Frankreich 2017 · 88 min. · FSK: ab 6 Regie: Sou Abadi Drehbuch: Sou Abadi Kamera: Yves Angelo Darsteller: Félix Moati, Camélia Jordana, William Lebghil, Anne Alvaro, Carl Malapa u.a. |
||
Mehr als nur Cross-Dressing-Klamauk |
Vielleicht keine Regel, aber immerhin eine Tendenz dürfte es sein, dass jene Komödien, die aus dem Inneren der Misere, aus einer Art von teilnehmenden Feldforschung, also nicht interkulturell, sondern intrakulturell als »Autofiktion« entstehen, die bissigsten sind. Weil Drehbuchautoren oder Regisseure selbst den Schmerz erlitten haben, haben sie auch die größte Wut und die größte Bereitschaft, Wut in Humor zu transformieren. Passende Beispiele für diese Arbeitshypothese sind etwa Judd Apatows The 40 Year Old Virgin (amerikanische Genophobie), Dennis Dugans, Judd Apatows und Adam Sandlers You Don’t Mess with the Zohan (Jewishness in Israel und den USA) oder erst kürzlich Jan Henrik Stahlbergs Fikkefuchs (Frontalangriff auf Genderstereotypen). Andererseits fällt die Qualität oft beträchtlich ab, geht es »interkulturell« zu, wird ein Symptom humoristisch »weichgespült«, mit dem schalen Nachgeschmack, dass eine bestehende »Malaise« im Grunde gerechtfertigt statt verrissen wird. Beispiele hierfür finden sich zuhauf, auch weil sie leichter ans Publikum zu bringen sind.
Frankreich mit seinen gravierenden gesellschaftlichen Erodierungen schiebt seit Jahren eine regelrechte Schlammlawine dieser Art vor sich her, die gerade deshalb so schwer zu ertragen ist, weil sie selbstgerecht und selbstgenügsam gesellschaftlich relevante Probleme thematisiert ohne sie wirklich zu verhandeln bzw. zu hinterfragen: Monsieur Claude und seine Töchter (2014), Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste (201), Ein Dorf sieht schwarz (2016) oder erst dieser Tage Madame (2017), um nur einige zu nennen. Doch auch in Frankreich geht es anders, gibt es wie in den USA (und Deutschland) eine autofiktionale Wut, die sich nicht anzubiedern versucht, sondern zuschlägt, und kaum eine Grenze kennt.
Eine der gelungenen Komödien dieser raren Stoßrichtung ist Sou Abadis Voll verschleiert. Abadi erzählt die Geschichte von Armand (Félix Moati) und Leila (Camelia Jordana), einem frisch verliebten Paar, das gemeinsam Wirtschaftswissenschaften studiert. Beide engagieren sich bei einer NGO, die Migranten bei ihrer Ankunft in Paris hilft, beide werden jedoch plötzlich von ihren eigenen Migrationshintergründen eingeholt, als Leilas Bruder Mahmoud (William Lebghil) aus einem mehrmonatigen, vermeintlichen Urlaub als radikalisierter Muslim zurückkehrt und seiner Schwester nicht nur die Uni, sondern auch ihren Freund verbietet. Zwar weiß sich Armand über seine Freunde aus der Migrationsszene zu helfen und »vollverschleiert« an Leila ranzukommen, er rechnet jedoch nicht mit den unerwarteten Gefühlen Mahmouds ihr/m gegenüber und denen seiner Eltern, die nach Khomeinis Machtübernahme das Land verlassen hatten und mit dem Islam rein gar nichts mehr zu tun haben wollen.
Diese grobe Skizze des Plots deutet bereits die Möglichkeiten an, die Abadi dann auch tatsächlich in allen nur denkbaren Höhen und Tiefen auslotet und sich vielleicht am besten am Thema »Cross-Dressing« ablesen läßt: Zum einen sind die Bezüge zu einer »Verkleidungs«-Komödie wie Billy Wilders Manche mögen’s heiß unübersehbar, zum anderen schöpft Abadi aus dem reichen Fundus islamischen »Cross-Dressings«, das nicht nur Gefahren gebannt, verbotene Lust beschert, sondern auch Leben gerettet hat, wie etwa das von Hojatoleslam Rafsanjani, einem der Machthaber der islamischen Republik Iran, der sich vor der Revolution mit Vollverschleierung als Frau verkleidete, um der Polizei des Schah-Regimes zu entkommen.
Abadi balanciert diese beiden erzählerischen Extreme – bis zur Blödelei und Slapstick ausgeschöpfte komödiantische Elemente und wirkliche Tragik – für ein Spielfilmdebüt erstaunlich souverän. Ihr gelingt es dabei nicht nur, tatsächlich lustig zu sein, sondern gleichzeitig feinfühlige Porträts migrantischer Kultur zu zeichnen. Abadi profitiert dabei nicht nur von Anleihen aus ihrer eigenen »fremden« Heimat und ihrer dokumentarischen Auseinandersetzung S.O.S. Teheran (2002), sondern vor allem aus ihrem eigenen Pariser Alltag: Begegnungen zwischen Vollverschleierten und »normalen« Pariser Frauen; die sich auch in der Migration bahnbrechende Dichotomie zwischen Schiiten und Sunniten und der tatsächlich ans Groteske grenzende Sinneswandel eines »normalen« Menschen zum Fundamentalismus.
Obgleich sich für eine Komödie gerade Stereotypen anbieten, um ein malades System zu hinterfragen, versucht Abadi diesen Weg zu vermeiden. Zwar gibt es auch bei ihr die vollbärtigen, vor Eifer sabbernden Vollpfosten, so wie jeder sich das vorstellt. Doch dann gelingen Abadi im Fahrwasser ihrer temporeichen Inszenierung wohltuende Überraschungen, zieht Abadi immer wieder eine erstaunliche, dramaturgische Handbremse an und wechselt einfach das Genre, verlangsamt das Tempo und vertieft sich in den Ernst der Lage: wird eben noch die Fratze islamischen Fundamentalismus' furios demaskiert, so wird sie im nächsten Moment schon mit altpersischer Lyrik – der unvergleichlichen Konferenz der Vögel – konfrontiert, um gleich darauf wieder auf Höchstgeschwindigkeit zu beschleunigen.
Unterstützt wird Abadi dabei von einem schauspielerischen Ensemble, das den hohen inszenatorischen Ansprüchen dieser gelungenen Komödie mit sichtlich lustvollem Spiel begegnet und die heikle Komplexität von Radikalisierungen und den Facettenreichtum muslimischer Einwanderungskultur zu einem selten gesehenen Bild verstreicht. Ein Bild, das im Grunde dafür ausgelegt ist, dass alle Seiten darüber lachen können, das die Farben unter dem Niqab ebenso zeigt wie die monotone Leere, das auch dem säkularen Dogma in Frankreich humorvoll seine zwanghaften Seiten vorführt. Dies ist ohne Vorwissen um sunnitsche, schiitische und sufistische Eigenheiten und den aktuellen Säkularisierungsdiskurs in Frankreich nicht immer leicht zu dechiffrieren. Aber es bleibt trotzdem ein Bild, das Lachen, Staunen und Wut für Momente zusammenführt und damit für Augenblicke das schafft, was Komödien nur selten gelingt.