Deutschland 2018 · 189 min. · FSK: ab 12 Regie: Florian Henckel von Donnersmarck Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck Kamera: Caleb Deschanel Darsteller: Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer, Ina Weisse, Saskia Rosendahl u.a. |
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Ein Märchen aus Deutschland: düster, traurig, bizarr in den Koinzidenzen |
»Sieh nicht weg! Nie wegsehen, Kurt, alles, was wahr ist, ist schön.«
aus: »Werk ohne Autor«
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Sie ist der eigentliche Star dieses Films, und das im doppelten Sinn: Saskia Rosendahl, bisher außer durch ein paar gehobene Nebenrollen (Wir sind jung. Wir sind stark.) vor allem durch Lore bekannt, jenen schon einige Jahre alten Film, in dem sie die Titelrolle spielte, ein
junges Mädchen in den Wirren des Endes des Zweiten Weltkriegs.
In Werk ohne Autor, dem dritten Spielfilm von Florian Henckel von Donnersmarck, der vor elf Jahren den Oscar für das DDR-Melodram Das Leben der Anderen gewann, verkörpert sie die zentrale Figur und das emotionale Zentrum der ersten halben Stunde. Saskia Rosendahl
spielt Elisabeth, die Tante der Hauptfigur Kurt, eines etwa sechs Jahre alten begabten und an Malerei interessierten Jungen.
Sie besucht mit ihm im Jahr 1938 die Nazi-Propaganda-Ausstellung »Entartete Kunst«, die in Dresden Station macht, und versucht dem Kind entgegen der NS-Propaganda des Ausstellungsführers (creepy: Lars Eidinger in einem Kurzauftritt) die Schönheit der Avantgarde nahezubringen: »Nicht weitersagen, aber mir gefällt’s.«
Wenig später wird sie als
»schizophren« diagnostiziert, in ein Heim abgeschoben, zwangssterilisiert und kurz vor Ende des Kriegs von NS-Ärzten euthanasiert, also als »lebensunwertes Leben« ermordet.
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Diese traumatische Geschichte aus dem Leben eines kleinen Jungen, aus dem später mal ein berühmter Künstler werden wird, bildet den emotionalen Kern dieses Films. Denn über die weiteren gut zweieinhalb Stunden, die der Film noch dauert, wird das Bild der ermordeten Tante nicht verblassen, weder im Herzen der Zuschauer noch in dem der Hauptfigur. Es wird sich über das der Frau legen, die er kennen und lieben lernt, so wie Saskia Rosendahl sich über das Antlitz von Paula Beer legt, die
sie hier mit links an die Wand spielt.
Und es wird durch jede Leinwand hindurchscheinen, die der Künstler als junger Mann bemalt.
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Dies ist also in seinem Plot ein deutscher Vertigo: Eine Doppelgängerinnengeschichte, in der ein traumatisierter Mann immer nach der Frau sucht, die er einst verlor, und sich nur in die verlieben kann, in der er die andere wiederfindet.
Diese traumatische Geschichte hat sich Regisseur und Drehbuchautor Donnersmarck keineswegs ausgedacht. Sie entspricht bis in die
Einzelheiten dem Leben von Gerhard Richter, dem wichtigsten lebenden deutschen Maler. Der herausragende Journalist und Autor Jürgen Schreiber hat diese Geschichte der euthanasierten Tante Marianne und des bizarren Zufalls, dass Richter, ohne es zu wissen, eine Frau heiratete, die die Tochter genau jenes führenden SS-Arztes war, der die Ermordung seiner Tante verantwortete, in seiner Richter-Biografie »Ein Maler aus Deutschland« von 2004 erstmals recherchiert und erzählt. Sie war
auch Richter selbst bis dato nicht bekannt. Und Donnersmarck hat diese Recherchen jetzt weidlich ausgeschlachtet – was unbedingt legitim ist – und zu einem Drehbuch umgeschrieben.
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Viele Einzelheiten mögen erfunden sein, Werk ohne Autor ist im Wesentlichen eine fiktionale Biografie über die jungen Jahre Gerhard Richters, bevor er Mitte der Sechziger als Künstler seinen Durchbruch erlebte.
Der erste Akt zeigt das Kind und die Tante, der zweite die Jahre nach dem Krieg, die Richter an die Dresdner Kunstakademie führten, sie zeigen seinen Aufstieg in der Kunstszene des sozialistischen Realismus und vor allem seine
Begegnung mit einer Kommilitonin, die genauso heißt wie seine Tante und ihr auch äußerlich ähnelt: Sie verlieben sich und sie heiraten; im dritten Akt erleben wir die Düsseldorfer Kunstakademie, begegnen dem »Kapitalistischen Realismus«, der Gruppe um Richter, Polke, Uecker und Konrad Lueg, der später unter seinem richtigen Namen Konrad Fischer ein bedeutender Galerist wurde. Wir werden Zeuge, wie Richter zu seinem sehr eigenen Stil der Arbeit mit Photographie findet, und wie er
unbewusst in seine Malerei die wesentlichen Personen hineinarbeitet, die sein Schicksal mit dem der Tante, der Frau und des Schwiegervaters verbinden.
Tom Schilling spielt den Maler, Oliver Masucci spielt Joseph Beuys, Sebastian Koch ein weiteres Mal in perfekt sitzender Nazi-Uniform den fiesen SS-Doktor, der darüber schwadroniert, er sei der »Wächter am Ufer des Erbstroms«, und auch später seine perversen Werte nicht ablegt: »Das ist nicht die Erbmasse, die ich unseren Nachkommen
wünsche«, sagt er über den Freund der Tochter.
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Werk ohne Autor ist über drei Stunden lang, und entsprechend komplex und verwinkelt ist seine Geschichte. Technisch gut gemacht, ist sie ästhetisch konservativ, wie von diesem Regisseur gewohnt, gediegen, mitunter auch etwas spießig – alles in diesem Kostümfilm sieht ein bisschen zu kostümiert, zu perfekt, zu glatt aus.
Vor allem aber leidet ein Film, der offen mit der persönlichen Nähe zu Gerhard Richter kokettiert, unter dem
Vergleich mit dessen großartiger Kunst, die von den Einflüssen der Moderne und den Abgründen deutscher Geschichte gesättigt ist. Man kann von Richter nicht im Stil der »Gartenlaube« erzählen.
Und nicht alles lässt sich damit entschuldigen, dass dieser Film auf ein großes Publikum zielt, also Mainstream sein will, wenn auch Arthouse-Mainstream.
Aber dies ist kein Film, der das Publikum miteinbezieht, der ihm Raum lassen will für eigene Entdeckungen, Gedanken, Wertungen womöglich. Das Wesentliche wird hier vorgekaut.
Es soll manipuliert, kontrolliert werden – vielleicht weil man ihm zu wenig zutraut.
Aber wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Bilder immerhin von Caleb Deschanel gemacht wurden, dem Kameramann der letzten Filme von Friedkin, dann weiß man, dass dieser Kameramann noch zu ganz anderen, interessanteren Bildern fähig ist.
Der Film ist auch zu lang, er fesselt zwar, aber schweift auch wieder ab und wirkt unkonzentriert. Allzuoft muss sich Paula Beer auch ausziehen – so bündelt Werk ohne Autor mehrere Männerphantasien, neben der von der Frau als schönem Objekt des Mannesblicks auch die von männlicher Gewalt und ihrer Sublimation durch Kunst, sowie die Idee der Kunstreligion: Kunst als reiner, wahrer Zustand – eine Utopie, die das
faschistische Bündnis von »Kitsch und Tod« (Saul Friedländer) kontert.
Schließlich hat Donnersmarck auch viel zu viel Musik über seine Bilder gekleistert – auch wenn ich es nicht glaube, wirkt dies wie ein Zeichen, dass er selbst seiner Geschichte nicht ganz traut.
Das hätte er aber können – die Geschichte von einem jungen deutschen Künstler zwischen Geschichte und Gegenwart, Trauma und Verdrängung, Ost und West hat große Kraft und beschäftigt einen noch lange nach
Ende des Films. Werk ohne Autor ist Florian Henckel von Donnersmarcks bisher bester Film. Er hätte aber noch besser sein können, ja müssen.
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Ein Maler aus Deutschland. Ein Märchen aus Deutschland. Düster, traurig, bizarr in den Koinzidenzen, denen man hier begegnet.
»Sieh nicht weg! Nie wegsehen, alles, was wahr ist, ist schön.« – das ist die vielleicht etwas schlichte Moral dieses Films. Aber nicht wegzusehen, das ist in jedem Fall eine gute Lektion für das Leben und für den Umgang mit deutscher Vergangenheit und ihrer Gegenwart.
Anmerkung:
Das Buch, auf dem die Filmhandlung basiert, ist 2004 erschienen:
Jürgen Schreiber: Ein Maler aus Deutschland: Gerhard Richter. Das Drama einer Familie; Pendo Verlag 2004 [vergriffen];
Taschenbuchausgabe im Piper Verlag, 11 Euro