Von Vätern und Müttern

Fædre & mødre

Dänemark 2022 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: Paprika Steen
Drehbuch:
Kamera: Jan Pallesen
Darsteller: Amanda Collin, Nikolaj Lie Kaas, Lisa Loven Kongsli, Lars Brygmann, Katrine Greis-Rosenthal u.a.
Filmszene »Von Vätern und Müttern«
Trügerisches Glück...
(Foto: mindjazz pictures)

Gute Menschen, böse Menschen

Paprika Steen seziert in ihrem Beziehungsdrama hippe Elternmodelle und entlarvt mit schwarzem Humor gnadenlos die woke Doppelmoral unserer Gegenwart

You got to get through (Ma-ma-ma-ma-ma-ma-ma Loo)
Mama Loo (Ma-ma-ma-ma-ma-ma-ma Loo)
Can rock and roll (Ma-ma-ma-ma-ma-ma-ma Loo)
Save your soul (Ma-ma-ma-ma-ma-ma-ma Loo)

– The Les Humphries Singers, Mama Loo

Wer sich einmal in einem der hippen, bildungs­bür­ger­li­chen Speck­gürtel unserer großen deutschen Städte – etwa in Berlin Mitte oder dem Glocken­bach­viertel in München – für einen Kita-Platz beworben hat und nach den üblichen verlo­genen Vorstel­lungs­ma­ra­thons einen Platz bekommen hat und dann das erste Bauern­hof­wo­chen­ende mit Erziehern, Kindern und anderen Eltern mit einge­fro­renem Lächeln durch­litten hat, und wer auf Eltern­abenden heulende Heli­ko­pter­el­tern und entnervte Erzieher gesehen hat, der wird sich in Paprika Steens Von Vätern und Müttern gut aufge­hoben fühlen.

Denn Steen, die bereits in Lars von Triers Idioten (1998) und Thomas Vinter­bergs Das Fest (1999) als Schau­spie­lerin die Doppel­moral der dänischen Gesell­schaft im Dogma-Format dekon­stru­ierte, ist auch in ihrer fünften Regie-Arbeit dieser Thematik treu geblieben. Grund genug dafür gibt es nicht nur in Dänemark.

Denn was Steen hier erzählt, passiert wie schon eingangs erwähnt überall, wo sich die einst leiden­schaft­li­chen, reform­pä­d­ago­gi­schen Ideen der Hippie-Gegen­kultur kommer­zia­li­siert und mani­fes­tiert haben und zu einem immer gefähr­li­cheren Instru­men­ta­rium scheinbar woker Main­stream-Kultur geworden sind. Macht korrum­piert halt. Das ist nicht nur in der Politik so.

Stell­ver­tre­tend für diese Entwick­lung erzählt Steen von einer Reform­schule, deren selbst­herr­li­cher Direktor Adrian (Lars Brygmann) die schon seit einiger Zeit nach der besten Schule für ihre zwölf­jäh­rige Tochter Hannah (Ida Skelbaek-Knudsen) suchenden Eltern Pernille und Ulrik (Katrine Greis-Rosenthal und Jacob Lohmann) in den Kreis der Erwählten aufnimmt, dabei aller­dings nicht vergisst zu betonen, dass die Eltern das Rückgrat dieser Schule seien, in der es die üblichen Hier­ar­chien nicht gebe.

Zwar erkennen Pernille und Ulrik schon bei den ersten Eltern­abenden, dass die Hier­ar­chien hier nur besser versteckt sind, doch die eigent­liche Katharsis findet bei der jähr­li­chen Hütten­fahrt statt, in der sich Kinder, Eltern und Lehrer besser kennen­lernen sollen.

Steen zieht mit diesem Kapitel ihres Films die Schrauben merklich an, macht schnell deutlich, dass Anspruch und Wirk­lich­keit dieses pädago­gi­schen Modells soweit ausein­an­der­klaffen wie der sich immer weiter öffnende Graben zwischen Reich und Arm auf dieser Welt. Doch bleibt Steen konse­quent in der kleinen Blase ihres Feld­for­schungs-Expe­ri­ments und blickt immer genauer auf die Befind­lich­keiten ihres Personals. In einem wilden Besäufnis der Eltern am Lager­feuer macht sie deutlich, dass nur Alkohol und Drogen für Momente die unaus­ge­spro­chenen Hier­ar­chien dieser Zweck­ge­mein­schaft egali­sieren. Wie entsetz­lich verlogen jedoch auch dieser Moment ist, zeigen die Blicke der Kinder, die mit fassungs­losem Staunen ihre Eltern aus dem Dunkel heraus beob­achten. Ein Moment, der in seiner demas­kie­renden Gnaden­lo­sig­keit stark an ähnliche Szenen in Thomas Vinter­bergs Der Rausch erinnert.

Doch anders als Vinter­berg, der sich mehr um die Ambi­guität von Moral kümmert und von einer klaren mora­li­schen Verur­tei­lung seines »Helden« Abstand nimmt, spielt Steen ihr äußerst radikales Gedan­ken­spiel bis zum Ende durch und bezieht klar Stellung, nicht nur über einen großartig insze­nierten Streit beim Abend­essen am zweiten Tag, sondern auch über die subtile Funk­tio­na­lität von Cancel Culture, die hier im Kleinen genauso demons­triert wird wie sie auch im Großen funk­tio­niert.

Dass es Steen dabei noch gelingt, bei all dem Schrecken auch so etwas wie schwarzen Humor zu bewahren, ist ihr hoch anzu­rechnen und rettet den Film dann auch vor seiner etwas zu eindeu­tigen Bestands­auf­nahme und zu starken, zu simplen Kontrasten, die ein wenig zu schnell deutlich machen, worum es hier geht. Ein wenig mehr Ambi­va­lenz, so wie in Vinter­bergs Rausch, hätte auch Von Vätern und Müttern gut getan. Doch wie schon gesagt, Steens Humor gleicht dieses Defizit über große Teile wieder aus.