Deutschland 2010 · 126 min. · FSK: ab 12 Regie: Andres Veiel Drehbuch: Andres Veiel Kamera: Judith Kaufmann Darsteller: August Diehl, Lena Lauzemis, Alexander Fehling, Thomas Thieme, Imogen Kogge u.a. |
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Ein Reim auf das Echo der Geschichte? |
Die Schildbürger kommen auf Steckenpferden angeritten.Bürgermeister (von Schilda) Seid mir gegrüßt, lieber Kaiser!
Kaiser Habt Dank, lieber Bürgermeister, habt Dank!
Bürgermeister Wo kein Feuer brennt, ist kein Rauch!
Kaiser kopfschüttelnd Was soll das?
Bürgermeister Ich wollte Euch reimweise antworten, aber Ihr habt einen Fehler begangen Ihr hättet auf meinen Gruß nicht entgegnen dürfen: »Habt Dank, lieber Bürgermeister, habt
Dank!« Das war falsch!
Kaiser Wenn das falsch war, was wäre dann richtig gewesen?
Bürgermeister Wenn Ihr gesagt hättet: »Du mir auch!«
Kaiser Du mir auch?
Bürgermeister begeistert Wo kein Feuer brennt, ist kein Rauch! Seht Ihr, nun hat es sich doch gereimt!
Kaiser Wir wollen es gelten lassen.
Bürgermeister Mithin sind die beiden Aufgaben also gelöst! Wir sind Euch halb reitend und halb zu Fuß vor das Städtchen entgegen gezogen, wie
Ihr verlangt habt; und ich, als der Bürgermeister, habe Euch reimweise auf den Gruß geantwortet. Zweifelt Ihr noch daran, dass wir Schildbürger kluge Leute sind?
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Die RAF-Filme, die allein ab 2000 erschienen sind, könnten widersprüchlicher nicht sein. Die Stille nach dem Schuss (2000), Die innere Sicherheit (2000) oder Baader (2002) zeigen grundsätzliche Perspektivunterschiede und Paradigmenwechsel, aber auch, dass der nationale Therapiebedarf zu diesem deutschen Trauma eminent ist. Und hatten einige geglaubt, dass mit dem von Bernd Eichinger produzierten Der Baader Meinhof Komplex (2008) der Patient Deutschland geheilt entlassen werden könnte, so zeigt Andres Veiels Wer wenn nicht wir, dass der Patient möglicherweise nie kuriert werden kann.
Anders als seine Vorgänger begibt sich Veiel nicht in die akute Phase des Terrors oder sein schmerzvolles Ausklingen, sondern setzt an seinen Wurzeln an. Zurecht, denn bieten schon die Jahre des Terrors und ihr Aftermath Ingredienzen einer griechischen Tragödie, so gilt das erst recht für den Anfang. Angelehnt an Gerd Koenens großes, dichtes, essayistisches Werk »Vesper, Ensslin, Baader: Urszenen des deutschen Terrorismus« und etliche Zeitzeugenbefragungen versucht Veiel, den körperlich-psychonalytischen Subtext der Revolte in filmische Bilder zu fassen. Bekannt ist, dass bei dieser Umsetzung erhebliches Material wegfallen musste, so dass aus einem stofflichen Drei- bis Fünf-Stunden-Amalgam ein Zwei-Stunden-Film destilliert wurde. Veiel betont in etlichen Gesprächen, dass der Film gerade an diesen Auslassungen gewinne, und hört man ihm nach einer der im Vorfeld inszenierten Premiere-Vorführungen zu, gewinnt der Film verblüffenderweise mit jeder weiteren Aussage und Erklärung des Regisseurs an Dichte, Eloquenz und Größe. Diese Kleistsche »allmähliche Verfertigung des Gedankens beim Reden« gelingt derartig eindrucksvoll, dass es Kraft und Mühe kostet, sich an die eigene Rezeption während des Films zu erinnern. Und, vor allem, ihr zu trauen, ist sie doch von einem ganz anderen Grundgefühl getragen: dem der Enttäuschung.
Dabei sind es nicht einmal die Besetzungen, über die immer gestritten werden kann und darf. So kann man sich beispielsweise fragen, warum Baader im Film, interpretiert von Alexander Fehling, sich zuerst tuntig-dämlich und dann tolldreist gebärden muss, obwohl doch die Tonbänder aus dem Stammheimprozess, die 2007 per Zufall gefunden wurden, ein weitaus komplexeres Persönlichkeitsprofil vermuten lassen.
Nein, es ist viel mehr die Enttäuschung, die sich nach der ersten halben
Stunde zunehmend zu verdichten beginnt. Bis dahin werden die politisch und sexuell frigiden Adenauerjahre eindrucksvoll und fast liebevoll seziert. Während sie noch dabei sind, sich aus dem Korsett dieser Jahre zu befreien, werden Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis) und Bernward Vesper (August Diehl) auf vollkommen unterschiedliche Weise von ihren Vätern instrumentalisiert. Sie müssen sich also gleich »doppelt« befreien und beladen sich gleichermaßen mit Schuld. Nach dieser erhellenden
Erkenntnis geht es dann gänzlich eindruckslos weiter.
Denn anders als in seinen faszinierenden Dokumentationen (Black Box BRD, Der Kick), verfällt Veiel in Wer wenn nicht wir in zum Teil unerträglich monokausale Erklärungsmuster. Gudruns Unterwerfungstendenzen werden über Vaterkonflikt und Sexfantasien frei nach Oswald Kolle kräftig illuminiert, mit Vespers Abkehr vom NS-Dichtervater und seiner Hinwendung zum literarischen Vatermord wird es nicht besser. Aber gut, es ist inzwischen 1967, der Summer of Love erhitzt sich immer mehr, und wenn schon kein Sex, so fallen Vesper immerhin ein paar Drogen in die Hände und fast zeitgleich Ensslin in die von Baader. Trotz aller Kürzungen und Auslassungen lässt sich der Film hier, bei der Verwandlung von Gudruns Körper(-lichkeit) viel Zeit, viel mehr als für die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Protagonisten selbst. Diese werden selten befriedigend erklärt und können oft nur dann verstanden werden, hat man Koenens Buch gelesen.
Als ob Veiel seinem psychologischen Substrat selbst nicht ganz trauen würde, werden die Entwicklungsschritte des Trios von musikalisch untermaltem Dokumentationsmaterial begleitet, das ergänzend die politische Motivation für den bevorstehenden Terror aufbereitet. Aber bis auf eine Ausnahme sind auch hier die Sequenzen ähnlich stereotyp ausgesucht wie die beziehungspsychologischen Erklärungsmuster zum terroristischen Handeln. Und sie sind so kurz und knapp eingestreut, dass auch hier die Auslassung eher das Gegenteil bewirkt – nicht Tiefe, sondern Oberfläche, nicht Tragik, sondern Banalität, nicht Spannung, sondern immer wieder auch Langeweile.
Letztlich scheitert Veiel an dem Versuch, das Unmögliche möglich zu machen und Geschichte in ihrer ganzen Komplexität zu hinterfragen und zu erzählen. Er ignoriert gerade ihre Vielschichtigkeit bzw. versucht, sich ihr mit Leerstellen zu entziehen – und beansprucht dennoch Allgemeingültigkeit. Ein Dilemma übrigens, dem sich schon der antike Historiker Herodot ausgesetzt sah: »Ständig Material sammelnd für seine Arbeiten, Zeitzeugen, Barden und Priester befragend, bemerkt er, dass jeder etwas anderes erinnert – anders und unterschiedlich. Mehr noch, viele Jahrhunderte vor uns entdeckt er eine wichtige, verräterische, alles verkomplizierende Eigenart des menschlichen Wesens: Menschen erinnern, was sie erinnern wollen, nicht, was wirklich passiert ist.« (Aus Ryszard Kapuscinski, »Meine Reisen mit Herodot: Reportagen aus aller Welt«)