Deutschland 2023 · 100 min. · FSK: ab 12 Regie: Kanwal Sethi Drehbuch: Kanwal Sethi Kamera: Erik Molberg Hansen, Holger Jungnickel Darsteller: Serkan Kaya, Seyneb Saleh, Amira Demirkiran, Olga von Luckwald, Sven Mattke u.a. |
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Tangled up in Blue... | ||
(Foto: Filmwelt) |
Wer die politischen Hierarchien, die zwischen Türken und Kurden herrschen, in Filmen wie Ferit Karahans Brother’s Keeper (2021) oder Mehmet Ali Konars The Dance of Ali and Sin (2021) gesehen hat, dürfte zu Recht überrascht sein, in Kanwal Sethis Was von der Liebe bleibt ein Paar beobachten zu können, das sich über diese Hierarchien hinweggesetzt hat. Denn Yasemin (Seyneb Saleh) und Ilyas (Serkan Kaya) sind zwei Deutsche mit kurdischer und türkischer Abstammung, die gleich am Anfang des Film die Selbstverständlichkeit ihres »Kanakentums« verbalisieren – »einmal Kanake, immer Kanake« –, um nach einem Zeitsprung von 15 Jahren anzudeuten, dass Deutschland vielleicht doch als Immigration- und Integrationsland funktioniert. Nicht nur hat Deutschland ihnen ermöglicht, als Paar so zu funktionieren, wie es in der Türkei wohl kaum möglich wäre, sondern sie haben auch Erfolg, leiten ein gutlaufendes Café und ist es in diesem Fall eher Ilyas, dem gerade der Erfolg ein wenig aufstößt, weil seine Frau ihm zu karrieristisch ist, er sich mehr Beziehung und Liebe wünscht. Also ganz normale Probleme in einem ganz normalen deutschen Familienalltag, in dem es auch ein Kind gibt.
Erschüttert wird diese Alltagsidylle durch einen extremistischen Anschlag, der ein wenig an Fatih Akins Aus dem Nichts (2017) erinnert. Aber Kanwal Sethi, der sich nach Theaterarbeiten in seinem Geburtsland Indien seit 1992 in Deutschland zunehmend filmischen Projekten widmete (Once Again – Eine Liebe in Mumbai), interessieren weder Rache noch ein Blick auf rechtsradikale Terrorzellen.
Er spürt vielmehr den Erschütterungen innerhalb der Beziehung und einer großen Liebesgeschichte nach, die durch Flashbacks mehr und mehr entfaltet wird. Seine überragenden Hauptdarsteller geben gerade den zunehmenden Bruchstellen im Leben und Lieben eine faszinierende Transparenz, mehr noch als die Wahrheit immer komplexer wird, die Schatten einer möglichen PKK-Vergangenheit genauso ihre Berechtigung einfordern wie der strukturelle Rassismus bei der Polizei, der ja nicht nur in der hessischen Polizei inzwischen fast schon legendär ist, sondern den auch Kanwal Sethi so massiv am eigenen Leib spürte, dass er einen Rechtsstreit gegen zwei Bundespolizisten wegen einer rechtswidrigen Personalienfeststellung im Jahr 2014 anstrengte und diesen auch gewann.
Doch Sethi behält sich trotz dieser persönlichen »Befangenheit« für die hier erzählte Geschichte eine kluge Uneindeutigkeit vor, sowohl auf der Beziehungsebene als auch auf der politischen Ebene, die erst zum Ende hin forciert wird und so wie in Erol Afşins großartig-düsterer Xenophobiestudie Es brennt (2023) auch hier über den institutionellen Rassismus der Polizei ein ähnliches Motiv nahegelegt und durch den Abspann mit seinem Verweis auf rechtsextremistische, politisch motivierte Morde in Deutschland noch einmal erhärtet wird.
An dieser wichtigen, dichten und klug verwobenen Geschichte stört dann auch nur wenig, wie etwa der pathetische Einsatz von Musik und die etwas zu aufgesetzten melodramatischen Liebesbekundungen, Wut – und Streiteskapaden, doch selbst das ist im nächsten Moment auch schon wieder vergessen, weil mit Seyneb Saleh und Serkan Kaya zwei großartige Schauspieler am Werk sind, die die Ecken und Kanten des Drehbuchs und der Inszenierung mit ihrer komplexen Präsenz schnell vergessen lassen.