Südkorea 2025 · 108 min. Regie: Hong Sang-soo Drehbuch: Hong Sang-soo Kamera: Hong Sang-soo Schnitt: Hong Sang-soo Darsteller: Ha Seongguk, Kwon Haehyo, Cho Yunhee u.a. |
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Die Natur: Raum für Verhandlungen | ||
(Foto: Berllinale | Jeonwonsa Film Co.) |
Diesmal ist bereits der Vorspann verpixelt: Hongs Digitalkamera wird von Film zu Film reduzierter, unschärfer und schöner. Beschränkten sich die »Matschigkeiten« bislang vor allem auf den Hintergrund, nimmt diese Verfremdung nun das gesamte Bild ein, wird noch impressionistischer, eigener, interessanter. Es passt zur Entwicklung des Regisseurs, der sich sein eigenes filmisches Universum erarbeitet hat, stetig die selben Themen variiert und durchforscht, in dieser Begrenzung aber niemals redundant wird. So gibt es auch diesmal gemeinsame Essen, Spaziergänge und – natürlich – Alkoholgelage. Erzählt wird vom Dichter Donghwa, der nach einer nun schon dreijährigen Beziehung endlich die Familie seiner Freundin Junhee kennenlernt.
Es ist also wieder eine Art Fusion aus Theater und Film, wieder gibt es lange, statische Einstellungen, wieder sind es die Schauspieler:innen, die ihre Figuren mit Nuancen anreichern und zum Leben erwecken. Kein anderer zeitgenössischer Regisseur beherrscht das so gut, weiß, wie er einen gewissen Bühnencharakter beibehält, den Fokus auf das Gespielte legt, ihn gleichermaßen aber absolut filmisch versteht. Auch bei begrenzten Spielorten erzählen diese doch immer die Geschichte mit, sind notwendig für Tempo und Atmosphäre des Films. Dazu gesellen sich die etablierten Kameraspielereien: die geringe Auflösung des Bildes und die Zooms. Letztere sind vielleicht das Schönste an den Filmen Hongs, sie erlauben, in Szenen zu verweilen, ohne diese gleichförmig geraten zu lassen, verschieben den Fokus, decken Bilder in Bildern auf, ermöglichen Zugriffe auf ein- und dasselbe Anschauungsobjekt aus distanzierten Winkeln. Es ist eine sehr überlegte Filmsprache, so minimalistisch und elegant, so unaufdringlich und form-fokussiert wie der gesamte Film.
Inhaltlich lässt es sich mit mehreren Schwerpunkten beginnen. Da wären die Familie, die Romanze, die Poesie, die Kommunikation, die Klassenunterschiede, die Natur, so vieles, das Hong verwebt und gegenüberstellt. Doch die eine Interpretation zu liefern beschnitte den Film. An der einen Thesenentwicklung, dem einen Statement, dem großen Zeitkommentar ist Hong nicht interessiert, vielmehr durchstreift er all diese Themen, beleuchtet sie aus Ansichten und Blicken, die wiederum den einzelnen Sujets entspringen. Ein großartiger Individualismus entsteht, ein Aufeinandertreffen von den Zugängen zur Welt, die ihrerseits bereits determiniert scheinen, geboren aus und rebellierend gegen die Erziehung, die Kindheit, den Reichtum der Eltern.
Donghwa steht dabei im Mittelpunkt, er ist der Sohn eines Star-Anwalts. Entgegen dieser Wurzeln hat er sich für die Poesie entschieden, für ein genügsames, bewusstes Leben. »Nur so viel verdienen wie man braucht«, lautet das Dogma. Doch was, wenn dieser Entschluss nicht reicht, wenn der pure Wunsch, ein Dichter zu werden, nicht genügt?
So erscheint Donghwa als stiller, bedachter Beobachter; beinahe aggressiv-behutsam tritt er auf. Natürlich raucht er, seine Freundin aber nicht, weswegen sie ihn ständig ermuntern muss, es ihm im Elternhaus regelrecht zugesteht: »Du kannst jetzt eine Zigarette rauchen!« Fast wie frühe Jarmusch-Momente wirken diese Szenen im Film: Schweigende Liebende, rauchend, am Rand von stark befahrenen Straßen. Doch so lässig, so ungezwungen wird es nicht. Die Ruhe ist nur aufgesetzt, sehr bewusst gewählt, die Gedichte ebenfalls nur erste Schritte, mehr die Idee von Versen als tatsächliche Poesie.
Wie entwirft man sich selbst, was zieht man sich heraus aus der Welt, das so interessant ist, dass man sich damit befassen möchte – und es schließlich versprachlicht. Das ist dann auch ein großes Thema: die Sprache. Im Schweigen ergibt alles Sinn, gilt alles, wirkt bedeutungsvoll.
Doch wie darüber sprechen, in welcher Form, zu wem, und eben über was?
Der Titel spricht die Figuren ebenso an wie den Zuseher: Was sagt sie denn nun, diese Natur, und was sagt sie dir im Besonderen? Natürlich kann das nicht ausdifferenziert werden, die letzte Erkenntnis, die Weltformel, die Weisheit, die gibt es nicht. »Nur aus Büchern« hätte er sein Wissen, resigniert Junhees Vater an einer Stelle, das ist dann das nächste Problem. Von der Wahrheit, die man vielleicht in diesem oder jenem Sektor verstehen kann, ist die Natur, ihre Fremd- und Schönheit, fundamental entfernt. Eine individuelle Erkenntnis scheint Hong zu suchen und zu fordern, das, was sich zwischen den Ästen bewegt, was der Wind durch die Blumen trägt; im Film wie im echten Leben, zersprengt in tausend Pixel, in Unsicherheit und Poesie, in Witz, Lakonie und magische Zooms.
Es ist der schönste Film der Berlinale; beobachtend, unentschlossen und letztendlich vor allem eins: stetig suchend. Fast meint man Hong am Ende sagen hören: »Sie dürfen jetzt rauchen.«