Deutschland 2015 · 127 min. · FSK: ab 0 Regie: Dominik Graf Drehbuch: Dominik Graf Kamera: Felix von Boehm, Till Vielrose Schnitt: Tobias Streck |
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Althen hätte die Welt umarmen können, so sehr liebte er das Kino. |
»Irgendwann ist das Ende aus dem Abspann der Filme verschwunden, vielleicht wurde es als zu negativ empfunden und tatsächlich, was soll es auch heißen? Ende? Wo doch so oft in dem Moment erst etwas anfängt.«
Dominik Graf setzt das Ende gleich in seinen Filmtitel und ein weiteres ganz klassisch an den Schluss seines Films. Schön, klar, eindeutig. Das interpunktiert er dann aber mit einem Fragezeichen. Nicht einmal der Tod befördert einen Menschen also wirklich und absolut aus dem Leben. In allen Menschen, die ihn kannten, lebt er als Erinnerungen fort, genauso wie in Videos und Bildern und, – wenn derjenige, wie in Althens Fall auch Texte geschrieben hat –, auch in diesen. Und folgerichtig besteht auch Grafs Film aus den Erinnerungen der Menschen, die Althen gekannt haben, unter ihnen viele Kritik-Weggefährten wie Doris Kuhn, Claudius Seidl, Peter Körte, Tobias Kniebe, Filmemachern, Autoren und Schauspieler wie Christian Petzold, Tom Tykwer, Romuald Karmakar, Moritz von Uslar und Milan Pavlovic, und natürlich seine Frau Beatrix Schnippenkötter und die beiden Kindern. Neben den Interviews hört man Althen auch immer wieder selber, in seinen von Graf vorgetragenen Texten, zu denen eben Filmaufnahmen und Bilder gezeigt werden.
Michael Althen wurde 1962 in München geboren, er starb 2011. Zeitlebens hat er für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften geschrieben. Ab 1998 war er verantwortlicher Filmredakteur der »Süddeutschen Zeitung«, bevor er 2001 in die Redaktion der Frankfurter Allgemeinen nach Berlin wechselte. 1995 drehte Althen seinen ersten Film Das Kino bittet zu Tisch – Essen im Film, für den er den Grimme-Preis erhielt. Einen zweiten Grimme-Preis bekam er 1998 für das, in Zusammenarbeit mit Dominik Graf entstandene Filmessay: Das Wispern im Berg der Dinge. Gemeinsam mit Graf entstand 2000 außerdem München – Geheimnisse einer Stadt (im übrigen ein Titel, der in die Irre führt, denn der Film ist keine Art M – Eine Stadt sucht einen Mörder, sondern ein Essay über das »In einer Stadt leben« an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Momenten des eigenen Lebens. Poetische Episoden kartografieren im Film eine Stadt, die eigentlich jede sein kann). 2008 kam seine Dokumentation Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte heraus bei der er zusammen mit Hans Helmut Prinzler Regie geführt hat. Althen schrieb also nicht nur über Filme, sondern er drückte sich auch in ihnen aus.
Althen betrachtet in seinen Texten Filme, wie man Bilder in sich aufnimmt. Der erste Schritt: Was sieht man auf dem Bild? Was sieht man in einem Film? Vielleicht nur in einer sehr einprägsamen und typischen Szene? Anhand von dem, wie sich Menschen in ihr bewegen, zueinanderstehen, miteinander sprechen, vor welchem Hintergrund, in welchem Licht, entsteht bei Althen eine Beschreibung der Stimmung des gesamten Filmes und der Atmosphäre, die in ihm herrscht. Im Anschluss daran folgt die, um im Kunstjargon zu bleiben, ikonografische und ikonologische Beschreibung des Gesehenen, der Hintergrund, der Rahmen, die Interpretation. Schön beschreibt Graf diese Herangehensweise anhand Althens Beschreibung eines unvollendeten (wieder das Ende mit Fragezeichen) Werkes, des von Althen bewunderten, französischen Malers Nicolas de Staël. Althens Filmtexte sind essayistisch, poetisch, liebevoll und lässig und, ja das auch, oft etwas pathetisch. Graf liest sie in seiner unverwechselbaren Art mit ruhiger, fließender Stimme: Kritiken, Nachrufe, Beobachtungen und Interviews. Graf illustriert sie mit Bilder-Collagen: Bilder in Bildern, seiner typischen Graf-Ästhetik, die schwenkt und zoomt – das kann man mögen oder nicht, aber es passt doch sehr zu der Art des Schreibens und Erzählens von Althen.
Was heißt hier Ende? ist aber nicht allein eine Althen-Hommage, sondern daneben auch eine kurze Geschichte der Filmkritik in Deutschland. Der Film erzählt nämlich auch davon wie eine Gruppe von »Jungen« – Althen war da offenbar ganz vorne mit dabei, – loszog, um die alte Riege der Filmkritiker abzulösen. Die »Alten«, deren Herz für das deutsche und europäische Autorenkino der 60-70er Jahre schlug, wurden ersetzt oder doch viel mehr komplettiert durch die »Jungen«, die der Welt und besonders Hollywood zugewandt waren (die Kulmination dieser Bewegung fand etwa 2000 statt, als die »Alten« von der FAZ zur SZ wanderten und umgekehrt die »Jungen« von der SZ zur Frank Schirrmachers FAZ zogen). Dass Grafs Film am Ende bei einer fast ausnahmslos negativen Analyse des aktuellen Kritikerstandes endet, ist irgendwie klassisch, aber auch schade. Ist die Kritik heute wirklich langweilig geworden? Erstarrt? Darüber kann man durchaus anderer Meinung sein. Streitbar sind einige Kritiker heute noch und als etwas zu wohlwollend, ja fast unschuldig, erscheinen einen Althens Texte eben auch manchmal. Man spürt an ihnen, dass es damals vielleicht tatsächlich noch stärker diese Einheit zwischen Kritiker und Leser und eben auch zwischen Kritiker und Filmemacher (Wim Wenders nennt es im Film: Komplizentum) gegeben hat. Ob das aber wirklich ein Vorteil ist? Auch darüber kann man anderer Meinung sein.
Wie auch immer spürt man in Althens Texten seine absolute Liebe zum Kino, und diese grundsätzliche Sympathie für alle Filme reißt einen mit. »Anything goes«, wie seine Tochter es mal sagt, alles hat seine Daseinsberechtigung, sei es nun Michelangelo Antonioni oder das Lächeln von Tom Cruise.
Grafs Film ist ein filmischer Nachruf für einen, der Filme geliebt hat, in ihnen gelebt hat und weiterlebt und am schönsten endet man hier mit einem Satz, den Althen selber in einem Nachruf für den 1998 verstorbenen Filmkritiker und seinem Vorgänger bei der SZ, Peter Buchka, geschrieben hat: »Vielleicht muss man in solchen Momenten vom Glück sprechen, einen Menschen wie ihn gekannt zu haben.« Oder seine Texte weiterhin lesen zu können.