ihrer selbst entdecken, und sich – zum Teil erst in der Begegnung mit einem latin lover – völlig neu erfinden: Lawrence Sterne, E.M.Forster und Henry James haben solche Erfahrungen zur Weltliteratur erhoben. Es geht auch um ein transatlantisches Verhältnis, um einen Clash der Kulturen, und der Klischees. Etwa, wenn Allen tolle Darsteller zeigt wie Bardem und Cruz, die sich hier herrlich über ihre eigenes (Hollywood-)Image als Klischee-Spanier lustig machen.
Auch sonst gelingt Allen das Spiel mit Klischees wunderbar: Allens Spanien ist etwa so realistisch wie Bizets Oper Carmen, dabei kein Disneyland, sondern eher idealisierte Postkarte, ein Abbild dessen, was die beiden US-Touristinnen von der Wirklichkeit wahrnehmen: Gaudí-Architektur, Miró-Wandbilder, Flamenco-Musik und erotische Libertinage: Am europäischen Wesen soll, das macht Woody Allen klar, Amerika genesen.